Anarchie im Kleinen
03.03.2020 Bezirk Sissach, Fasnacht, SissachMit ihrer Aktion, am Sonntagabend ein Miniatur-«Chluuri» zu verbrennen, haben sich die Sissacher Söidryyber über das Fasnachtsverbot hinweggesetzt. Der bescheidene Akt zivilen Ungehorsams zeigt, dass sich Verbote nicht so leicht verordnen lassen.
Schaaryyse
Päng. ...
Mit ihrer Aktion, am Sonntagabend ein Miniatur-«Chluuri» zu verbrennen, haben sich die Sissacher Söidryyber über das Fasnachtsverbot hinweggesetzt. Der bescheidene Akt zivilen Ungehorsams zeigt, dass sich Verbote nicht so leicht verordnen lassen.
Schaaryyse
Päng. Es fühlte sich an wie ein Schlag in die Magengrube. Einfach nur traurig, sagt Roger Graf von den Sissachern Söidryyber. So beschreibt er seine Gemütslage, als er am vergangenen Freitag vernimmt, dass alle Grossveranstaltungen in der Schweiz wegen des Coronavirus abgesagt sind. Die Meldung macht im Söidryyber- Chat schnell die Runde. «Insgeheim hoffte ich, dass die Sissacher Fasnacht nicht von der Absage betroffen ist. Realistisch gesehen war aber klar: Die Fasnacht 2020 fällt ins Wasser», so Graf weiter. Und so ist es.
Samstagmorgen, 10 Uhr. Im Cliquenkeller der Söidryyber. Die Stimmung ist gedrückt. Man muntert sich gegenseitig auf. Schnell verfliegt die schlechte Stimmung und man beschliesst: «Jetzt erst recht.» Am Wagen der Söidryyber, der seit 20 Jahren von Hand gezogen wird, werden die letzten Verschönerungs-Arbeiten vorgenommen. «Die Sujetwahl ist uns heuer leichtgefallen. Nach 20 Jahren hat Gründungsmitglied und Alterspräsident Heiner Oberer seinen Rücktritt erklärt. Ihm wollen wir die Ehre erweisen.»
Hühnerfüsse statt Konfetti
Je länger der Morgen dauert, desto mehr macht sich bei den sieben Söi dryybern Trotzstimmung breit. «Für uns ist die Fasnacht etwas Archaisches. Wir sträuben uns gegen zu viele Verbote und Vorschriften», erklärt Roger Graf. Fasnacht könne man nicht einfach verbieten. «Aber: Die Absage kommt unserer Vorstellung von Fasnacht entgegen. Für uns ist und war der sonntägliche Umzug, so schön wie er ist, immer ein Muss.» Zu gross. Zu laut. Sie hingegen seien mit ihrem handgezogenen Wagen immer auf Augenhöhe mit dem Publikum. Nahe beim Volk. Agieren und Intrigieren, was das Zeug hält. Statt Konfetti Hühnerfüsse und Sauschwänzchen.
Darum beschliessen die sieben am Sonntag, trotz Verbot, ihren Wagen in der Begegnungszone zu platzieren. Als besondere Überraschung planen sie, am Sonntagabend eine «Chluuri»-Verbrennung durchzuführen. Auch das ein kleiner Akt verschwörerischer Aufmüpfigkeit gegen die Obrigkeit.
In kurzer Zeit entsteht ein Miniatur-«Chluuri». Das auf einem Wagen, gezogen von einem Kindertraktor. «Ich habe gespürt, jetzt ist der Fasnachts-Virus zurück. Das ist genau die Art von Fasnacht, die wir Söidryyber lieben. Ohne viel Aufhebens. Klein, aber fein. Fasnacht für uns halt», sagt Graf.
Ziviler Ungehorsam
Für Graf ist klar, dass der Entscheid, heuer die Fasnacht zu verbieten, richtig ist. Das heisst aber nicht, einfach klein beizugeben. «Für uns war klar, dass die diesjährige Fasnacht komprimiert stattfindet. Der Sonntag muss für fünf Tage herhalten.» Er sei sich bewusst, dass die Schwelle zum zivilen Ungehorsam schnell überschritten sei. «Als ich aber die vielen Hundert Menschen am Sonntagnachmittag in der Sissacher Begegnungszone gesehen habe, die sich ebenfalls über die behördliche Verfügung hinweggesetzt haben, wurde mir klar, dass man Verbote nicht so einfach verordnen kann.»
Das Volk, in diesem Fall das Fasnachts-Volk, hat sich für einmal aufmüpfig verhalten und friedlichen Widerstand geleistet. Das auch dank kulanter Polizisten, die das Geschehen stets im Auge hatten, aber nie wirklich einschreiten mussten. Die schwierige Situation mit dem grassierenden Coronavirus zeige aber auch, wie schnell unsere ach so heile Welt aus den Fugen gerät: «Es war aber niemand gezwungen, sich in der Begegnungszone aufzuhalten.»
Fasnachtsverbot als Chance
Um 19 Uhr am Sonntagabend marschiert die kleine Gruppe, die Söidryyber, in weisse Leintücher gehüllt, Richtung Friedhof, wo das «Chluuri» im freien Feld in Rauch aufgehen soll. Der Redner verabschiedet das Sissacher Wahrzeichen mit salbungsvoller Stimme und dem traditionellen «Aadie Chluuri, aadie Fasnecht», bevor es in den Fasnachts-Himmel entschwindet. Graf ist zufrieden. Ohne viel Aufsehen zu erregen, im kleinen Rahmen, haben die Söidryyber ihre eigene Fasnacht zelebriert.
Man kann das Fasnachtsverbot aber auch als Chance sehen, um sich Gedanken über den Sinn der Fasnacht zu machen. Einer Fasnacht, die sich gewandelt hat. Die heute geschleckt und wohl organisiert daherkommt. Die viel vom archaischen Ursprung verloren hat. Wo das Grosse und Laute dominiert. Wo sich Gruppen alkoholisierter Nichtfasnächtler im Sauglattismus ertränken.Vielleicht bewirkt das Coronavirus ein kurzes Innehalten. Nutzen wir die Zeit, um über die Zukunft der Fasnacht nachzudenken.