Fasnacht in den Zeiten des Coronavirus
03.03.2020 Bezirk Sissach, Fasnacht, SissachDenkwürdige Szenen einer fast verhinderten Fasnacht: Trotz Verbots wegen des Corinavirus versammelten sich am Sonntag im Zentrum von Sissach die Massen. Am Abend trat die Polizei auf den Plan: Der kantonale Krisenstab hatte in Sissach und in Liestal ein Ausschankverbot ...
Denkwürdige Szenen einer fast verhinderten Fasnacht: Trotz Verbots wegen des Corinavirus versammelten sich am Sonntag im Zentrum von Sissach die Massen. Am Abend trat die Polizei auf den Plan: Der kantonale Krisenstab hatte in Sissach und in Liestal ein Ausschankverbot verfügt.
David Thommen
In der Oberbaselbieter Metropole wurde schon gleich zu Beginn des sonnig-freundlichen Sonntagnachmittags klar, dass viele Fasnächtler nicht gewillt waren, das am Freitag vom Bundesrat wegen des Coronavirus verhängte Fasnachtsverbot zu beachten – oder zumindest nur halbherzig. Trotz des geltenden absoluten Verbots von Grossanlässen mit mehr als 1000 Personen mögen es in Sissach zur Spitzenzeit vielleicht 3000 Personen gewesen sein, die sich im Ortskern drängten und eine Art unorganisierte Fasnacht zelebrierten. Die Polizei markierte deutlich Präsenz, liess die Feiernden weitgehend gewähren, solange nicht musiziert wurde.
«Das ist Rebellion», hiess es bei den einen, die sich darüber freuten, dass es eine Fasnacht trotz allem gab. Das Wort «Rebellion» war auch bei Passanten zu hören, die sich über das bunte Treiben ärgerten, aber trotzdem den Weg ins Zentrum fanden. Offensichtlich massiv geärgert haben sich auch die Verantwortlichen beim Kanton: Gegen Abend wurden die lokalen Verantwortlichen vom kantonalen Krisenstab nach Liestal zum Rapport bestellt. Danach folgte das, was sich – wie zuvor schon die Absage der Fasnacht – wohl niemand hätte vorstellen können: Es wurde verfügt, dass sämtliche Beizen in Sissach und Liestal, wo ebenfalls ausgelassen gefeiert worden war, ab 19 Uhr nichts mehr ausschenken dürfen und alle Gäste nach dem Austrinken auf die Strasse stellen müssen. Auch Detailhändlern und Tankstellenshops wurde der Verkauf von Alkohol untersagt.
Polizei stellte Verfügung zu
Einem Trupp von wackeren Polizisten kam die unangenehme Aufgabe zu, die entsprechende Verfügung jedem einzelnen Beizer überbringen zu müssen. In Sissach rückten die Uniformierten ab 20.30 Uhr zu ihrer «Beizentour» an. Nach heftigem Regen und Wind hatte sich das Geschehen von der Strasse in die Lokale verlagert. Bei den meisten Wirten und Gästen hatte sich längst herumgesprochen, dass die Verfügung bald eintreffen würde. Die Polizei trat in den Lokalen ruhig und bestimmt auf, was wesentlich dazu beitrug, dass die Situation nicht eskalierte, was angesichts des zum Teil deutlich angeheiterten Zustands der Fasnächtler eine Zeit lang im Bereich des Möglichen schien.
Was nicht heisst, dass es ruhig blieb: Beim Bahnhof wurde ein Patrouillenfahrzeug der Polizei mit Fusstritten und Gegenständen traktiert, die Heckscheibe des Fahrzeugs nahm Schaden. Zum Teil mussten sich die Polizisten auch lautstarke Flüche oder politische Reden anhören: «Ich bin ein freier Schweizer und ich trinke mein Bier wo und wann ich will!», verkündete ein Kostümierter vor einem Restaurant trotzig. Ein anderer rief aus: «Ich weiss, wen ich das nächste Mal wählen werde – niemanden!» Viele Gäste zeigten aber auch Verständnis und zogen rasch von dannen.
Saftige Busse für Wirt
Häufig zerschellten Flaschen auf den Strassen, was als Zeichen des Protestes gewertet werden konnte. Später versammelte sich oberhalb des Sissacher Bahnhofs ein Pulk mit vermutlich rund 500 Personen. Die Behörden beschrieben die Stimmung später als «aggressiv», passiert ist jedoch nicht mehr viel. Ein Polizist zur «Volksstimme»: «Viele kapieren nicht, dass wir nur die Überbringer der Nachricht sind.» Um 23 Uhr waren alle Beizen leer und in Sissach kehrte langsam Nachtruhe ein.
In Liestal spielten sich ähnliche Szenen ab. Dort kam es in einem Fall zu einem Reizstoffeinsatz; eine laut Polizei «renitente» und offensichtlich massiv alkoholisierte Person wurde festgenommen. Zumindest ein Beizer hatte es mit der regierungsrätlichen Verfügung nicht allzu ernst genommen, sein Lokal wurde erst gegen 2 Uhr in der Früh geräumt. Er kassiert eine vermutlich saftige Busse.
Grosse Einbussen für Wirte
Viele der Wirte in Sissach waren konsterniert, manche den Tränen nah. Grosse Umsätze wären an diesem Abend noch möglich gewesen. Viele Restaurants dürften nun auch auf ihren grossen Vorräten sitzen bleiben. Nach dem Zustellen der Verordnung zog die Polizei sofort wieder ab. An den Wirten blieb die Aufgabe hängen, ihre Gäste zu vertreiben. Manche kamen der Aufforderung schneller nach, andere liessen noch eine oder zwei letzte Runden zu.
Etliche Beizer bezeichneten die Räumung gegenüber der «Volksstimme» als unverhältnismässig: Sie hätten strikte darauf geachtet, dass sie nicht gegen die Verordnung des Bundesrats verstossen. Pro Lokal seien nie mehr als die erlaubten 200 Personen zugegen gewesen. Sie würden zu Unrecht bestraft. Tatsächlich war zu beobachten, dass an den Eingängen der Lokale die Gäste gezählt und solche bei drohender Überbelegung abgewiesen worden sind.
Neue «Corona»-Verdachtsfälle
Gleich drei Regierungsräte traten gestern Morgen in Liestal vor den Medien auf, um die zum Teil kritisierte Massnahme zu rechtfertigen. Regierungspräsident Isaac Reber (Grüne) fand deutliche Worte: «Die Toleranzschwelle in Liestal und Sissach ist deutlich überschritten worden.» Dem Regierungsrat sei nichts anderes übrig geblieben, als «diese Grossveranstaltungen zu unterbinden und den rechtswidrigen Zustand zu beenden». Das Ausschankverbot bezeichnete Reber als «milde und verhältnismässige Massnahme». Die Regierung sende damit ein klares Zeichen, dass die Polizei nun auch bei weiteren ähnlichen Veranstaltungen konsequent einschreiten werde. Reber: «Es gibt kein absolutes Recht auf Fasnacht. Das muss akzeptiert werden.» Polizeikommandant Mark Burkhard sagte, die Polizei habe tagsüber ständig den Dialog mit den Feiernden gesucht und sie aufgefordert, den Ort des Geschehens wieder zu verlassen. Gefruchtet habe dies aber nicht.
Kein Händeschütteln mehr
Sicherheitsdirektorin Kathrin Schweizer (SP) ergänzte, dass sämtliche erteilten Freinachtbewilligungen zurückgezogen worden seien. Wirten, die sich nicht daran hielten, drohten Bussen. Gesundheitsdirektor Thomas Weber (SVP) sagte, nicht die Baselbieter Regierung sei eine «Spassbremse», sondern das Coronavirus. Grossveranstaltungen könnten zu einer unkontrollierten Weiterverbreitung beitragen, was verhindert werden müsse. Weber verwies auf die Empfehlung, wonach Personen einen Abstand von einem bis zwei Meter voneinander einhalten sollten. Seit gestern empfiehlt der Bundesrat zudem, auf das Händeschütteln zu verzichten und Papiertaschentücher nur noch in verschliessbaren Behältern zu entsorgen. Reber sprach von einem Akt der Solidarität, nicht zur Weiterverbreitung des Erregers beizutragen. Speziell alte Menschen seien gefährdet. Man solle sich auf verantwortungsvolles Handeln und auf den gesunden Menschenverstand besinnen. Nebenbei: An der gestrigen Pressekonferenz in Liestal wurde auf Initiative der Regierung demonstrativ aufs Händeschütteln verzichtet.
Im Baselbiet gibt es bisher drei bestätigte Coronavirus-Fälle, einer davon im Oberbaselbiet. Die Fälle hängen im Ursprung zusammen: Ein junges Paar – die Frau arbeitet in einer Tagestätte in Riehen – hatte sich in Norditalien angesteckt (siehe Extrablatt vom Samstag). Insgesamt befinden sich mittlerweile 45 Baselbieterinnen und Baselbieter in Quarantäne – zwei davon im Oberbaselbiet. Zudem seien 14 Verdachtsfälle in Abklärung, hiess es gestern. Die Spitäler seien bei den Tests bereits jetzt an der Kapazitätsgrenze angelangt. Vor einem Besuch solle man sich unbedingt telefonisch beim Hausarzt oder der Notfallstation anmelden.
Weiterhin in Betrieb ist die Hotline des kantonalen Krisenstabs, die am Freitag für Veranstalter von Anlässen mit einer Besucherzahl von 200 bis maximal 1000 eingerichtet worden ist (0800 800 112). 148 Anfragen sind dort bis gestern Morgen eingegangen, woraus 29 konkrete Gesuche resultierten. Bewilligt wurden bisher 7 Gesuche, 10 wurden abgelehnt – darunter die Anfrage für ein reduziertes Guggenkonzert in Waldenburg. Die restlichen Gesuche sind noch in Behandlung.