Vorwärts in die Zukunft
23.06.2020 Baselbiet, Landwirtschaft, Bezirk Sissach, SissachHeiner Oberer
Was für eine Aussicht! Der Blick geht über saftiges Grün, adäquat ausgerichtete Niederstammobstbäume und zahlreiche Rebstöcke ins Tal, wo Sissach liegt. Wir sitzen unter einem ausladenden Nussbaum auf dem Vorplatz des im Jahr 1802 erbauten Flueberghofs ...
Heiner Oberer
Was für eine Aussicht! Der Blick geht über saftiges Grün, adäquat ausgerichtete Niederstammobstbäume und zahlreiche Rebstöcke ins Tal, wo Sissach liegt. Wir sitzen unter einem ausladenden Nussbaum auf dem Vorplatz des im Jahr 1802 erbauten Flueberghofs oberhalb von Sissach, den Claudia Grazioli als Eigentümerin, Ane Boelsma und Tochter Laura in der 9. Generation als sogenannte Generationengemeinschaft führen. Der Hof liegt in der ehemaligen «Sunzleten». Der Flurname leitet sich vom Wort Sulzo ab, was so viel wie Wildlache, Morast bedeutet.
Am Tisch sitzen Laura Grazioli, die eine landwirtschaftliche Zusatzausbildung und ein Studium der Internationalen Beziehungen an der Universität St. Gallen HSG absolviert hat, und der Ormalinger Weinbauer Claude Chiquet. Wir wollen über die Aussichten reden. Nicht über den Blick ins Tal. Nein. Die Rede soll von den Zukunftsaussichten sein. Wie geht es auf dem Hof weiter? Wie sieht die nähere Zukunft aus?
Laura Grazioli strahlt: «Mein Bruder Moritz und ich werden den Hof Anfang 2022 von meiner Mutter übernehmen.» Moritz, gelernter Hochbauzeichner und in der Ausbildung zum Obstfachmann, wird sich um die Obstkulturen kümmern. Mit mehr als 100 alten, modernen und Pro-Specie-Rara-Sorten wird er sich auf dem Fluhberg beschäftigen. Laura Grazioli übernimmt die Verantwortung für den Weinbau. «Den Eventbereich, den wir beide zusammen mit meinem Ehemann aufgebaut haben, werden wir weiterhin gemeinsam betreiben. Natürlich wird uns unsere Mutter so lange wie möglich weiterhin tatkräftig zur Seite stehen.»
«Fokus auf Qualität»
Jetzt kommt der Weinbauer Claude Chiquet ins Spiel, der mit seiner Ehefrau Ruth in Ormalingen eine Weinkellerei betreibt und drei Rebberge bewirtschaftet. «Wir streben einen Rebbau an, der, soweit möglich, ohne Pflanzenschutz auskommt», sagt er. So stehen in den Rebanlagen in Ormalingen und Maisprach nur neue, sogenannte pilzwiderstandsfähige Rebsorten (siehe Kasten). Laura Grazioli nickt und sagt: «Unser Ziel ist es, den gesamten Betrieb in einigen Jahren, wo immer möglich, auf Bio umzustellen.» Sie sei sich allerdings bewusst, dass das ein ambitioniertes Vorhaben sei.
Ein erster Schritt sei die Zusammenarbeit mit Claude Chiquet. «Wir legen die Bewirtschaftung unserer Rebberge zusammen. Zu diesem Zweck ist ein Winzer angestellt worden, der die Arbeiten in den verschiedenen Rebbergen übernimmt. Zudem wird Claude in Zukunft unsere Weine keltern», sagt Laura Grazioli. Das bedeute, dass in den nächsten Jahren die Rebanlagen auf dem Fluhberg erneuert werden müssen. Anstelle der Blauburgunder- und Sauvignon-Blanc-Trauben wurden in einem ersten Schritt pilzwiderstandsfähige Rebsorten wie Muscaris- und Sauvinac-Trauben angepflanzt.
Moritz Grazioli, der mit dem Verlesen frisch gepflückter Kirschen beschäftigt ist, erklärt, dass der Grossteil des Obstes direkt ab Hof, am Sissacher «Bure Märt» oder am Bauernmarkt in Liestal verkauft wird. «Wir verzichten seit Jahren auf den Einsatz von Herbiziden und Kunstdünger, mit klarem Fokus auf Qualität und Geschmack, auf natürliche und gesunde Produkte, hinter denen wir mit Überzeugung stehen können.» Zudem – man hört sie aus der Ferne blöken – beweiden gegen 50 schwarzbraune Bergschafe die Wiesen rund um den Hof. Die Schlachtung und Verarbeitung übernimmt die Metzgerei Andrist in Nusshof.
Tanz auf vielen Hochzeiten
Was bleibt, ist die Frage, wie Laura Grazioli, die auf vielen Hochzeiten tanzt, alles unter einen Hut bringt. Ist sie doch zusätzlich Mitglied des Baselbieter Landrats, in der Sissacher Gemeindekommission, Vizepräsidentin der Grünen Baselland, Präsidentin der Finanzkommission und Mutter einer knapp zweijährigen Tochter. Sie überlegt lange und sagt dann: «Wenn es im Moment auch etwas viel ist und vieles auf einmal kommt, macht es doch Spass. Ich bin gut organisiert und werde auch von meinem Ehemann Florian nach Kräften unterstützt.»
Die Eltern von Laura Grazioli haben den Hof, der damals traditionell geführt wurde, von ihrem Grossonkel Heiri Frei übernommen. «Wir werden versuchen, einen Weg zwischen erfolgreichem Wirtschaften und ökologischer Bewirtschaftung zu finden. Ich denke, es ist wichtig, Wirtschaft und Ökologie in Einklang zu bringen. Das führt unter anderem dazu, dass unsere Lebensgrundlagen erhalten bleiben.»
Die widerstandsfähigen Rebsorten
hob. Bekannte europäische Traubensorten wie Cabernet Sauvignon, Merlot, Pinot Noir, Riesling oder Chardonnay sind krankheitsanfällig. Je nach Klima und Wetterverhältnissen müssen sie mehr oder weniger oft mit Pflanzenschutzmitteln behandelt werden. Seit etlichen Jahren gibt es eine vielversprechende Alternative: «Piwi» steht für «pilzwiderstandsfähige Reben». Sie sind aus Kreuzungen zwischen Europäer-Reben und pilzresistenten Wild-Reben hervorgegangen. Zu den bekanntesten Piwi-Reben gehören Cabernet Jura, Monarch, Regent, Maréchal Foch und Léon Millot (rot) sowie Johanniter, Seyval Blanc und Solaris (weiss).
Quellen: Delinat und Bio Suisse