«Nur keine totalitären Eingriffe»
27.11.2020 Baselbiet, Gesundheit, Wirtschaft, Politik, GesellschaftThomas Weber glaubt an einen «normalen» Sommer 2021 – auch ohne Impfpflicht
Mit einem Corona-Impfstoff ist der kommende Sommer gerettet, glaubt Gesundheitsdirektor Thomas Weber. Vorerst seien aber weitere Anstrengungen nötig, um die Fallzahlen zu senken. Dazu müssten die geltenden ...
Thomas Weber glaubt an einen «normalen» Sommer 2021 – auch ohne Impfpflicht
Mit einem Corona-Impfstoff ist der kommende Sommer gerettet, glaubt Gesundheitsdirektor Thomas Weber. Vorerst seien aber weitere Anstrengungen nötig, um die Fallzahlen zu senken. Dazu müssten die geltenden Schutzmassnahmen nicht verschärft, aber besser eingehalten werden.
David Thommen, Sebastian Schanzer
Herr Weber, wie präsentiert sich aktuell die Corona-Situation im Baselbiet?
Thomas Weber: Die Lage ist zwar stabil, aber nicht auf einem beruhigenden Niveau. Das heisst, wir müssen weitere Anstrengungen unternehmen, um die Zahlen herunterzubringen. Etwas erfreulicher ist die Lage bei den Spitälern: Anders als in der ersten Welle haben wir während der zweiten konstante Zahlen. Im Moment haben wir neun Personen auf der Intensivpflege-Station, fünf davon sind beatmet. Diese Lage darf sich allerdings nicht über Monate hinziehen. Vor allem das Kantonsspital reduziert bereits elektive Eingriffe.
Gewarnt wurde vor wenigen Wochen vor einer Überlastung der Spitäler. Wie sieht es heute aus?
Unsere Vereinbarung mit Basel-Stadt hat sich diesbezüglich bewährt. Clara-, Uni- und Kantonsspital tauschen sich über die jeweiligen Belegungen der Intensivpflegeplätze intensiv aus und sorgen für eine gute Verteilung.
Engpässe auf den Intensivstationen sind also nicht mehr zu befürchten?
Die Belegung dieser Plätze konnten wir stabilisieren. Das war sehr wichtig. Die Prognose aufgrund der Fallzahlen, dass wir bald eine Schwelle überschreiten würden, bei der man die Ressourcen noch mehr aufstocken müsste, ist zum Glück nicht eingetreten. Die Ärzte kennen das Virus mittlerweile auch besser, was sich in der Behandlungsmethode niederschlägt. Heute werden schneller gewisse Medikamente oder Steroide verabreicht, von denen man im Frühling noch nicht wusste, ob sie überhaupt wirken. Im Frühling wurden die Patienten noch schneller intubiert. Wir stellen auch fest, das sich gerade Risikopatienten heute besser schützen als zu Beginn der Pandemie.
Sie sagen, es brauche weitere Anstrengungen, um die Fallzahlen zu senken. Woran denken Sie dabei?
Wir wollen sicher unsere Information verstärken, das heisst, breiter, detaillierter und vor allem zielgruppenorientierter informieren. Wir haben gerade in grösseren Gemeinden festgestellt, dass wir gewisse Gruppen von Menschen zu wenig erreichen, etwa Bewohnerinnen und Bewohner von Altersheimen, Pflegepersonal oder Menschen mit Migrationshintergrund. Bei Letzteren sind es einerseits sprachliche Hürden, andererseits kulturell bedingte Unterschiede im alltäglichen Verhalten, die dafür sorgen, dass unsere Informationen nicht ankommen wie gewünscht. Aktuell verstärken wir darüber hinaus auch unsere Kontrolltätigkeit. Insbesondere im Hinblick auf den «Black Friday». Wir haben sämtliche Geschäfte im Kanton angeschrieben und aufgefordert, ihre Schutzkonzepte und die Schutzmassnahmen des Bundes konsequent umzusetzen. Entsprechend werden ab heute auch mehr Polizisten und Kontrolleure des Kiga unterwegs sein.
Schärfere Massnahmen sind in naher Zukunft also nicht zu erwarten?
Ich hoffe nicht. Aber die Zahlen sind ein Stück weit unberechenbar. Es gibt schon Pläne, was zu tun ist, etwa wenn die Belegung der Intensivstationen in den zweistelligen Bereich steigt.
Die Baselbieter Regierung hat den Basler Teil-Lockdown mit der Schliessung aller Restaurants und der meisten Freizeiteinrichtungen nicht mitgemacht. Was waren Ihre Überlegungen?
Wenn wir den Eindruck hätten, in den Fitnesscentern oder den Hallenbädern gäbe es ein erhöhtes Ansteckungsrisiko, würden wir die Betriebe auch schliessen. Aber es gab schlicht keine Indizien dafür. Ganz im Gegensatz zum Schul- und Vereinssport, wo wir die Massnahmen ja angepasst haben.
Es gibt dennoch ziemlich viel Kritik an der Baselbieter Haltung – nicht zuletzt der Oberrheinrat lobt Basel für seine Massnahmen über den grünen Klee und tadelt damit indirekt das Baselbiet. Nervt Sie das?
Grundsätzlich sprechen wir Gresundheitsdirektoren der Nordwestschweiz uns sehr eng ab. Basel-Stadt hat sich jetzt für einen Alleingang entschieden und das mag für dessen Verhältnisse auch sinnvoll sein. Aber wie gesagt: Wir hatten keine Anhaltspunkte dafür, dass es in den Baselbieter Restaurants zu speziell vielen Ansteckungen kommt. Hätten wir uns eine Woche mehr Zeit gegeben, hätten wir vielleicht einen Kompromiss gefunden, hinter dem Stadt und Land stehen können. Aber in diesem Fall war das nicht möglich. Die Basler Regierung hatte Zeitdruck. Manchmal muss man es einfach aushalten, wenn zwei Parteien verschiedene Wege einschlagen.
Der Bund rechnet mit einer Halbierung der Ansteckungen alle zwei Wochen. Ist das ein realistisches Szenario auch im Baselbiet?
Nein, im Moment steigen die Zahlen im Kanton noch. Wir hatten für lange Zeit die tiefste Inzidenz in der ganzen Schweiz. Aktuell sind wir immer noch leicht unter dem Schweizer Durchschnitt. Aber es findet eine Angleichung unter den Kantonen statt. In der Westschweiz gibt es eine rasche Abnahme, bei uns geht es leicht hoch. Aber mit den aktuell geltenden und wenn nötig zusätzlichen Massnahmen werden wir das Ziel auch in der Nordwestschweiz erreichen.
Besteht Hoffnung, dass es auf Weihnachten hin Lockerungen gibt und auch grössere Familienfeiern stattfinden können?
Nein, das glaube ich nicht. Da müssen wir nüchtern bleiben. Die Strategie des Bundesrats wird uns mindestens bis in den späten Winter begleiten. Ich glaube nicht, dass die jetzt geltenden Massnahmen vor März wieder gelockert werden. Die zusätzlichen Massnahmen im Baselbiet hat die Regierung bewusst über die Festtage hinaus angesetzt. Man soll nicht ganz auf Weihnachten und Silvester verzichten. Aber die Feste müssen im kleineren Rahmen gefeiert werden. Keine ausschweifenden Partys.
Im Elsass, im Badischen und in sind die Restaurants zu. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass das Baselbiet damit eine gewisse Sogwirkung auslöst. Können Sie das tatsächlich verantworten?
Eine Gefahr besteht nur, wenn die Schutzkonzepte nicht eingehalten werden. Deshalb verstärken wir jetzt auch die Kontrolle. Ich glaube aber ohnehin kaum, dass die Basler jetzt in Scharen aufs Land strömen.
Österreich will die ganze Bevölkerung testen. Halten Sie das für nachahmenswert?
Österreich nimmt sich da viel vor … Für uns ist das kaum möglich. Wir haben in Muttenz das leistungsfähigste Testzentrum der Schweiz mit einer Kapazität von 1000 PCR-Tests pro Tag. Bei knapp 300 000 Einwohnerinnen und Einwohnern hätten wir also fast ein Jahr, bis alle Baselbieterinnen und Baselbieter zumindest einmal getestet sind – und dabei handelt es sich ja immer nur um eine Momentaufnahme. Für solche Screenings bräuchte es Schnelltests. Solche gibt es mittlerweile zwar, doch sie sind deutlich zu wenig zuverlässig. Massentests bringen also wenig. Es sollen sich vor allem Personen mit Symptomen testen lassen.
Teilen Sie die Sorge des Bundesrats, dass derzeit zu wenig getestet wird?
Landesweit schon. Wir haben im Baselbiet aber seit Wochen durchgängig recht hohe Zahlen. Wir machen täglich 500 bis 600 Tests.
Langsam wird absehbar, dass Impfstoffe verfügbar werden. Wir nehmen an, dass die Vorbereitungen für Massenimpfungen bei Ihnen mittlerweile auf Hochtouren laufen.
Die Abklärungen laufen derzeit vor allem zwischen Bund und Kantonsärztevereinigung auf Hochtouren. Eine der Fragen ist, ob zu Beginn primär Risikogruppen – zum Beispiel Bewohner von Altersheimen – geimpft werden sollen. Dann sieht die Infrastruktur etwas anders aus, als wenn gleich mit der breiten Bevölkerung begonnen würde. Ebenfalls müssen Fragen zu Verteilung und Lagerung des Impfstoffes geklärt werden. Die Logistik wird aufwendig, da einzelne Impfstoffe sehr stark gekühlt werden müssen.
Basel-Stadt will in den Messehallen ein grosses Impfzentrum einrichten. Wird es im Baselbiet ebenfalls ein grosses Zentrum geben?
Wir sind noch nicht so weit mit der Planung. Möglicherweise wird es im Baselbiet eher auf eine dezentrale Lösung hinauslaufen – unter Einbezug von Hausärzten und Apotheken. Mit vielen Verteilpunkten kommen wir vermutlich rascher voran. Zudem ist es natürlich möglich, dass teilweise auch zentral geimpft wird. Aber wie gesagt, das ist in Abklärung.
Was denken Sie: Ab wann kann bei uns geimpft werden?
Geben Sie mir eine Glaskugel … Von mir aus gesehen sollte bei den Impfstoffen nicht von den bewährten Zulassungsverfahren abgewichen werden. Stellen Sie sich vor, eine solche Impfung kommt zu früh auf den Markt und zeigt plötzlich schwere Nebenwirkungen. In einem solchen Fall würden wir weit zurückgeworfen. Die Zulassung wird also ihre Zeit brauchen, ich bin daher fast sicher, dass in diesem Jahr in der Schweiz noch nicht geimpft wird. Aber vielleicht ist es dann im ersten oder zweiten Quartal 2021 so weit.
Wie lange wird es anschliessend dauern, bis die Bevölkerung durchgeimpft ist?
Von einer völligen Durchimpfung möchte ich nicht sprechen: Es wird ein individueller Entscheid bleiben, ob man sich impfen lassen will oder nicht.
Also soll es auch keinen Zwang für Angestellte im Gesundheits- oder Pflegebereich geben? Käme dies nicht den Risikogruppen zugute?
Den individuellen Entscheid gilt es zu respektieren. Wir dürfen nun keine Freude an totalitären Eingriffen entwickeln. Die Eigenverantwortung muss hochgehalten werden.
Bedeutet der Impfstoff eigentlich das Ende der Pandemie?
Viren haben die Eigenschaft, dass sie mutieren und natürlich wissen wir nicht, ob sich noch schlimmere Varianten entwickeln werden. Allerdings denke ich, dass die Impfung letztlich ähnlich wirksam sein wird wie die Grippeimpfung, wobei man nicht vergessen darf, dass während einer schweren Grippesaison mindestens gleich viele Menschen sterben wie jetzt. Wie die Grippe werden wir auch Covid-19 nicht mehr loswerden, aber wir können die Krankheit dank der Impfung in den Bereich des akzeptierten Risikos bringen, so dass ein weitgehend normales Leben wieder möglich wird.
Das heisst: Der ganze Corona-Spuk wird im Sommer 2021 grösstenteils vorbei sein?
Ich möchte von einer starken Entspannung sprechen. Normale soziale Kontakte sollten wieder möglich sein, ebenso das Vereinsleben, Singen, Sport und so weiter. Aber vermutlich wird man weiterhin eher etwas auf Distanz bleiben. Vielleicht wird man nicht zur alten Sitte zurückkehren, dass sich auch wildfremde Leute mit drei Küsschen begrüssen …
Was Sie beschreiben, ist mehr als nur ein Silberstreifen am Horizont …
Ja, für den nächsten Sommer bin ich zuversichtlich. Und für den Sommer 2022 bin ich es erst recht (lacht und zeigt auf ein Plakat für das Eidgenössische Schwingfest in Pratteln, bei dem er OK-Präsident ist).
Die finanzielle Bewältigung der Coronakrise wird uns aber wohl noch lange beschäftigen. Was hat sie den Kanton Baselland bislang gekostet?
Es wird wohl ein hoher zweistelliger oder ein tiefer dreistelliger Millionenbetrag für unseren Kanton sein. Das bleibt nach Ansicht der Regierung im tragbaren Bereich. Wir kommen allerdings beim Schuldenabbau weniger schnell vorwärts, als wir das eigentlich beabsichtigt hatten. Sorgen mache ich mir hingegen für die Staaten, die den totalen Lockdown angeordnet haben und die Ausfälle der Wirtschaft übernehmen. Dort drucken die Zentralbanken nun einfach mehr Geld, um das bezahlen zu können. Ökonomisch geht das nicht auf, das wird diesen Staaten irgendwann um die Ohren fliegen.
Wie wird die Baselbieter Wirtschaft aus dieser Krise herauskommen?
Unsere Wirtschaft ist grundsätzlich breit und robust aufgestellt. Am meisten Restrukturierungen wird es im Baselbiet wohl in der Event- und der Reisebranche geben. Aber im grossen Ganzen dürfte die Wirtschaft deutlich besser aus der Krise herauskommen, als dies lange befürchtet werden musste.