"Unsere Herkunft gibt uns Charakter und Persönlichkeit"
28.12.2019 Bezirk Waldenburg, Wirtschaft, HölsteinRolf Studer über die «protestantische» Art und Weise, wie die Firma Oris Uhren macht
«Wir kommen von hier und wir bleiben hier», sagt der Co-CEO von Oris, Rolf Studer. Hergestellt werden in Hölstein ausschliesslich mechanische Uhren, als würde nicht die ganze Welt von der ...
Rolf Studer über die «protestantische» Art und Weise, wie die Firma Oris Uhren macht
«Wir kommen von hier und wir bleiben hier», sagt der Co-CEO von Oris, Rolf Studer. Hergestellt werden in Hölstein ausschliesslich mechanische Uhren, als würde nicht die ganze Welt von der Digitalisierung überrollt. Studer erklärt im Interview die Philosophie, die Oris wachsen lässt.
David Thommen
Herr Studer, die Marke Oris war im Jahr 2019 in der Region Basel kaum zu übersehen – Sie treten an vielen Veranstaltungen als Werbepartner auf. Hat Oris den Heimmarkt wiederentdeckt?
Rolf Studer: Wir verkaufen unsere Uhren weltweit. Den Heimmarkt haben wir zwar nie vergessen, aber es ist tatsächlich so, dass wir uns wieder stärker auf unsere Wurzeln besinnen. Wir führen «Hölstein 1904» seit einiger Zeit im Logo, um zu zeigen: Wir kommen aus dem Waldenburgertal! So, wie eine Person durch ihre Herkunft geprägt wird, ist das auch bei einer Marke. Wir tragen nach aussen, dass wir stolz auf unsere Herkunft sind.
Sieht man die «Herkunft Waldenburgertal» Ihren Uhren tatsächlich an?
Sehr sogar. Der Charakter unserer Uhren ist auf eine protestantische Art und Weise ausgeprägt deutschweizerisch:Alles muss Sinn ergeben, schlicht und von hoher Qualität sein. Wir reduzieren unsere Uhren aufs Wesentliche und verzichten auf jeglichen Schnickschnack.
Sie merken einer Uhr also an, ob sie aus der Deutsch- oder aus der Westschweiz kommt?
Die Westschweizer Produkte sind romantischer, lateinischer, häufig hat es mehr «Blingbling», sie sind vor allem auch Schmuck. Negativ formuliert könnte man sagen: Unsere Baselbieter Uhren sind spröder. Dafür aber sinnhafter.
Zurück zum wiederentdeckten Heimmarkt: Viele Uhrengeschäfte mussten hierzulande bereits aufgeben, weil der Handel ins Internet abgewandert ist. Sie hingegen haben – eher antizyklisch – in Basel einen grossen Oris-Laden eröffnet .
Da muss ich etwas ausholen. Früher lief unser Geschäft recht eindimensional: Unsere Kunden waren einzig die Händler, die unsere Uhren als eine von mehreren Marken in ihren Läden zum Verkauf anboten. Mittlerweile bedienen wir mehrere Kanäle. Die traditionellen Händler sind zwar wichtig geblieben, doch wir treten nun auch als Direktverkäufer auf, beispielsweise mit unserer «Maison Oris» am Barfüsserplatz. Dort wollen wir mit den Kunden unmittelbar in Kontakt kommen, sie sollen unsere Produkte breiter erleben können. Und dazu hat der Verkauf im Internet enorm an Bedeutung gewonnen. Über welchen Kanal wir eine Uhr verkaufen, ist uns letztlich einerlei.
Das Internet – ein Segen für Oris?
Ja. Vor allem hat uns als Hersteller das Internet erstmals den unmittelbaren Kontakt zu den Kunden ermöglicht – sie können uns seither via Feedbackformular präzise sagen, was sie von uns erwarten. Diese Wünsche waren zumindest lange Zeit nicht unbedingt deckungsgleich mit dem Feedback, das wir zuvor von den Händlern bekommen haben. Als Beispiel: Die Händler in China haben bis vor Kurzem noch sehr klassische Modelle bei uns eingekauft und in ihren Läden angeboten. Im Internet hingegen bestellten die Kunden aus China schon längst stark westlich geprägte Uhren. Mittlerweile haben nun auch die Händler dort gemerkt, dass die Konsumenten etwas anders ticken, als sie lange Zeit gedacht haben.
Machen Läden wie in Basel Schule?
Ja, wir haben auch Boutiquen in Amsterdam, London oder Zürich aufgemacht, weitere gibt es bereits in China und Indien. In Paris haben wir soeben eröffnet, Schanghai und Beijing folgen. Die Kunden sollen unser Produkt aus Hölstein direkt erleben und mit unserer Firma interagieren können.
Mit anderen Worten: Sie sind weltweit am Expandieren?
Eindeutig. Und wir verfolgen in unseren Läden neue Konzepte. Da gibt es Uhren nicht nur hinter Glas. Wie soll man eine Emotion zu einem Produkt entwickeln können, wenn man es nicht anfassen, fühlen und ganz genau anschauen darf – oder wenn doch, dann nur unter den gestrengen Blicken eines Verkäufers in Krawatte? Das ist letztes Jahrhundert.
In Basel sind Sie uns nicht nur als Sponsor des Kulturflosses aufgefallen, sondern zuletzt waren Sie auch an der Weinmesse präsent .
Ja, dort sind unsere potenziellen Kunden. Menschen, die bereit sind, für guten Wein Geld auszugeben, haben meistens auch Freude an schönen mechanischen Uhren. Mit solchen Konsumenten kommen wir an einem Ort wie der Weinmesse besser in Kontakt, als wenn wir uns hinter den Schaufenstern von Uhrenläden verstecken. Um das geht es uns: Um Luxus ohne Berührungsängste und Scheuklappen. Der Luxusbegriff hat sich stark gewandelt.
Inwiefern?
Wir haben uns wegbewegt vom «exklusiven» zum «inklusiven» Luxus. Noch vor wenigen Jahren erwarb man ein Luxusprodukt, um zu einem Kreis von Menschen zu gehören, der andere ausschliesst. «Exklusiv» hat heute einen negativen «Touch». Heute wollen die Konsumenten nicht mehr andere ausschliessen, sondern das Erlebnis teilen, wie sich ja auch auf Social Media zeigt: Alles wird geteilt. Wir sind heute nicht mehr in der exklusiven «Cüpli»-Zeit, sondern in der wahrhaftigeren Craft-Beer-Zeit. Es ist alles weniger steif. Zudem geht es auch wieder viel mehr darum, woher ein Produkt kommt. Da sind wir extrem stark, da wir nicht eine anonyme Firma von irgendwoher sind, sondern unsere Herkunft ausdrücklich betonen.
Kürzlich gaben Sie bekannt, dass Oris eine Partnerschaft mit dem Manager der Baseballmannschaft «New York Yankees» zum Thema «Männergesundheit» eingegangen ist. Was steckt dahinter?
Die Partnerschaft besteht mit «Movember» – einer Stiftung, die sich mit Männergesundheit befasst. Wir waren der Ansicht, dass dies gut zu uns passt. «Movember» versucht, das Thema Männergesundheit – speziell die Vorsorge gegen Hodenkrebs – ohne erhobenen Zeigefinger aufs Tapet zu bringen. Dass uns ein führendes Mitglied der «New York Yankees» hilft, unsere Botschaft zu verbreiten, ist für uns eine tolle Sache. Die «Yankees» sind einer der ganz grossen Marken in der Welt des Sports. Dass uns diese Zusammenarbeit gelungen ist, zeigt, wozu Oris mittlerweile in der Lage ist.
Wie wichtig sind die USA für Sie?
Amerika ist als Land unser grösster Markt. Aber wir haben sehr ausgeglichene Standbeine: China, Taiwan und Hongkong sind zusammen grösser als Amerika. Wir machen jeweils etwa die Hälfte unseres Umsatzes in der westlichen und der östlichen Welt. Wir legen als unabhängiges, inhabergeführtes Unternehmen grossen Wert darauf, weltweit langfristig gut aufgestellt zu sein und nicht erst dann in einer Weltgegend unsere Präsenz aufzubauen, wenn es dort gerade gut läuft. Wir sind schon dort.
Die Partnerschaft mit «Movember» dürfte einiges kosten. Setzt man sich da Ziele, wie stark der Umsatz steigen muss?
Es ist bekanntlich eine der grossen Schwierigkeiten, die Wirkung von Marketing zu messen. Unser Engagement ist langfristig ausgelegt, wir schauen nie einfach auf die nächsten Quartalszahlen. Wir wollen uns langfristig gut positionieren und Stück für Stück das «Standing» der Marke verbessern. Wir haben es in den vergangenen Jahren geschafft, deutlich stärker zu wachsen als die Schweizer Uhrenindustrie im Durchschnitt. Wir gewinnen laufend Marktanteile.
Sie haben kürzlich eine neue Uhr vorgestellt, die nicht nur sehr aufwendig gemacht ist, sondern mit rund 7200 Franken für Oris-Verhältnisse auch recht teuer ist. Sind Sie daran, Ihre Marke neu zu positionieren?
Keineswegs. Unser Credo ist, dass wir Uhren für den Citoyen machen, also für Menschen, die zwar nicht im Geld schwimmen, aber durch eigene Arbeit gutes Geld verdienen und bereit sind, es dann auszugeben, wenn es Sinn und Freude macht. Es ist richtig, dass mehr als 7000 Franken viel Geld für eine mechanische Uhr ist. Man bekommt dafür auch viel Gegenwert. Wir werden unser angestammtes Preissegment ansonsten nicht verlassen, doch zwischendurch macht es Freude, einmal zu zeigen, was wir alles können.
Heute ist alles digital. Und Sie stellen ausschliesslich mechanische Uhren her – eigentlich ein totaler Anachronismus.
Je digitaler die Welt wird, desto mehr sehnen sich die Menschen nach Dingen, die sie verstehen und wofür sie auch eine Emotion entwickeln können. Aber es ist richtig: Eine mechanische Uhr, um die Zeit abzulesen, braucht es heute nicht mehr. Alle haben ein Handy, alle sitzen vor dem Computer. Der Hauptgrund für die Anschaffung einer mechanischen Uhr ist, dass sie Freude bereitet. Das ist bei der Entwicklung die Messlatte: Nur wenn sie positive Emotionen wecken, erfüllen unsere Uhren ihren Zweck.
Es gibt traditionelle Hersteller, die gewisse digitale Funktionen in ihre Uhren einbauen. Ein hilfloser Versuch, sich beispielsweise gegen die iWatch des Tech-Giganten Apple zu wehren?
Es ist nicht an mir, die Strategie anderer Hersteller zu beurteilen. Unser Ding ist das aber nicht. Wir stellen ausschliesslich mechanische Uhren her und bleiben dabei.
Junge Menschen haben heute alle paar Minuten das Handy samt Zeitanzeige vor der Nase. Wer ohne Armbanduhr aufwächst, wird später vielleicht auch nie eine tragen.
Auch bei der Generation Turnschuh kommt ab einem gewissen Alter der Wunsch nach einem schönen, rahmengenähten Schuh auf. Das ist bei der Uhr nicht anders: Irgendwann sucht man nach handwerklich gut gemachten und werthaltigen Produkten.
Die Digitalisierung wird Oris also nicht vom Markt fegen?
Die frühere Annahme, Handys und die ganze Digitalisierung würden uns schaden, war total falsch. Das genaue Gegenteil stimmt: Mechanische Uhren sind auf den sozialen Medien ein Riesenthema, es gibt einen grossen Enthusiasmus dafür. Präsentieren wir ein neues Produkt, verbreitet sich dies sofort über die ganze Welt, was die Nachfrage nach unseren Uhren steigert. Das gilt übrigens auch für den Occasionsmarkt: Wir stellen fest, dass es weltweit immer mehr Sammler gibt, die sich in ihren Communities mit einem enormen Fachwissen über unsere Uhren unterhalten. Das Sammeln alter Uhren, auch von Oris, ist zum coolen Lifestyle geworden – die Preise sind stark gestiegen.
Sie verarbeiten in einer Ihrer Uhren Abfallplastik aus den Weltmeeren. Ist das nicht etwas gar zeitgeistig?
Wenn Sie die Sorge um unsere Umwelt als «zeitgeistig» bezeichnen wollen, dann verkennen Sie, was da draussen passiert. Es ist zwar so, dass Nachhaltigkeit zu einem Modethema geworden ist. Wir als unabhängige Marke waren bedingt durch unsere Grösse und Unabhängigkeit aber schon immer dazu gezwungen, zu unseren Ressourcen Sorge zu tragen. Wir waren stets in jedem Sinn des Wortes nachhaltig. Wir verkörperten nie die Wegwerfgesellschaft und die «Party bis zum bitteren Ende». Unsere Uhren sind Produkte, die über Jahrzehnte halten. Wir unterstützen auch seit vielen Jahren Projekte zum Schutz der Umwelt. Wir übernehmen also Verantwortung. Abfallplastik in unserer Uhr ist ein glaubwürdiger Ausdruck dafür, wofür wir stehen.
Wir stellen dennoch einen Sinneswandel fest: Früher wurde der Formel-1-Rennfahrer Ralf Schumacher unterstützt. Oris veranstaltet zudem eine Porsche-Rallye auf Mallorca.
Wir unterstützen die Formel 1 nicht mehr aktiv und bei der angesprochenen Rallye spielen wir nur noch eine kleine Rolle, weil wir finden, dass andere Themen wie Nachhaltigkeit mittlerweile relevanter sind. Man entwickelt sich als Mensch, man entwickelt sich als Marke.
Es fällt auf, dass Uhrenmarken sehr viel Geld ins Marketing investieren müssen – mehr als in jedes andere Produkt?
Das glaube ich nicht. Die ganze Konsumgüterbranche funktioniert auf diese Weise. Auch die Lebensmittelindustrie kommt ohne Marketing nicht aus. Oder denken Sie an Parfüm. Wo wir uns aber unterscheiden: Wir machen Marketing für ein langlebiges Produkt, das über Generationen bleibt. Schauen Sie umgekehrt auf die Modebranche: Jeder Schweizer wirft im Durchschnitt 70 Kilogramm Kleider pro Jahr weg! Die Kleiderindustrie trägt mehr zum Co2-Ausstoss bei als die Fliegerei! Ich will nicht zu stark moralisieren, aber ich habe das Gefühl, dass wir mit unserem Marketing den Konsumenten vor Augen führen, dass es mehr als nur Wegwerfartikel gibt. Ich hoffe, dass dies als gutes Beispiel erkannt wird. Schauen Sie meinen Kittel an: Der ist mehr als 10 Jahre alt und erfüllt seinen Zweck immer noch tadellos, meine Schuhe ebenfalls. Das sind Produkte, die mich durchs Leben begleiten. Wenn wir als Konsumenten solche Dinge erkennen, sind wir als Gesellschaft weiter.
Wer viel investiert wie Ihre Firma, braucht entweder eine gut gefüllte Kasse oder aber einen starken Investor im Rücken.
Wir als unabhängiger Uhrenproduzent sind komplett eigenfinanziert, wir haben keinen einzigen Franken von einer Bank. Unser Wachstum kommt aus uns selber. Oris ist schlank aufgestellt, wir stemmen mit relativ wenigen Angestellten sehr viel und setzen unsere Mittel fürs Marketing so ein, dass man uns wahrnimmt. Offensichtlich gelingt uns das gut. Wäre Ihnen Oris durchs Jahr hindurch nicht aufgefallen, würden Sie nun nicht hier sitzen und sich für uns interessieren.
Sie betonen die Herkunft Waldenburgertal stark. Andere Firmen haben das weniger getan - und sind weggezogen. Ist das ein Problem für Sie, dass der Wirtschaftsstandort schwächer geworden ist?
Wir kommen von hier und bleiben hier, das ist eine Tatsache. Unsere Herkunft gibt uns Charakter und Persönlichkeit – vielleicht sogar noch mehr, wenn das Umfeld nicht ganz einfach ist. Natürlich kommen heute nicht mehr alle Mitarbeiter aus der unmittelbaren Umgebung, doch das ist kein Problem. Wenn man eine Marke von ihren Wurzeln trennt, macht sie das kaputt. Das tun wir nicht. Unsere Seele ist hier.
Höhen und Tiefen
tho. Rolf Studer (47) ist seit dem Jahr 2016 Co-CEO der Hölsteiner Oris. Er stammt aus dem Kanton Luzern und ist «gelernter» Jurist. Bevor er zu Oris wechselte, arbeitete er für Coca-Cola Schweiz.
Oris hat heute rund 150 verschiedene Uhrenmodelle im Angebot. Umsatzzahlen gibt das Haus nicht bekannt, ebenso werden keine Angaben über die verkauften Stückzahlen gemacht. In Hölstein und der Schweiz arbeiten etwas weniger als 100 Angestellte, weltweit sind es gegen 200 Mitarbeiter.
Oris hat Höhen und Tiefen erlebt. Ende der 1960er-Jahre produzierte der Uhrenhersteller aus dem Waldenburgertal mit seinen 800 Mitarbeitern jährlich 1,2 Millionen Exemplare an diversen Standorten und zählte laut «Wikipedia» zu den 10 grössten Uhrenherstellern der Welt. Dann folgte die «Quarzkrise». 1970 wurde Oris verkauft; die Firma beschäftigte anschliessend kaum noch Mitarbeiter und die Aussenstandorte wurden geschlossen. Der damalige Geschäftsführer Rolf Portmann und Marketingleiter Ulrich W. Herzog übernahmen 1982 Reste des Unternehmens im Rahmen eines Management-Buyout. Die Oris AG ist seither einer der ganz wenigen unabhängigen Uhrenhersteller der Schweiz. Produziert werden ausschliesslich mechanische Uhren im mittleren Preissegment.