«Reine Übungssache»
23.11.2021 Baselbiet, Bezirk Sissach, SissachSander van Riemsdijk
Pius Iberg kann sich noch genau an den Moment vor 21 Jahren erinnern, als ihn das Drechsel-Fieber packte: «Ich wollte mich in diesem Bereich selbstständig machen», sagt er, «aber die Arbeitsmenge war zu gering, um alleine vom Drechseln leben zu ...
Sander van Riemsdijk
Pius Iberg kann sich noch genau an den Moment vor 21 Jahren erinnern, als ihn das Drechsel-Fieber packte: «Ich wollte mich in diesem Bereich selbstständig machen», sagt er, «aber die Arbeitsmenge war zu gering, um alleine vom Drechseln leben zu können.» So ist er beruflich breiter aufgestellt, arbeitet im Innenausbau und Möbelbau mit Massivholz. Der Bereich Drechslerei lastet 50 bis 60 Prozent seiner selbstständigen Tätigkeit aus und fasziniert ihn wie am ersten Tag. «Es ist eine schöne Tätigkeit, weil ich zum Beispiel als Rohware ein Holzbrett habe und daraus mache ich etwas, das sich der Kunde wünscht.» Iberg führt seine Drechslerei als Einmannbetrieb. Er könnte sich aber in näherer Zukunft vorstellen, einen Ausbildungsplatz für eine Holzhandwerkerin oder einen Holzhandwerker Fachrichtung Drechslerei anzubieten.
Drechselunfreundliche Zeiten
Die Blütezeit des Drechselns war am Ende des 19. Jahrhunderts, als fast jedes Möbel mit Drechselteilen verziert wurde. Im Verlauf der Jahre hat sich dies geändert, aus Sicht von Pius Iberg nicht unbedingt zum Guten. «Wir sind momentan in einer Gestaltungsepoche, die nicht drechselfreundlich ist», sagt er, «heute ist der Drechsler meist Zulieferer von Produkteteilen.» Er verdeutlicht dies anhand eines Beispiels: Der Schreiner macht den Tisch, der Drechsler liefert nur noch die gedrehten Beine dazu.
Viel Staub liegt in der Luft der Werkstatt an der Neumattstrasse. Pius Iberg umschreibt seine Drechslerei dann auch als einen Ort, wo es nach Holz duftet, mit viel Staub, Holzspänen und Halbfabrikaten. Ein Ort, wo der Drechsler mehrheitlich Massivholz verarbeitet, das fast ausnahmslos rund ist. Deshalb wird das Verfahren im Allgemeinen auch Drehen genannt. Das Holz, Pius Ibergs wichtigstes Arbeitsmaterial, stammt aus der näheren Umgebung.
Der Beruf stirbt nicht aus
Pius Iberg ist der einzige gewerbliche Drechsler im Kanton. Warum dies so ist, lasse sich nicht so einfach auf den Punkt bringen, sagt er. Eine Rolle spiele sicherlich die geringe Arbeitsmenge. Damit müsse sich ein Drechsler wie er auch auf zusätzliche Dienstleistungen abstützen, um überleben zu können. Freizeitdrechsler hingegen würden einen richtigen Aufschwung erleben. Der Beruf sterbe also nicht aus, so Iberg, und das Interesse, den Beruf zu erlernen, sei immer noch vorhanden. Standort der Berufsschule für Holzhandwerker Fachrichtung Drechselei ist Brienz – im Ausbildungsverbund mit weiteren Kleinstberufen im Holzbereich.
Präzision und Training
«Jeder kann Drechsler werden», sagt Pius Iberg. «Voraussetzung ist, dass man genau arbeitet und vor allem viel übt. Drechslerei ist schliesslich reine Übungssache.» Drechsler ist gemäss Iberg kein typischer Männerberuf. Auch viele Frauen interessieren sich dafür; auf drei Lernende komme heute eine Frau.
Momentan gibt es in der Deutschschweiz in jedem Kanton eine Drechslerei und es sind etwa 30 gewerbliche Drechsler beim Verband Drechsler Schweiz angeschlossen. Das Gewerbe habe zuletzt ein Auf und Ab erlebt, so der Profi. Früher seien in der Schweiz viele Massenartikel produziert worden. Diese wurden später oft viel günstiger im Ausland produziert, die Produktepalette wurde ausgedünnt. In den letzten zehn Jahren habe im Holzbereich eine technische Entwicklung eingesetzt, die es einheimischen Produzenten wieder ermögliche, als regionale Zulieferer zu bestehen. «Gerade die zurzeit gefragte Nachhaltigkeit ist eine echte Chance für uns.»
Zur Person
svr. Pius Iberg ist 46 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Kinder. Er wohnt in Itingen, wo er auch aufgewachsen ist. Lange war er Mitglied des örtlichen Musikvereins. Iberg hat die Ausbildung zum Zimmermann und anschliessend die vierjährige Lehre als Drechsler mit eidgenössischem Fähigkeitsdiplom in Trimbach absolviert. Im Jahr 2005 hat er die Ausbildung zum Drechselmeister erfolgreich abgeschlossen und ist zudem Präsident des Verbands Drechsler Schweiz. Als Hobby pflegt Iberg die Bienenzucht.
Drechslerei
svr. Beim Drechseln handelt es sich um ein Verfahren der Holzverarbeitung zur Herstellung von runden Holzgegenständen aller Art. Dies können Gegenstände für den Haushalt oder Kunstobjekte sein. Der Drechsler oder die Drechslerin arbeitet meistens an der Drechselbank, vor allem mit Drechseleisen zum Drechseln, Schneiden und Bohren.