«Wir sind sozusagen zwei Vorzeigeobjekte»
07.11.2019 Baselbiet, Wahlen, PolitikDie Bevölkerung macht sich Sorgen um Klima und Umwelt. Für beide Baselbieter Ständeratskandidatinnen ist klar, dass die Politik reagieren muss. Differenzen bestehen darin, wie und in welchem Tempo. Beide finden, sie seien für die Mitte gut wählbar.
David Thommen (Text) ...
Die Bevölkerung macht sich Sorgen um Klima und Umwelt. Für beide Baselbieter Ständeratskandidatinnen ist klar, dass die Politik reagieren muss. Differenzen bestehen darin, wie und in welchem Tempo. Beide finden, sie seien für die Mitte gut wählbar.
David Thommen (Text) und Christian Horisberger (Bilder)
Frau Schneeberger, das Unterstützungskomitee von Maya Graf bezeichnete Sie unlängst als «Vergangenheit» und Frau Graf als «Zukunft». Nervt Sie sowas?
Daniela Schneeberger: Ich buche das ab als Wahlkampf. Ich fühle mich nicht als «Vergangenheit», sondern als fortschrittliche Politikerin. Wenn ich beispielsweise KMUlern möglichst viel Handlungsspielraum bieten will für Forschung und Innovation, so ist das auch fortschrittlich. Ich blicke in die Zukunft. Ich weiss nicht, woran man diese «Vergangenheit» festmacht.
Frau Graf, stehen Sie hinter dieser Kategorisierung: Vergangenheit und Zukunft?
Maya Graf: Ich finde es gut, wenn man es auf den Punkt bringt. Wobei ich betonen möchte, dass die Aussage nicht vom Unterstützungskomitee gemacht wurde, sondern von Paul Burger, Professor für Nachhaltigkeitsforschung an der Uni Basel.
Schneeberger: Herr Burger kennt mich nicht persönlich. Er hat noch nie mit mir gesprochen. Daher ist das eine seltsame Schlussfolgerung.
Graf: Burger machte eine Herleitung: Wir stehen heute – schon seit 20 Jahren – vor der Herausforderung, eine Klimakrise und eine Biodiversitätskrise bewältigen zu müssen. Wir müssen endlich eine nachhaltige Wirtschaftsweise sozialverträglich umsetzen. Wir müssen die Leute mitnehmen, damit die Transformation gelingt.
Schneeberger: Dazu habe ich keine Differenzen.
Graf: Doch. Der Unterschied zwischen uns beiden ist, dass wir wegen der Politik, für die Daniela steht – das Bremsen der Freisinnigen – zwei Jahrzehnte verloren haben. Daher frage ich: Wir hatten 20 Jahre Bremsen. Wollen wir nun so weiter machen oder wollen wir endlich mit nachhaltigen Lösungen vorwärtsgehen?
20 Jahre gebremst lautet der Vorwurf. Frau Schneeberger?
Schneeberger: Nein, auf keinen Fall. Die FDP wurde in der Klimadiskussion kritisiert, dass sie sich nie darum gekümmert habe. Das stimmt aber nicht. Wir haben immer Umweltpolitik gemacht – vielleicht nicht so lauthals wie andere Parteien. Wir bekennen uns, ich bekenne mich dazu. Ich will auch griffigere Massnahmen für den Klimaschutz, nur möchte ich sie anders umsetzen. Ich betrachte mich nicht als Bremserin oder Verhinderin, sondern möchte ermöglichen: deregulieren und Verfahren vereinfachen. Ich möchte den Unternehmen Handlungsspielraum geben, indem man sie entlastet durch weniger Gesetze, damit sie sich verwirklichen können. Wir haben in der letzten Session Vorstösse für Gesetzesänderungen behandelt, damit man leichter Konzessionen für die Nutzung von Wasserkraft erhält, und für eine Lockerung des Denkmalschutzes zugunsten von Fotovoltaikanlagen in Kernzonen. Wir sind klar auch für deren Förderung, aber nicht über zusätzliche Subventionen. Ich habe zur Vermeidung von Food Waste auch einen Vorstoss zugunsten einer Doppeletikettierung von Lebensmitteln eingereicht.
Graf: Aber die Fair-Food-Initiative, die das verlangte, hast du wiederum nicht unterstützt.
Schneeberger: Nein, das war mir zu extrem, und das Baselbieter Volk hat ihr auch eine ganz klare Absage erteilt. Daher würde ich sagen, dass ich das Baselbiet gut repräsentiere.
Deregulieren als Mittel für mehr Umweltschutz und eine nachhaltige Wirtschaft klingt nicht grün.
Graf: Was die Wirtschaft will – dahinter steht beispielsweise stets die ganze Cleantech-Branche – ist, dass man die Rahmenbedingungen für Unternehmen so gestaltet, dass nachhaltiges Wirtschaften und Investieren belohnt werden. Das ist heute leider nicht so. Wir könnten beispielsweise die Uralt-AKW schon lange ersetzen, wenn wir in den vergangenen 20 Jahren Investitionen und Innovationen in die Nutzung der Sonnenenergie gemacht hätten.
Schneeberger: … dafür müsste man erst einmal über die erforderliche Speichertechnologie verfügen …
Graf: Ich messe die Politik nicht daran, was man verspricht, sondern, daran, was gemacht wurde. Die FDP, auch du, Daniela, hätte in der vergangenen Session bei der Beratung der Übergangslösung fürs CO2-Gesetz die Gelegenheit gehabt, sich dafür einzusetzen, dass wir schon 2021 mehr im Inland kompensieren. Aber es kam wieder ein Nein.
Schneeberger: Das war ein Missbrauch dieser Übergangsbestimmungen. Wir waren mitten in der Beratung des CO2-Gesetzes. Die Mehrheit des Parlaments war der Meinung, man solle sich auf die Gesetzesrevision konzentrieren anstatt auf die Übergangsbestimmungen.
Graf: Wir verlieren schon wieder zwei Jahre.
Schneeberger: Ich habe lieber ein Gesetz, das umsetzbar ist und das vor dem Volk besteht, anstelle von eilig veränderten Übergangsbestimmungen und Zwängerei. Wir müssen das Thema anpacken, aber aus ordnungspolitischen und verfahrenstechnischen Gründen stehe ich hinter dem Entscheid.
Graf: Es gibt immer hundert Ausreden, weshalb man etwas am Tag X nicht tut. Je besser und schneller wir die Klimaziele erreichen, desto besser sind wir vorbereitet. Und wir haben wirtschaftliche Vorteile, wenn wir möglichst rasch in allen Bereichen vorwärtsmachen.
Schneeberger: Wir haben die Revision, also integrieren wir das dort. Dieser Meinung war selbst die zuständige Bundesrätin. Ich sehe da keinen Rückschritt.
Letzte Voten, ehe wir das Thema Klima verlassen?
Graf: Ich hoffe, dass nach dem 24. November auch die kleine Kammer mehr fortschrittlich-nachhaltige Kräfte hat. Das war den Stimmbürgern offenbar ein wichtiges Anliegen. Der 20. Oktober war ein mehr als deutliches Zeichen. Jetzt muss es vorwärtsgehen. Die Bevölkerung erwartet, dass die Politik beginnt, die Schritte aufzugleisen, um Nachhaltigkeit und Klimaschutz in alle Bereiche sozialverträglich aufzunehmen.
Schneeberger: Man muss anerkennen, dass die Klimawelle eingeschlagen hat und die Grünen viele Sitze gewonnen haben. Klima und Umwelt sind heute wichtiger als früher. Aber man darf nicht vergessen, dass den Menschen andere Themen noch wichtiger sind: Gesundheit und Altersvorsorge zum Beispiel.
Allerorten ist zu lesen, dass Sie beide um die Wählerinnen und Wähler in der Mitte kämpfen. Frau Schneeberger, was bedeutet das für die FDP?
Schneeberger: Wir zeigen auf, dass es eine Mär ist, dass ich rechtskonservativ sein soll. Wer genau analysiert, sieht, dass ich in fast allen Themen mit der Mitte gestimmt habe. In der KMU-Politik mit administrativen Entlastungen sowie Entlastungen von Abgaben und Steuern. Bei der letzten AHV-Initiative AHV-Plus war ich auch in der Mitte. Bei der Angleichung des Rentenalters auf 65/65 desgleichen. Sicher gibt es auch Themen, wo wir abweichende Positionen haben. Meinem Abstimmungsverhalten ist abzulesen, dass ich sehr nahe bei der Mitte politisiere und nicht etwa extrem auf der rechten Seite.
Was heisst es für eine Grüne, in der Mitte Wähler zu werben?
Graf: Wir konnten als Grüne mit der SP und der Mitte immer wieder Mehrheiten schaffen. Es gibt viele Übereinstimmungen, vor allem in der Familien-, Gleichstellungs- und Gesundheitspolitik. Gleichstellung für Menschen mit einer Behinderung, Vereinbarkeit von Erwerbsleben und Familie, Vaterschaftsurlaub und Agrarpolitik sind weitere Themen. Daher freut es mich sehr, dass mich die CVP-Frauen Schweiz und Baselland sowie die EVP und die junge glp unterstützen. Das kommt nicht von ungefähr. Auch als Alliance-F-Co-Präsidentin arbeite ich mit ihnen eng zusammen – übrigens auch mit den FDP-Frauen.
Es gibt ein Links-rechts-Rating der «NZZ», das zeigt, dass Sie, Maya Graf, zu den «Linksten» überhaupt im Parlament zählen. Ist es da nicht etwas vermessen, sich als Mittepolitikerin darstellen zu wollen?
Graf: Nein, gar nicht. Ratings sind Ratings. Man kennt meine Positionen seit Jahrzehnten, aber ich bewege mich davon auch weg. Mir ist die Lösung am Schluss wichtig. Ferner möchte ich erwähnen, dass wir mit Claude Janiak bisher eine rot-grüne Vertretung im Ständerat hatten. Unser Kanton fuhr mit ihm ausserordentlich gut. Das wird bei mir genau gleich sein.
Schneeberger: … sein Stimmverhalten war aber nicht immer grün-rot.
Graf: Ich gebe dir insofern Recht, als dass man im Ständerat gemässigter politisiert.
Schneeberger: In den Geschäften, die Maya anspricht, war die CVP nicht unisono auf ihrer Seite. Auch bei den Frauenquoten für oberste Kader grosser, börsenkotierter Unternehmen war sich die CVP nicht einig. Da gab es sogar eine Mehrheit, die sich dagegen aussprach.
Graf: Aber es gab letztlich eine Mehrheit, das ist fortschrittlich.
Schneeberger: Ich finde eine Quote für Frauen nicht fortschrittlich. Für mich ist es eine Diskriminierung. Ich will aufgrund meiner Leistung eine Stelle oder ein Amt und nicht verunsichert sein, ob ich wegen einer Quote durchgekommen bin. Der Gewerbeverband hat in einer Studie ausgewiesen, dass Quoten insbesondere bei KMU nicht nötig sind.
Graf: Diese Diskussion, auch die über Lohngleichheit, hilft vor allem auch mental, die Rollenklischees müssen weg, damit man das Thema bei jeder Anstellung im Kopf hat. Auch für Führungsjobs. Eine Durchmischung der Geschlechter bringt bessere Resultate. In den Konzernen kommen auf hundert CEOs nur sieben Frauen.
Schneeberger: Das kann man nicht einfach so verallgemeinern. Man spricht immer von den Konzernen, nicht aber von den KMU. Dort werden sehr viele Schlüssel- und Führungspositionen von Frauen besetzt. Viele Frauen wählen auch die Selbstständigkeit, weil sie damit Familie und Beruf besser vereinbaren können. Natürlich muss sich auch auf Konzernebene etwas tun, aber man muss die Leute erst haben, ehe man sie anstellen kann.
Graf: Die Frauen sind heute genauso gut ausgebildet wie die Männer.
Schneeberger: Als ich im Landrat in der Finanzkommission sass und es um die Besetzung von Kaderpositionen ging, wurde explizit eine Frauenbesetzung gefordert. Man konnte aber dann beispielsweise keine geeignete Kandidatin finden. Auch von der Wirtschaft höre ich oft, dass man eine Frau engagieren möchte, aber keine mit dem Anforderungsprofil findet. Das muss man akzeptieren. Auch in der Politik gibt es halt immer noch Frauen, die sich nicht exponieren wollen.
Immerhin haben die Frauen im Nationalrat zugelegt.
Graf: Das kam nicht von alleine. Mit der Aktion «Helvetia ruft» von Alliance F, hinter der Frauen aller Parteien stehen, haben wir etwas erreicht. Das ist toll – auch dass wir beide hier sind.
Schneeberger: Wir beide sind sozusagen Vorzeigeobjekte (lacht).
Werden Sie andere Politikerinnen, wenn Sie im Ständerat sitzen: eingemitteter, vermittelnder?
Schneeberger: Das muss man. Das gehört zum Ständerat als Chambre de Réflexion. Da muss man lösungsorientiert und konsensfähig sein und über die Parteigrenzen hinaus arbeiten. Das macht man aber auch im Nationalrat. Um dort ein Geschäft durchzubringen, schmiedet man Allianzen. Im Ständerat politisiert man sicherlich mit einem stärkeren Fokus auf den Kanton.
Maya Graf, Sie müssten als einzige Baselbieter Repräsentantin im Ständerat auch die SVP-Wähler des Kantons vertreten. Sind Sie bereit, diesen Schritt zu machen und von linken und ganz grünen Positionen abzuweichen?
Graf: Selbstverständlich ist es bei Geschäften, die das Baselbiet betreffen, wichtig, sich mit dem Kanton abzusprechen und lösungsorientierter zu arbeiten als im Nationalrat. Meine Grundwerte und meine grundpolitische Haltung werde ich weiter verfolgen. So hat es auch Claude Janiak gehalten.
Frau Schneeberger, Sie müssten Linke und Grüne vertreten.
Schneeberger: Im Ständerat ist man für die gesamte Bevölkerung da. Die eigenen Werte vertritt man aber nach wie vor. Natürlich würde ich berücksichtigen, dass im Baselbiet auch viele Sympathisanten von Grün und Rot leben und entsprechend kompromissfähig und moderat politisieren.
Frau Graf ganz konkret: Was haben die Baselbieter mehr an Ihnen als Ständerätin gegenüber Ihrer Konkurrentin?
Graf: Ich decke all die politischen Themen ab, die nun im Ständerat sind. Ich mache bereits seit 30 Jahren Klima- und Umweltpolitik. In der Sozialpolitik, wo die Altersreform ansteht, und in der Gesundheitspolitik, wo die hohen Krankenkassenprämien ein riesiges Thema sind, arbeite ich heute schon in der Kommission mit. Im Ständerat könnte ich mit meiner guten Vernetzung in Bern und im Baselbiet sowie mit 18 Jahren Erfahrung in der grossen Kammer vom ersten Tag an voll loslegen.
Frau Schneeberger?
Schneeberger: Ich bin sehr vielseitig. Ich bin Unternehmerin. Als Treuhänderin sehe ich in viele KMU hinein. Dadurch sind mir auch Familienthemen, Altersvorsorge und Sozialversicherung vertraut. Ich weiss, woher der Franken kommt, wie wir zu unserem Wohlstand gelangt sind und wie wir ihn bewahren sowie Arbeitsplätze erhalten und schaffen können. Durch meine Gesinnung und Werte repräsentiere ich die Mehrheit der Baselbieter Bevölkerung. Ich bin gerne unter den Leuten und nehme deren Anliegen auf. Ich bin nicht immer stur auf Parteilinie, der Mensch steht für mich im Zentrum.
Frau Schneeberger, Sie wollen Präsidentin des mächtigen Schweizer Gewerbeverbands werden. Kann man mit zwei Hüten sowohl das Baselbiet als auch den Gewerbeverband vertreten?
Schneeberger: Wenn ich sehe, wie viele KMU es im Baselbiet gibt, kann ich das sehr gut unter einen Hut bringen. Ich könnte die Interessen der Gewerbler sowohl im Verband als auch politisch im Parlament vertreten. Ich sehe da keinen Konflikt. Man muss als Politikerin ohnehin immer abgrenzen können.
Auch Sie haben noch andere Engagements, Frau Graf.
Graf: Als Co-Präsidentin von «Alliance F» habe ich längst nicht so viel Aufwand, wie ihn Daniela als Präsidentin des Gewerbeverbands hätte. Da fragt sich schon, ob das bei ihr zusammen mit dem Ständerat ginge. Ich kann von mir sagen, dass ich für keines meiner Mandate bezahlt werde. Daher bin ich sehr unabhängig. Das gilt für eine Präsidentin des Schweizerischen Gewerbeverbands nicht. Da ist man Lobbyistin eines Verbands, dessen Vertreter im Übrigen sehr konservativ sind und fast immer fortschrittshemmend abstimmen. Sie sind einfach gegen alles.
Schneeberger: Ich möchte klarstellen, dass ich bisher lediglich mein Interesse fürs SGV-Präsidium angemeldet habe. Ich habe beim Verband klar deponiert, dass für mich der Ständerat jetzt das Wichtigste sei. Mich erstaunt allerdings die Bemerkung von Maya zur Kapazität für beide Mandate. Häufig antworten Frauen, wenn sie nach ihren Kapazitäten gefragt werden, als erstes: Warum fragen Sie das immer die Frauen?
Graf: Das hat nichts mit Frau und Mann zu tun, das hätte ich auch einen Mann gefragt. Der aktuelle SGV-Präsident sitzt im Nationalrat. Im Ständerat gehört man doppelt so vielen Kommissionen an.
Schneeberger: Mir ist völlig klar, was es bedeuten würde, beide Mandate auszuüben.
Am Abend des 20. Oktobers hat die Diskussion eingesetzt, ob die Grünen nun einen Sitz im Bundesrat zugute haben.
Die Grünen wirkten perplex und hatten keine gute Antwort auf die Bundesratsfrage. Wurden sie vom eigenen Erfolg überrumpelt?
Graf: Die Reaktion von Rytz war sehr weise. Sie hat sich bloss nicht so benommen, wie das Christoph Blocher oder sonst ein Mann getan hätte: als Wahlsieger auf den Tisch hauen und einen Bundesrat fordern. Stattdessen sagte sie zu Recht, man müsse darüber verhandeln. Uns ist bewusst, dass wir für einen grünen Bundesrat eine Mehrheit in der Bundesversammlung benötigen. Wir werden jetzt nicht schnell, schnell jemanden aufstellen und verheizen. Das wird sorgfältig mit den anderen Parteien besprochen. Der Anspruch auf einen grünen Bundesrat oder eine Bundesrätin ist nach diesen Wahlen klar – aber nicht bereits im Dezember.
Das ist aber keine gefestigte Haltung bei den Grünen.
Graf: Nein, auch bei den Grünen gehen die Diskussionen nun los.
Frau Schneeberger, rechnen Sie damit, dass die Grünen jetzt einen Bundesrat fordern?
Schneeberger: Das ist deren Entscheidung. Ich bin der Meinung, dass es dazu noch nicht an der Zeit ist. Die Grünen hatten einen grossen Wahlerfolg, klar, aber man muss auch erst sehen, ob die Kräfteverhältnisse bei den nächsten Wahlen bestätigt werden und ob die Grünen ihre Forderungen im Volk durchsetzen können. Man darf jetzt keine Hauruck-Übung machen und die Stabilität gefährden.
Graf: Das sagt die FDP, weil sie Angst um ihren zweiten Bundesrat hat.
Wen würde es denn am ehesten treffen?
Graf: Ich will nicht über Namen spekulieren. Aber natürlich müsste die FDP einen Sitz abgeben. Man kann nun auch nicht verlangen, dass sich die Grünen vier Jahre gedulden. Wir sind seit mehr als 30 Jahren im Bundesparlament und in Regierungen von Städten und Gemeinden vertreten. Wir sind eine etablierte, lösungsorientierte Partei, die im Baselbiet gerade eben die FDP überholt hat. Daher werden wir sicher nicht vier Jahre warten, sondern uns vorbereiten. Bei der nächsten Vakanz muss sich die Frage nach einem grünen Bundesrat stellen. Heute repräsentiert er mit seiner rechtsbürgerlichen Zusammensetzung die Kräfteverhältnisse im Parlament nicht.
Falls Ueli Maurer vorzeitig zurücktreten sollte – würden die Grünen die SVP angreifen?
Graf: Darüber spekuliere ich nicht. Jetzt wird erst mit den Parteipräsidenten gesprochen. Es gibt solche, die sind offen, die wollen auch, dass unser Land vorwärtskommt. Ein grüner Bundesrat oder eine grüne Bundesrätin wäre dafür extrem wichtig.
Schneeberger: Das ist mir nun etwas zu viel von wegen «das Land kommt nur mit Grün voran». Die Grünen haben in den wenigsten ihrer Initiativen etwas zustande gebracht. Die meisten wurden vom Volk abgelehnt. Dann kann man doch nicht ständig wiederholen, dass die Regierung das Land nicht vorangebracht hätte. Wir haben ein gutes demokratisches politisches System. Wir machen eine pragmatische Politik. Man könnte meinen, wir seien völlig rückschrittlich. Sicher, es kommt vor, dass unheilige Allianzen ein Vorankommen hemmen, aber oft sind eben auch kleine Schritte wichtig und notwendig.
Graf: Ich unterstütze das Mehrparteiensystem in der Konkordanzregierung. Das ist ein Erfolgsmodell. Ich verlange auch nicht fünf oder sechs grüne Bundesräte, sondern einen. Umweltthemen müssen von einer entsprechenden politischen Kraft in der Landesregierung platziert werden. So können in der nächsten Legislatur die Prioritäten neu gesetzt werden.
Schneeberger: Auch ein Grüner braucht im Bundesrat Mehrheiten und muss sich im Kollegialitätsprinzip mit der Mehrheit konstruktiv verhalten. Deswegen kann man nicht behaupten, dass das Land plötzlich einen riesigen Schritt machen würde.
Graf: Durch den grünen Regierungsrat Isaac Reber wissen wir im Baselbiet, dass das ganz pragmatisch geht und es nachhaltig vorwärtsgeht. Er ist ein gutes Beispiel dafür, wie ich mir gute Regierungsarbeit zusammen mit dem Parlament und dem Volk vorstelle.
Für welche Anliegen betreffend das Baselbiet wollen Sie sich im Ständerat vermehrt stark machen?
Schneeberger: Mobilität ist ein wichtiges Thema. Ich finde, wir müssen uns für Verkehrsanliegen – ich spreche nicht nur von Strassen – stark machen. Wenn man die Staustunden auf der Strasse und den ÖV-Ausbau anschaut, ist das dringend notwendig.
Nennen Sie bitte Beispiele.
Schneeberger: Am Herzstück müssen wir dranbleiben, aber auch beim Strassenausbau. Der Muggenbergtunnel beispielsweise ist für viele im Laufental immer noch aktuell. Von der Wirtschaft wird immer wieder an die Parlamentarier herangetragen, dass wir uns in Verkehrsfragen beim Bund stärker engagieren müssen. Es wird grundsätzlich bemängelt, dass unsere Region in Bern nicht aktiv genug ist. Dort müssen wir mehr auf der Matte stehen.
Graf: Da muss ich Claude Janiak verteidigen. Er hat sehr viel erreicht. Dass wir die Projektierungskredite fürs Herzstück und den Hafen Nord durchgebracht haben, den Bahnausbauschritt in Liestal und den Zweispurausbau der Bahnline in Richtung Delémont, daran hat er jahrelang gearbeitet. Das muss eine von uns weiterführen. Nun ist das Augenmerk darauf zu richten, dass auch die Baukredite kommen. Bei Strassenprojekten schliesse ich mich gerne an, wenn ich sehe, dass sie wirklich Sinn ergeben.
Soviel zur Mobilität. Gibt es weitere Themen, die durch die Baselbieter Brille betrachtet in Bern besonders wichtig sind?
Graf: Bald stehen Kredite für Bildung, Forschung und Innovation (BFI) zur Debatte: 24 Milliarden für die kommenden vier Jahre. Unsere Hochschulen, die Berufsbildung oder der neue Swiss Innovation Park in Allschwil brauchen diese Gelder. Ich werde ich mich dafür einsetzen, dass die Mittel nicht gekürzt werden, wie es der Bundesrat will, sondern aufgestockt.
Schneeberger: Ich stelle richtig: Der Bundesrat wollte das letzte Mal nicht kürzen, sondern nur nicht aufstocken, wie es die Kommission Wissenschaft, Bildung und Kultur gefordert hatte. Die BFI-Ausgaben nehmen seit Jahren zu. Es ging um den Erhalt des Status quo.
Graf: Die Gelder waren für vier Jahre gesprochen, aber der Bundesrat versuchte jedes Jahr beim Budget zu kürzen, wogegen wir uns immer wehren mussten. Bildung, Forschung und Innovation sind unser Rohstoff und für unsere Region zentral.
Schneeberger: Da stimme ich zu.
Graf: Wenn man dort bremst, wie du es gemacht hast, ist das ein Problem. Ich fordere eine Priorisierung. Denn wir müssen in der Schweiz top sein, das macht unseren Werkplatz aus.
Schneeberger: Als Finanzpolitikerin hat man immer zwei Herzen in der Brust. Man muss sorgfältig mit dem Geld umgehen und dafür sorgen, dass alles finanziert werden kann.
Die Ausgangslage für den zweiten Wahlgang wird sehr unterschiedlich beurteilt. Wer von Ihnen hat die besseren Karten?
Schneeberger: Meine sind gut. Das Baselbiet ist eigentlich ein bürgerlicher Kanton. Ich werde alles daran setzen, zu mobilisieren und den Menschen aufzuzeigen: Jetzt gilt’s.
Graf: Meine Ausgangslage ist nach dem ersten Wahlgang auch sehr gut. Die Baselbieter Bevölkerung hat sich für die Stärkung der nachhaltigen und fortschrittlichen Kräfte ausgesprochen. Daher würde eine nachhaltig-fortschrittliche Standesstimme das Baselbiet exzellent vertreten. Ich bringe beides mit: das Liberal-Konservative aus dem Oberbaselbiet und das Urbane, das ich mit meiner Weltoffenheit vertrete.