Wandern, jonglieren, benoten
14.01.2021 Baselbiet, Gesundheit, Bildung, Gesellschaft, SportSchulsport | Wie sieht der Unterricht auf den verschiedenen Stufen aus?
Von Kindergarten bis Gymnasium haben die Schulen auf die Corona-Massnahmen reagiert. Eine besondere Herausforderung stellt jeweils der Sportunterricht dar. Auf den verschiedenen Stufen erfordert das ...
Schulsport | Wie sieht der Unterricht auf den verschiedenen Stufen aus?
Von Kindergarten bis Gymnasium haben die Schulen auf die Corona-Massnahmen reagiert. Eine besondere Herausforderung stellt jeweils der Sportunterricht dar. Auf den verschiedenen Stufen erfordert das verschiedene Lösungen.
Sebastian Wirz
Einzelpulte, Plexiglas, Masken und offene Fenster. Dieses Quartett soll Corona in den Schulen die Stirn bieten. Die Klassenzimmer wurden neu eingerichtet, es wird regelmässig gelüftet, alle tragen Maske. Schritt für Schritt wurden die Regeln verschärft, die dafür sorgen sollen, dass die Schulen zugleich weder geschlossen werden müssen noch zum täglichen Super-Spreader-Event werden. Das eingangs genannte Quartett hilft in den meisten Unterrichtssituationen – nämlich wenn die Schülerinnen und Schüler an einem Ort sitzen. Aber was passiert im Sportunterricht, dessen Ziel es ja ist, dass sich die jungen Menschen bewegen?
«Ich trage einfach Maske, ansonsten haben wir Sport wie immer», sagt Bea Groelly, die in Sissach im Kindergarten unterrichtet. Zudem müsse sie als Lehrperson Abstand zu den Kindern halten – «und wir sind andauernd am Händewaschen», sagt Groelly und lacht.
Zusätzlich zu den Vorgaben des Bundesamts für Gesundheit schreibt das kantonale Schutzund Organisationskonzept für die Volksschulen für den Sportunterricht auf der Primarstufe vor, dass die Lehrpersonen Maske tragen müssen, dass die Lektionen wenn möglich im Freien stattfinden und Aktivitäten mit engem Körperkontakt zu unterlassen seien. Der Schwimmunterricht fällt vorerst bis Ende Februar ganz aus. «Die grösste Veränderung für mich ist, dass ich selber nicht mehr involviert bin», sagt Loredana Beyeler. Die Lehrerin an der Primarschule Oberdorf nimmt sich zu Herzen, dass sie Abstand zu den Kindern halten soll. «Ich muss mich aktiv herausnehmen und stehe daneben – das ist in meinen Sportlektionen sonst nicht der Fall», sagt sie.
Nicht nur macht Beyeler bei «Fangis» und anderen Spielen nicht mit, sie darf auch keine Hilfestellung leisten. «Wenn wir nun Geräteturnen machen, kann ich nicht helfen. Einen Felgaufschwung am Reck oder andere risikobehaftete Elemente führe ich in dieser Zeit sicher nicht ein», sagt Beyeler, die ebenfalls mit Maske in der Halle steht. Eine Bewertung im Zeugnis gibt es für den Sport dennoch. Die Kinder hätten sich an die Abstandsregeln gewöhnt und machten das sehr gut. «In der Primarschule kommt es durchaus vor, dass Kinder die Lehrperson umarmen oder ihr sehr nah sein wollen. Sie haben gelernt, dass dies aktuell nicht möglich ist», sagt Beyeler.
Es sei gut machbar, unter den aktuellen Umständen an der Primarschule Sport zu unterrichten, aber einige zusätzliche Überlegungen sind in der Vorbereitung schon nötig. Die Lehrerin zieht zum Beispiel in Betracht, wo die Kinder stehen, wenn sie warten müssen. «Wenn sie lange beisammen stehen würden, lasse ich diese Übung oder dieses Spiel weg. Ich verzichte zum Beispiel auf Brennball, bei dem einige in einer Schlange warten müssten.»
«Wie Sprache ohne Reden»
Gedanken über Warteräume und Hilfestellungen macht sich auch Sandra Grossmann. Die Leiterin der Fachschaft Sport an der Sekundarschule Gelterkinden markiert in ihren Lektionen mit Hütchen, wo die Jugendlichen allenfalls warten müssen. Im Gegensatz zur Primarschule sind hier auch die am Unterricht Teilnehmenden maskiert. «Daran haben sie sich schnell gewöhnt. Am Anfang habe ich ‹Maskenlüftungsrunden› an der frischen Luft gemacht, aber das war bald nicht mehr nötig», sagt Grossmann.
Draussen dürfen die Schüler die Maske bei Einhaltung des Abstands von 1,5 Metern ausziehen. Als das «Draussen-Turn-Gebot» und die Abstandsregeln kamen, gingen viele Lehrpersonen mit ihren Klassen spazieren und wandern. «Wir hatten im ersten Moment das Gefühl, wir könnten kaum mehr Sport anbieten. Mit der Zeit hat sich das relativiert und wir haben herausgefunden, was noch geht», sagt Grossmann. Leichtathletik habe zum Beispiel wie immer funktioniert.
Beim Turnen in der Halle sind die Herausforderungen grösser. «Führe ich beispielsweise Unihockey ein, machen wir den üblichen Aufbau mit Schusstechnik und einen Geschicklichkeitsparcours, aber das Spiel am Ende fällt wegen der Abstandsregeln weg», sagt Grossmann. Es fehle also genau das, was Spass macht, weil die Lehrer auf Spiele mit Körperkontakt verzichten sollen. «Es ist wie eine Sprache zu lernen, aber nie zu reden.»
Noten gibt es weiterhin, aufgrund der reduzierten Möglichkeiten sind es aber in den meisten Klassen weniger. Die Vorgabe des Schutzkonzepts, das «Intensitätsniveau zu reduzieren», erfüllt Grossmann, indem sie die intensiven Phasen kürzer hält und dafür die Pausen verlängert. Dass die Duschen geschlossen sind, ist gemäss der Fachschaftsleiterin kein Problem: «Da rede ich sowieso meist an eine Wand. Die Jugendlichen duschen nicht nach dem Sport.»
«Lernen fürs Leben»
Zum selben Schluss kam Claudia Weidmann. Die Gym-Sportlehrerin war etwas überrascht, dass ihre Umfrage auch bei den Schülern in der Klasse ergab, dass kaum einer nach dem Sport duscht. Als Mittelschullehrerin hat Weidmann in Liestal die ältesten Lernenden und damit die strengsten Regeln. Das entsprechende Merkblatt der Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion empfiehlt als Inhalte Joggen und OL, wenn der Unterricht draussen stattfindet. Für drinnen tauchen Begriffe wie «Koordinationsformen», «Achtsamkeitsübungen und Entspannung», «dynamisches Sitzen» oder «theoretische Inputs zu sportlichen Themen» auf. Unter «Spiele» herrscht beim Pandemie-Sportunterricht indoor gähnende Leere. «Die Spielertypen leiden schon sehr. Sie sind teilweise frustriert», sagt Weidmann, die in Liestal unterrichtet.
Auch die Gym-Lehrpersonen verteilen weiterhin Noten. Das könne bei Abwesenheiten wegen Quarantäne schon mühsam sein, und ein Verzicht auf Noten wäre eine Erleichterung für die Sportlehrpersonen, aber Weidmann will die Lage nicht schlechtreden: «Wir sind sehr glücklich, dass sich die Schülerinnen und Schüler umziehen und mit Maske trainieren dürfen.» Um Durchmischung zu verhindern, finden die Sportlektionen im Klassenverband statt. Im Normalfall treiben die Schüler zweier Klassen gemeinsam Sport, während die Schülerinnen derselben beiden Klassen gemeinsam turnen.
Weidmann praktiziert mit ihren Klassen unter anderem selbstbestimmtes Lernen oder arbeitet mit kleineren Gruppen als sonst, um etwa die Technik im Padel-Tennis im Detail anzuschauen. «Die Situation bietet auch Chancen. Schülerinnen und Schüler können zum Beispiel lernen, mit Keulen zu jonglieren. Das können sie dann fürs Leben», sagt Weidmann.
Lehrpersonen, Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene gehen positiv mit der Lage um, die auch zu ungewohnten Situationen führt. Beim Bewegungsauftrag an die Schülerinnen, ein Bild aus dem Wald zu senden, hat Claudia Weidmann nicht etwa nur wunderschöne Fotos erhalten, sondern mehrfach herzlichen Dank. Und auch bei kalten Temperaturen bitten Schülerinnen und Schüler darum, draussen seilspringen zu dürfen – schliesslich können sie dort bei entsprechendem Abstand die Maske ablegen.