«Stedtli» kommt nicht zur Ruhe
19.03.2021 Bezirk Waldenburg, Energie/Umwelt, WaldenburgAus 40-jähriger Mülldeponie Gerstel treten problematische Schadstoffe aus
muss seine 1979 geschlossene Abfalldeponie Gerstel sanieren. Neben Hauskehricht sind dort Industrieabfälle abgelagert worden. Selbst mit finanzieller Hilfe von Bund und Kanton wird das «Stedtli» den Gürtel wohl ...
Aus 40-jähriger Mülldeponie Gerstel treten problematische Schadstoffe aus
muss seine 1979 geschlossene Abfalldeponie Gerstel sanieren. Neben Hauskehricht sind dort Industrieabfälle abgelagert worden. Selbst mit finanzieller Hilfe von Bund und Kanton wird das «Stedtli» den Gürtel wohl noch enger schnallen müssen.
Christian Horisberger
Wenn in Waldenburg in den vergangenen 40 Jahren vom «Gerstel» gesprochen wurde, war die Zivilschutzanlage oberhalb des «Stedtlis» gemeint. Zuvor wäre es um die Deponie gegangen, wo die Abfälle der Waldenburgerinnen und Waldenburger hingekippt wurden. Ist heute vom «Gerstel» die Rede, dreht es sich wieder um die Deponie. Und um Geld, das die Gemeinde nicht hat.
Aber der Reihe nach: Untersuchungen des Untergrunds auf dem Areal der früheren Uhrenfabrik Revue Thommen ergaben, dass Schadstoffe vom Gerstelbach auf das Fabrikgelände getragen worden sind. Jenes Bächlein führt oberhalb der «Revue Thommen» unter der früheren Müllhalde durch, auf der von 1949 bis 1979 nicht nur Hausabfälle abgelagert worden sind. Wie Rainer Bachmann, der stellvertretende Leiter des Baselbieter Amts für Umweltschutz und Energie (AUE), der bz sagte, seien auch Bauschutt und Abfälle metallverarbeitender Betriebe und der Uhrenindustrie deponiert worden. Bei den problematischen Schadstoffen handle es sich unter anderem um die Lösungsmittel cis-Dichlorethen und Vinylchlorid. Lokal müsse mit radioaktiver Leuchtzifferfarbe aus der Uhrenproduktion gerechnet werden.
45 000 Kubikmeter
Nach Muttenz (Deponie Feldreben) ist Waldenburg die erst zweite Baselbieter Gemeinde, die eine frühere Deponie sanieren muss. Mit rund 45 000 Kubikmetern ist die Deponie Gerstel zehnmal kleiner als jene in Muttenz. Nicht von der Sanierung betroffen sein wird die gleichnamige Zivilschutzanlage. Sie befindet sich am Rand der Deponie; vor ihrem Bau wurden die auf dem Grundstück abgelagerten Abfälle ausgehoben.
Gegen 100 000 Franken hat Waldenburg für eine erste Untersuchung bereits ausgegeben. Eine zweite von der Gemeinde in Auftrag gegebene Detailuntersuchung für weitere 150 000 Franken soll jetzt aufzeigen, wie gross die Gefährdung ist. Anschliessend werden durch das AUE die Sanierungsziele und die Dringlichkeit festgelegt. Ende dieses Jahres solle die optimale Sanierungsvariante vorliegen, «dann wissen wir, wohin die Reise geht», sagt Rainer Bachmann auf Anfrage. Erst dann könnten auch Angaben zu den Sanierungskosten gemacht werden.
Fest steht schon heute: Auch wenn der Bund 40 Prozent der Kosten übernimmt – ein Schnäppchen wird die Altlastensanierung für Waldenburg nicht. Als Betreiberin der damaligen Deponie muss die Gemeinde für den Restbetrag geradestehen. Doch ist das «Stedtli» finanziell trotz positiver Rechnungsabschlüsse in jüngerer Vergangenheit nicht auf Rosen gebettet und gilt mit einem Gemeindesteuerfuss von 69,5 Prozent bereits als Baselbieter Steuerhölle. Gemeindepräsidentin Andrea Kaufmann möchte wenn irgend möglich darauf verzichten, die Steuerschraube noch mehr anzuziehen. Deswegen hofft sie auf den solidarischen Härtefonds des Kantons. Beiträge aus diesem «Notfallkässeli» helfen den Gemeinden, Ausgaben mitzufinanzieren, welche diese aus eigener Kraft nicht stemmen können (siehe Kasten).
Bereits von 2013 bis 2015 hatte Waldenburg sogenannte Härtebeiträge erhalten: 2013 400 000 Franken für den Werkhof-Neubau, 2014 183 000 Franken zur Abfederung ihrer hohen Sozialhilfekosten und im Jahr 2015 eine halbe Million Franken zur Abtragung des Bilanzfehlbetrags. Ein weiteres Gesuch stellte Waldenburg 2019 für die Detailuntersuchung der Sanierung der Deponie Gerstel. Man ist dann aber mit dem Kanton übereingekommen, dass ein neues Gesuch gestellt werden soll, wenn die Kosten für die eigentliche Sanierung bekannt sind.
Allenfalls Projekte zurückstellen
Aufgrund der angespannten finanziellen Lage des «Stedtlis» darf sich die Präsidentin Hoffnungen auf einen weiteren Zustupf machen. Voraussetzung ist, dass die Gemeinde dem Kanton nicht nur das zu unterstützende Sanierungsprojekt im Detail vorlegt, sondern auch ihre Bücher offenlegt. Denn Bedingung für eine Auszahlung ist eine bereits hohe Steuer- und Gebührenbelastung, wie Michael Bertschi, Leiter der Abteilung Gemeindefinanzen beim Statistischen Amt Baselland, ausführt. Zudem müssten die Eigenmittel tief sein. Auch werde betrachtet, ob ein Eigenverschulden vorliegt: Hatte die Gemeinde beispielsweise einen über Jahre zu tiefen Steuerfuss, vernachlässigte sie ihre Infrastruktur oder leistete sie sich unnötigen Luxus?
Eine Prognose für die Chancen Waldenburgs auf einen Härtebeitrag kann Bertschi nicht abgeben. Schon gar nicht kann er beurteilen, ob es realistisch ist, dass aus dem Härtefonds der ganze Anteil Waldenburgs an einer Deponiesanierung berappt werden könnte. Präsidentin Kaufmann zweifelt daran. «Es wäre schön, ich kann es mir aber nicht vorstellen. Wir werden wohl auch in den sauren Apfel beissen, den Gürtel enger schnallen und allenfalls geplante Projekte zurückstellen müssen.»
Der Härtefonds
ch. Der Regierungsrat kann im Einzelfall einen Härtebeitrag für Investitionsprojekte an die Gesamtheit der Aufgaben einer Gemeinde oder an eine einzelne Aufgabe beschliessen. Damit soll erreicht werden, dass eine Gemeinde beispielsweise nicht einen unangemessen hohen Steuerfuss beschliessen muss, um sich finanzieren zu können. Die Gewährung eines solchen Beitrags setzt eine umfassende Analyse des gesamten Finanzhaushalts der betroffenen Gemeinde voraus. Alimentiert werden die Härtebeiträge aus dem Härtefonds, der von den Gemeinden gemäss ihrer Einwohnerzahl geäufnet wird (maximal 2.50 Franken pro Einwohner jährlich). Im Härtefonds befanden sich Ende 2020 3,75 Millionen Franken, daher werden zurzeit keine weiteren Beiträge eingezogen.