Jungsozialisten wollen Gratis-ÖV in der Region
30.10.2020 Baselbiet, Verkehr, PolitikLandeskanzlei hat Initiative für gültig erklärt – Unterschriftensammlung verzögert sich wegen Corona
Der öffentliche Verkehr wird heute zu 50 Prozent mit Steuergeldern finanziert. Das ist den Baselbieter Jungsozialisten aber noch nicht genug. In einer Gesetzesinitiative fordern sie, ...
Landeskanzlei hat Initiative für gültig erklärt – Unterschriftensammlung verzögert sich wegen Corona
Der öffentliche Verkehr wird heute zu 50 Prozent mit Steuergeldern finanziert. Das ist den Baselbieter Jungsozialisten aber noch nicht genug. In einer Gesetzesinitiative fordern sie, dass jeder Baselbieter und jede Baselbieterin im TNW-Verbundgebiet gratis Bus, Bahn und Tram fahren darf.
Christian Horisberger
«Wir befinden uns in einer massiven Klimakrise und es braucht ein radikales Umdenken, um sie zu bewältigen.» Das sagt die Baselbieter Juso-Präsidentin Anna Holm. Ein Klimafaktor sei der Verkehr, und der öV sei neben dem Velo «die beste Lösung, die wir haben». Daher müssten Anreize geschaffen werden, um eine Verlagerung zu bewirken. In der Schweiz seien in mehreren Kantonen ähnliche Vorstösse in Vorbereitung, sagt Holm. Als Beispiel nennt sie die Stadt Bern, mit der Partei der Arbeit als Drahtzieherin.
Jenseits der Landesgrenze hat es Luxemburg vorgemacht: Seit März sind dort die öffentlichen Verkehrsmittel gratis – ausser, man sitzt in der 1. Klasse. Den Staat kostet das Experiment laut Medienberichten mehr als 40 Millionen Franken im Jahr. Die Juso kennen das Preisschild ihrer Initiative noch nicht: «Das ist nicht Teil der Grundsatzfrage, die wir stellen», stellt Holm klar.
BLT-Direktor Andreas Büttiker hilft aus: «Dem TNW würden jährliche Einnahmen in der Grössenordnung von geschätzten 74 Millionen Franken entgehen, wenn die Baselbieter gratis fahren dürften.»
Mehr Platz im öV schaffen
Hinzu kommt: Wird der öffentliche Verkehr günstiger, steigt die Nachfrage – aber die Pendlerzüge sind bereits heute gestossen voll. Dessen sei sich ihre Partei bewusst, sagt Holm: «Wir hoffen sehr, dass ein Umdenken erfolgt und im öV mehr Platz zur Verfügung gestellt wird.» Um Fragen wie diese zu klären, räumt die ausformulierte Initiative der Regierung ein Jahr Zeit ein, um die Forderung umzusetzen.
Holm ist stolz auf diesen jüngsten Wurf der Juso: Es sei keine utopische, sondern eine fassbare Forderung, die durchaus Chancen auf einen realpolitischen Erfolg haben könne. Als ebenso wichtig beurteilt sie die Debatte, welche die Initiative auslösen werde. Auch jene über das Giesskannenprinzip – Holm bevorzugt den Begriff «Streublumenprinzip» – mit dem Dutzende Millionen Steuerfranken ausgeschüttet werden sollen.
Essen ist auch nicht gratis
Für FDP-Präsidentin Saskia Schenker (Itingen) ist die Initiative «ein weiteres Beispiel für die Juso-Gratismentalität». Das U-Abo in der Nordwestschweiz sei ein Erfolgsmodell, sagt sie. Es beinhalte sehr gute Leistungen, sei kostengünstig und funktioniere. Die heutige Subvention durch den Kanton sei bereits umfassend und ermögliche dieses Erfolgsmodell überhaupt erst. «Gute Leistung darf auch etwas kosten», findet Schenker. Alle, die sich ein U-Abo leisteten, nutzten es dann auch entsprechend. Und der ÖV-Anbieter habe so den Anreiz, immer besser zu werden: «Was nichts kostet, ist nichts wert.»
Dem pflichtet Andreas Büttiker bei und macht deutlich: «Esswaren sind nicht gratis, die Krankenversicherung ist nicht gratis und die Mobilität ist nicht gratis – auch die ÖV-Mobilität nicht.» Der BLT-Chef attestiert den Juso «edle Absichten», hält aber gleichzeitig fest, dass die ÖV-Billetts in der Region schon heute in hohem Mass dank Steuermitteln sozialverträglich seien. Was die Juso forderten, könne sich der Kanton schlicht nicht leisten.
Auch Peter Riebli (Buckten), SVP-Fraktionspräsident im Landrat, erkennt keinen Bedarf für einen noch günstigeren öV. Er befürchtet, dass ein kostenloses Angebot zu unnützen Fahrten führen würde. Da auch der öV Energie brauche, solle kein Überkonsum produziert werden. Wichtiger als ein Gratisangebot sei ohnehin ein gut ausgebautes Netz mit guten Anschlüssen.
Unterschriftensammlung später
1500 Stimmberechtigte Baselbieterinnen und Baselbieter müssen die Jungsozialisten gewinnen, um den Gratis-ÖV an die Urne zu bringen. Die Parteichefin ist überzeugt, dass die Juso die Unterschriften falls nötig auch ohne die Sammelunterstützung von SP, Gründen und VCS, die über die Initiative im Bild seien, zusammenbringen werden.
Gemäss dem gestern erschienenen Amtsblatt hat die Landeskanzlei die Initiative für gültig erklärt. Gefordert wird die folgende Anpassung von Paragraf 5a (Finanzierung der Abonnements) des Gesetzes zur Förderung des öffentlichen Verkehrs: «1. Der Kanton finanziert jeder im Kanton Baselland dauerhaft niedergelassenen Person das Jahres-Verbundsabonnement. 2. Die Änderung tritt ein Jahr nach der Abstimmung in Kraft.»
Somit könnten die Juso jetzt mit der Unterschriftensammlung loslegen. Wäre da nicht Corona. Holm: «Angesichts der Situation mit dem Coronavirus steht für uns die Gesundheit der Menschen im Vordergrund. Wir werden die Unterschriftensammlung verschieben.» Das sei zwar ein Dämpfer, die Erfolgsaussichten für ein Zustandekommen der Initiative sieht Holm dadurch aber nicht geschmälert. Klimawandel und Mobilität würden die Menschen auch noch nach der Corona-Welle beschäftigen: «Das sind keine Eintagsfliegen.»