Die «Chedditi» bleibt ein Zankapfel
13.08.2020 Baselbiet, Bauprojekte, Bezirk LiestalGutachten über den Wert der historischen Gebäude hat keine Folgen
Einzelne Gebäude der stillgelegten Sprengstofffabrik Cheddite sind schützenswert und sollen nicht abgerissen werden. Zu diesem Schluss kommt ein unabhängiges Gutachten über das historische Gebäudeensemble. Der ...
Gutachten über den Wert der historischen Gebäude hat keine Folgen
Einzelne Gebäude der stillgelegten Sprengstofffabrik Cheddite sind schützenswert und sollen nicht abgerissen werden. Zu diesem Schluss kommt ein unabhängiges Gutachten über das historische Gebäudeensemble. Der Liestaler Stadtrat hält dennoch an der geplanten Überbauung auf dem Areal fest.
Sebastian Schanzer
Was ist wichtiger: der Erhalt von industriegeschichtlich und architektonisch wertvollen Gebäuden oder das Bedürfnis nach neuem Wohnraum beziehungsweise das Ziel einer Verdichtung der Siedlungsflächen? Der Liestaler Stadtrat hat sich bei der geplanten Überbauung auf dem ehemaligen Cheddite-Areal dieser Frage gestellt – nicht, weil er es für nötig erachtet hätte, sondern weil das Kantonsgericht ihn dazu verpflichtete. Denn mehrere historische Gebäude sollen der Überbauung weichen, die sich flächenmässig zu etwa gleichen Teilen auf Liestaler und Lausner Boden befinden wird. Sechs Wohnblöcke in Lausen stehen bereits, vier weitere sollen, einen Steinwurf entfernt, auf Liestaler Boden zu stehen kommen. Mehr als 200 Wohnungen soll das neue Weidmatt-Quartier künftig umfassen.
Das Gericht hiess im Mai vergangenen Jahres eine Einsprache des Baselbieter Heimatschutzes gegen den vom Einwohnerrat bereits 2017 und ein Jahr später von der Baselbieter Regierung abgesegneten Quartierplan gut. Der Denkmalschutz ist der Meinung, einzelne historische Gebäude müssten erhalten bleiben und forderte von den Quartierplanern zumindest eine ordentliche Interessenabwägung. Die Richter folgten dem Beschwerdeführer: Ein unabhängiges Gutachten über die Schutzwürdigkeit des Cheddite-Gebäudeensembles müsse erstellt werden. Erst anhand dessen könne die Stadt Liestal eine Interessenabwägung vornehmen, die auch den rechtlichen Ansprüchen genüge.
Dieses Gutachten liegt seit Ende 2019 vor und ist gemeinsam mit der Traktandenliste der kommenden Einwohnerratssitzung vom 19. August im Internet aufgeschaltet. Der renommierte Kunst- und Architekturhistoriker Michael Hanak aus Zürich kommt darin zum Schluss: «Die Chedditefabrik ist ein wesentlicher Teil der Liestaler Ortsgeschichte sowie der Industriegeschichte im Kanton Basel-Landschaft. Auf Kantonsgebiet finden sich keine direkt vergleichbaren Fabrikanlagen, die Sprengstofffabrik Cheddite ist im Kanton Basel-Landschaft einzigartig.» Aufgrund des «hohen sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen» Werts und der architekturgeschichtlichen Einschätzung seien einige Gebäude kommunal schützenswert, schreibt Hanak. Sechs Gebäude gelte es zu erhalten, zwei davon – das 1916 erbaute Verwaltungs- und Wohngebäude und das Transformatorenhaus von 1912 inklusive 1918 angebautem Waschund Badehaus – befinden sich auf Liestaler Boden. Die anderen vier liegen auf dem Gemeindegebiet Lausen im sogenannten Windental, das nicht im betroffenen Planungsperimeter liegt.
Ein Konflikt der Schutzempfehlung mit dem Bauprojekt besteht also nur beim Verwaltungsund Wohngebäude. Das Transformatorenhaus soll auch nach dem umstrittenen Quartierplan erhalten bleiben.
Entschädigung in Millionenhöhe
Der Baselbieter Heimatschutz würdigt Hanaks «sorgfältige Analyse» in seiner Stellungnahme zum Gutachten,würde die Liste der zu erhaltenden Gebäude aber gerne noch erweitern. Viel problematischer für den Heimatschutz-Präsidenten Ruedi Riesen ist allerdings etwas anderes: Der Liestaler Stadtrat legt den Quartierplan nach der erfolgten Interessenabwägung nun erneut dem Einwohnerrat vor, ohne irgendetwas am Bauvorhaben geändert zu haben. Die lnteressen am Abbruch des Verwaltungs- und Wohngebäudes überwiegten die lnteressen des Schutzes, schreibt er in seinem Antrag an den Einwohnerrat. Er begründet dies insbesondere mit der angestrebten «Verdichtung und inneren Siedlungsentwicklung».
Für den Heimatschutz ist hingegen klar: Die Stadt Liestal folgt allein den privaten Interessen an bestmöglicher baulicher Ausnutzung und Gewinnmaximierung, wenn sie den Empfehlungen des Gutachters nicht folgt und das umstrittene Gebäude abreissen lässt. Dabei werde die Überbauung bei Erhalt des Gebäudes nur «verhältnismässig gering» eingeschränkt, schreibt Ruedi Riesen in der Vernehmlassung zum Quartierplan.
Das sehen die Anwälte der Grundeigentümer in ihrer Stellungnahme allerdings anders. Sie sprechen von einer «massiven Reduktion der Ausnützung» und würden möglicherweise Anspruch auf Entschädigung für materielle Enteignung in «Millionenhöhe» erheben. Sie sind überzeugt: Die Unterschutzstellung des Verwaltungs- und Wohngebäudes würde die geplante Überbauung verunmöglichen.
Gut möglich ist demgegenüber, dass sich die uneinigen Parteien dereinst wieder vor Gericht treffen. Gegenüber der bz kündete Riesen bereits an: «Wird der Quartierplan so genehmigt, bleibt uns gar nichts anderes übrig, als erneut eine Einsprache zu machen.»