«Ein finanzieller Albtraum»
23.03.2021 Augenschein, Finanzen, Gesellschaft, BaselbietDie Absage von Märkten trifft viele Marktfahrende hart
Das vergangene Jahr war für die Marktfahrerinnen und Marktfahrer wegen der Pandemie ein düsteres. Trotz Erlaubnis vom Bundesamt für Gesundheit wurden viele Märkte abgesagt, so auch die in Sissach. Da die Aussichten für 2021 nicht ...
Die Absage von Märkten trifft viele Marktfahrende hart
Das vergangene Jahr war für die Marktfahrerinnen und Marktfahrer wegen der Pandemie ein düsteres. Trotz Erlaubnis vom Bundesamt für Gesundheit wurden viele Märkte abgesagt, so auch die in Sissach. Da die Aussichten für 2021 nicht rosiger sind, könnte dies für die Branche fatale Folgen haben.
Sander van Riemsdijk
Die 40-jährige Nadine Waltzer aus Therwil, Co-Präsidentin der Sektion Nordwestschweiz des Schweizerischen Marktverbands (SMV), kann es schlicht nicht verstehen. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) lässt im Rahmen seiner Verordnungen mitteilen, dass Märkte von den einschränkenden Massnahmen ausgenommen werden und drinnen und draussen stattfinden dürfen. Und doch werden diese von den Gemeinden reihenweise abgesagt. Nadine Waltzer, die selber seit 20 Jahren mit ihrem «Gwürz-Egge» an nicht weniger als 280 Tagen im Jahr in der ganzen Schweiz einen Marktstand betreibt, kann über das Warum nur spekulieren: «Ich weiss es nicht und kann die Gründe nur vermuten.»
Sie setzt sich bei der Suche nach Antworten in den Brainstorming-Modus: «Ist es die Angst, Verantwortung übernehmen zu müssen, falls sich ein Markt als Superspreader-Anlass herausstellen könnte? Oder scheut man schlicht den Aufwand? Befürchtet man sogar eine zu starke Konkurrenz zu den Läden im Dorf?» Und Waltzer fragt sich zugleich, ob sich die Gemeinden der Tragweite ihrer Entscheide überhaupt bewusst sind. «Es geht schliesslich um unsere Existenz und um nichts anderes», sagt sie kämpferisch, «es fühlt sich wie ein Berufsverbot an.»
Der Marktverband suche immer wieder den Kontakt zu den Gemeindepräsidenten oder zu den zuständigen Personen in den Gemeinden und leiste intensive Überzeugungsarbeit. Selten ist diese jedoch von Erfolg gekrönt.
Wer keine Fixkosten hat, überlebt
Die vielen und oft kurzfristigen Absagen der Märkte treffen die Marktfahrenden hart und haben für sie über kurz oder lang fatale finanzielle und existenzielle Folgen. «Entscheidend dafür, wie lange ein Marktfahrer ohne Einnahmen durchhalten kann, sind die Fixkosten. Wer keine hat, überlebt, andere bleiben auf der Strecke», sagt Nadine Waltzer.
Der Verband hat keinen Überblick darüber, wie viele Standbetreibende aufgrund der Absagen aufgeben mussten, berichtet sie. Dabei könnte es sehr wohl sein, dass Marktfahrer, die kurz vor der Pensionierung stehen, den Moment als gekommen sehen, sich in den vorzeitigen Ruhestand zu begeben. «Wer sich altersbedingt verabschiedet beziehungsweise wirtschaftlich nicht überlebt, sehen wir demnächst an den Lücken in den Standreihen auf dem Markt», sagt Waltzer nüchtern. Die Absagen treffen nicht nur die Marktfahrer, meint sie, sondern auch die Bevölkerung. «Der Markt ist ein wichtiger Begegnungsort für die Bevölkerung, an dem soziale Kontakte gepflegt werden. Es ist ein Kulturgut und belebt jede Gemeinde.»
Durch die vielen Absagen erlitt Waltzer im vergangenen Jahr eine Umsatzeinbusse von nicht weniger als 60 Prozent. Für ihre 15 Teilzeitangestellten musste sie Kurzarbeit beantragen. Nicht alle Marktfahrenden können sich Angestellte leisten, viele führen ihr Geschäft als Einzelpersonen. Diese hoffen auf Unterstützung mittels Nothilfegelder, viele haben jedoch keinen Anspruch auf Erwerbsausfallentschädigung.
Sehr froh und dankbar ist Nadine Waltzer, jetzt, da die Hauptsaison für Marktfahrende anfängt, dass der morgige Frühlingsmarkt in Sissach durchgeführt wird. «Vor allem der Herbstmarkt in Sissach ist einer der besten überhaupt.» Sie freut sich darüber, dass dass die steigende Anzahl von Coronavirus-Neuansteckungen in einigen Sissacher Schulen in der vergangenen Woche nicht kurzfristig zu einer erneuten Absage geführt hat (siehe Seite 3).
Das letzte Mal, als Nadine Waltzer ihren Stand an einem Markt aufbauen konnte, war im vergangenen Herbst in Liestal. Sie rechnet jedoch nicht damit, dass der Markt wieder so zahlreich von den Menschen besucht wird wie vor der Pandemie. «Die Menschen sind durch die Krise vorsichtiger und zurückhaltender geworden und könnten den Markt meiden.»
Die nicht enden wollende Coronavirus-Pandemie wird auch dieses Jahr tief greifende Auswirkungen auf das Marktgeschäft haben. Werden die Märkte weiterhin reihenweise von den Gemeinden abgesagt, wird damit mancher Schausteller finanziell endgültig in die Knie gezwungen. Ein Albtraum, der mit Lücken in den Standreihen ein trauriges Mahnmal haben wird, sollte sich die Befürchtung von Nadine Waltzer bewahrheiten.