Der Pionier der Waldenburgerbahn
01.04.2021 Bauprojekte, Waldenburg, Verkehr, Bezirk WaldenburgElmar Gächter
Man schreibt den 31. Oktober 1880 – ein Tag für das Waldenburgertal, für das Baselbiet, für die Eisenbahngeschichte. Die Bevölkerung feiert die Eröffnung ihrer Waldenburgerbahn. In nur acht Monaten haben Ingenieure und Arbeiter ein Schienenwerk ...
Elmar Gächter
Man schreibt den 31. Oktober 1880 – ein Tag für das Waldenburgertal, für das Baselbiet, für die Eisenbahngeschichte. Die Bevölkerung feiert die Eröffnung ihrer Waldenburgerbahn. In nur acht Monaten haben Ingenieure und Arbeiter ein Schienenwerk realisiert, das auch heute noch, fast 141 Jahre später, Respekt und Bewunderung hervorruft.
In den Hintergrund rücken an diesem Samstag 1880 all die Querelen und das politische Auf und Ab, denen das Projekt samt seiner Initianten und Förderer während mehr als einem Jahrzehnt ausgesetzt waren. «Die Festfahrt von Liestal aus ist mit zwei Zügen und vier Personenwagen an den Lokomotiven ‹Rehag› und ‹Dr. Bider› unter den besten Bedingungen vor sich gegangen. Freundlicher Empfang in allen Dörfern, die theilweise festlich geschmückt waren. Hierauf unter Geschützdonner und Glockengeläute, Einzug der zahlreichen Volksmenge in die festlich geschmückte Stadt, Bankett im Löwen. Es war ein Fest voll freundlicher und ungetrübter Erinnerungen», berichten damals die «Basler Nachrichten». Mitten in der Festgemeinde ein Waldenburger, ohne den dieser Freudentag wohl kaum möglich gewesen wäre: Gedeon Thommen.
50 Jahre früher: Mitten in den gewalttätigen Wirren der Kantonstrennung melden Martin Thommen und seine Frau Catharina am 7. Dezember 1831 die Geburt von Gedeon. Er ist der jüngste von drei Söhnen, von denen zwei, wie weitere vier Geschwister, bereits im zarten Alter sterben.
Thommens Vater hat sich als Seiler in Waldenburg niedergelassen, wird Mitglied der provisorischen Regierung des neuen Kantons, beteiligt sich an der Gründung der Sparkasse Waldenburg und wird deren Präsident. Die Eltern dürfen sich an Gedeon freuen. Er ist ein ausgezeichneter Schüler und tritt mit gerade zehn Jahren in die Bezirksschule über. Nach zwei Jahren Kantonsschule Aarau und einer kaufmännischen Lehre in Genf kehrt er 19-jährig heim, lernt den Beruf des Vaters und übernimmt dessen Seilereibetrieb.
Uhrenfabrik und Villa
Das Waldenburgertal und mit ihm viele weitere Gemeinden stehen inzwischen einer sehr belastenden wirtschaftlichen Lage gegenüber. Mit dem Bau der Eisenbahnstrecke zwischen Basel und Olten 1858 verliert der Obere Hauenstein seine Bedeutung im Passverkehr und die Talschaft droht zu verarmen – viele Einwohner sehen sich gezwungen auszuwandern.
Bereits fünf Jahre früher hatte der Gemeinderat Waldenburg den wegweisenden Entscheid getroffen, im Städtchen die Uhrenfabrikation einzuführen. Zunächst defizitär, doch dann gelingt es Louis Tschopp und Gedeon Thommen, das Uhrengeschäft zum Laufen und Rentieren zu bringen. Nach Unstimmigkeiten zwischen den beiden übernimmt Thommen den Betrieb allein und macht ihn zu einer weltweit anerkannten Uhrenmanufaktur.
Thommen leistet sich am Waldrand einen Wohnsitz, der im ganzen Tal als «Villa Thommen» oder «Villa Reseda» bekannt wird und als Prunkstück von Waldenburg gilt – heute als «Villa Gelpke» ein Begriff. Zufall oder nicht? Die Villa kommt ganz in die Nähe jenes anderen Werks zu stehen, für das sich Gedeon Thommen voll und ganz einsetzt: die Waldenburgerbahn.
Martin Bider, Arzt in Langenbruck, ist es aber, der erstmals die Idee einer Eisenbahn durch das Waldenburgertal aufs Tapet bringt. Um den Kurgästen den Weg nach Langenbruck zu erleichtern, regt er zunächst den Bau einer Pferdebahn ab dem Liestaler «Alten Markt» bis Waldenburg an. Weder diese Idee noch jene einer Zahnradbahn von Waldenburg nach Langenbruck zeitigen Erfolg.
Doch Bider lässt nicht locker und gründet das «Comité für die Errichtung einer Eisenbahn im Waldenburgertal». Er beauftragt Oberingenieur Burri und Direktor Niklaus Riggenbach, ein Projekt auszuarbeiten, das den Bau einer 75-cm-Schmalspurbahn von Liestal nach Waldenburg auf der bestehenden Kantonsstrasse vorsieht. Es sollten allerdings noch viele Kubikmeter Wasser die Vordere Frenke hinunterfliessen, bis das Vorhaben realisiert wird.
Central- und Wasserfallenbahn
Im Jahr 1869 versammeln sich im «Löwen» Männer aus Waldenburg und Langenbruck, unter ihnen Gedeon Thommen, um die Gemeinden für eine Waldenburgerbahn zu begeistern. Allein, der Baselbieter Souverän hat etwas dagegen und verwirft den Antrag auf eine Konzession in hohem Bogen. Hoffnung macht sich breit, als zwei Jahre später die Konzession der Waldenburgerbahn zusammen mit derjenigen der Bözbergbahn vom Volk doch noch gutgeheissen wird.
Gedeon Thommen glaubt sich am Ziel, hat sich doch die Schweizerische Centralbahn, die später in die SBB integriert wird, bereit erklärt, den Betrieb der Waldenburgerbahn unter gewissen Bedingungen zu übernehmen. Da taucht 1872 das Projekt einer Wasserfallenbahn Liestal–Reigoldswil– Mümliswil–Balsthal auf und die Verhandlungen mit der Centralbahn über den Bau der Waldenburgerbahn stocken. Deren Schicksal scheint besiegelt, als die Wasserfallenbahn nicht gebaut wird und die Centralbahn die Auffassung vertritt: «Die Waldenburgerbahn muss mit der Wasserfallen stehen oder fallen.»
Die Enttäuschung in Waldenburg und Langenbruck ist riesig, jedoch nicht für lange. Denn jetzt besinnen sich die Initianten auf sich selbst und gelangen zur Einsicht, dass nur die beteiligte Bevölkerung aus eigener Kraft eine Bahn bauen kann. An vorderster Stelle dabei: Gedeon Thommen.
Am Neujahrstag 1879 findet die erste Generalversammlung der neu gegründeten Bahngesellschaft statt. Es fehlt Martin Bider, der ein paar Monate vorher unerwartet verstorben ist. Sein Vetter Gedeon Thommen muss sofort den Vorsitz des «Comité» und die weiteren Geschäfte übernehmen.
Am 24. Februar 1880 erhält die Gesellschaft die Konzession. Gedeon Thommen führt als Präsident der Direktion die Verhandlungen mit der Centralbahn, die zuerst verlangt, dass die Bahn nicht direkt nach Liestal, sondern nach Lausen und dann rückwärts nach Liestal einfahren und ebenso bis Lausen ausfahren müsse.
1 Franken für eine Fahrt
Streitigkeiten entstehen mit Firmen und Personen, die das Zustandekommen der Bahn gefördert hatten, sich nun aber übergangen fühlten. Gedeon Thommen hat jedoch den Verwaltungsrat, der von Ständerat Martin Birmann präsidiert wird, auf seiner Seite. Allerdings verzögern die Zwistigkeiten den Bau um 5 Monate. Die Baukosten belaufen sich auf rund 370 000, jene für das Rollmaterial auf 350 000 Franken.
Am 1. November 1890 wird der Personenbetrieb aufgenommen, der Güterverkehr erfolgt etwas später. Die Bahn stellt Sitzplätze in der zweiten und dritten Wagenklasse zur Verfügung, der Fahrpreis in der dritten Klasse von Liestal nach Waldenburg beträgt 1 Franken. 1881 bedient die Bahn acht Bahnhöfe und Haltestellen und bietet vier Fahrten in jede Richtung. Der schnellste Zug benötigt für die Gesamtstrecke 56 Minuten.
Gedeon Thommen stirbt am 18. Dezember 1890. Sein Name lebt weiter als Zeuge einer Epoche, die geprägt ist von Persönlichkeiten wie ihm, Martin Bider, Martin Birmann oder Louis Tschopp. Idealisten, Macher und Pionieren wie ihnen hat das Waldenburgertal einen grossen Teil seines Wirtschaftswunders im 20. Jahrhundert zu verdanken.
Quellen:
«Baselbieter Heimatbuch», Vierteljährliche Beilage zum «Landschäftler» vom Dezember 1940, verfasst von H. Weber, Waldenburg.
«100 Jahre Waldenburgerbahn 1880–1980», verfasst von Hans Leupin.
Zur Person
emg. Gedeon Thommen, geboren am 7. Dezember 1831, gestorben am 18. Dezember 1890, war ein erfolgreicher Geschäftsmann und Politiker. Vom jungen Gemeindeschreiber über Gemeinderat und Landrat reicht seine Karriere bis zum Nationalrat. Im Militär war er Artillerieoffizier, Hauptmann und Batteriekommandant. Er übernahm in Waldenburg eine bestehende Uhrenfabrik und baute in der Folge zwei weitere auf zu Thommens Uhrenfabriken. Er und seine Frau Marie Louise Jacot-Baron blieben von schweren Schicksalsschlägen nicht verschont. Zwei ihrer Kinder starben früh und zwei ihrer Söhne, auf die sie grosse Hoffnungen gesetzt hatten, wurden plötzlich dahingerafft.