Tabula rasa in Kirschbaum-Anlage
13.08.2019 Baselbiet, Känerkinden, LandwirtschaftChristian Horisberger
Nachdem die letzten Kirschen der Saison gepflückt waren, drückte Bauer Lukas Zeller einem seiner Erntehelfer vorige Woche die Motorsäge in die Hände. Er sollte die erste der beiden Kirschbaumanlagen auf Zellers Sonnenberghof in Känerkinden ...
Christian Horisberger
Nachdem die letzten Kirschen der Saison gepflückt waren, drückte Bauer Lukas Zeller einem seiner Erntehelfer vorige Woche die Motorsäge in die Hände. Er sollte die erste der beiden Kirschbaumanlagen auf Zellers Sonnenberghof in Känerkinden abräumen. Für immer. Innert zweier Tage fielen rund 1100 Bäume. Sind diese Bäume entsorgt, die Bewässerungsleitungen und die Pfosten für die Regendächer abgebaut, ist die zweite Anlage mit weiteren 1400 Bäumen dran. 2500 Bäume insgesamt, wie die «Basler Zeitung» berichtete. Die jüngsten Niederstamm-Bäume in den gedeckten Anlagen wurden erst vor zwei Jahren gepflanzt und standen noch nie im Ertrag.
Landwirt Zeller hat die Nase gestrichen voll. Er hat genug vom Zittern wegen der Fröste und Schädlinge, er hat genug von der nervenaufreibenden Personaladministration für seine Erntehelfer. Vor allen Dingen will er nicht weiter der Spielball des Handels sein. Einer der grössten Kirschenproduzenten des Kantons wirft die Flinte ins Korn.
Bis 2016 war auf dem Sonnenhof alles in Ordnung. Zeller machte artig seine Hausaufgaben: Er rüstete die beiden vor rund 20 Jahren angelegten Plantagen auf einer Gesamtfläche von 3,5 Hektaren laufend nach. Er riss Bäume mit Kirschen, die von den Konsumenten verschmäht wurden, aus und pflanzte neue mit grosskalibrigen, knackigen Früchtchen – er tat genau das, was der Markt verlangte. Die Kirschen waren mit einem Reinertrag zwischen 50 000 und 60 000 Franken einer der wichtigsten Erwerbszweige seines Hofs.
Dann die Krise: 2017, nach dem Spätfrost, fiel die Ernte vollständig aus. Voriges Jahr war die Erntemenge gut, aber der Absatz sackte ab. Importe aus dem Ausland, Aktionen der Detaillisten, welche die Produzenten mittragen, die verweigerte Annahme von zu kleinen und die Abschreibung von im Detailhandel nicht verkauften Kirschen reduzierten den Ertrag für die Obstbauern massiv.
Dieses Jahr der Tiefpunkt: Für ein Kilo Kirschen fallen für den Känerkinder Landwirt Kosten von 3.50 Franken an (Löhne für Ernte und Baumschnitt, Abschreibungen, Unterhalt der Anlage, Pflanzenschutz, Bewässerung), der durchschnittliche Erlös betrage 4.20 Franken. Zeller nimmt den Taschenrechner in die Hand und tippt ein: 0,7 (Franken) x 36 000 (Kilogramm) = 25 200 (Franken). Das ist gerade die Hälfte von dem, was er noch vor drei Jahren an den Kirschen verdient hatte. Eine Aussicht auf Besserung sieht er nicht.
Vom Handel «verschaukelt»
«Ist das nicht eine Kurzschlusshandlung?», wollte die «Volksstimme» vom Landwirt wissen. «Sicher nicht», antwortet er.Andere Bauern würden die Faust im Hosensack machen, er aber befreie sich von einer Last. Ein halbes Jahr müssten die Bauern jeweils um ihre Kirschenernte bangen. Und wenn alles gut gegangen ist, würden sie vom Handel «verschaukelt».
«Ich kann eine derart radikale Massnahme nur schwer nachvollziehen», sagt Hansruedi Wirz, Vorstandsmitglied des Schweizer Obstverbands und selber Obstbauer in Reigoldswil. Doch müsse jeder Landwirt für sich selber entscheiden, was für seinen Betrieb das Richtige ist. Die Kirsche habe im gesamten Obstsortiment einen immer schwereren Stand, das bestreitet Wirz nicht: Das Früchte-Angebot werde immer breiter, der Platz in der Auslage für die Kirschen immer kleiner. «Und die Konsumenten schreiben nicht etwa ‹Kirschen› auf den Einkaufszettel, sondern ‹Früchte›.»
Ein weiteres Problem sei, dass Kirschen rasch nicht mehr frisch aussehen. Daher kaufe ein Grossverteiler lieber geringere Mengen ein, mit dem Risiko, dass er ab 14 Uhr keine Kirschen mehr in seiner Auslage hat. Aber lieber dies, als am Ende des Tages teure Früchte wegwerfen zu müssen, die von den Kunden verschmäht wurden. «Der Umsatz von 14 Uhr bis Ladenschluss fehlt den Obstbauern dann», so Wirz. Man müsse Mittel und Wege finden, die Kirschen möglichst frisch in die Regale zu bringen, damit sie auch noch am Abend verlockend aussehen.
Importe für geplante Aktionen
Dieses Jahr habe der verspätete Erntestart die Situation für die Schweizer Kirschenproduzenten zusätzlich verschärft. Weil sich die Reife wegen der Hitze verzögerte und schon Aktionen geplant waren, fehlten Kirschen und es mussten Importkontingente gesprochen werden. Diese Situation war schlecht für die Inlandproduktion.
Wirz weibelt als Präsident des Produktezentrums Kirschen/ Zwetschgen bei den Grossverteilern für eine bessere Präsentation der Kirschen in den Früchteauslagen. Auch habe der Obstverband Marketingmassnahmen verstärkt, um den Absatz zu fördern. Was bei den Gesprächen zwischen Produzentenvertretern und Detailhandel herauskommt, interessiert Lukas Zeller nicht mehr. Er konzentriert sich nun auf seine Bereiche, die ihm nicht annähernd so viel Kopfweh bereiten wie die Kirschen: Schweinezucht, Spargelanbau und Ackerbau.
Auf den beiden ehemaligen Kirschbaumparzellen will der einstige Teilnehmer von «Bauer, ledig, sucht...» Weizen und Mais anpflanzen, allenfalls auch ökologische Ausgleichsfläche anlegen, für die der Bund Zahlungen entrichtet. Es sei zu schaffen, den Verlust, den er mit der Aufgabe der Kirschen auf sich nimmt, auszugleichen. «Gewinn gemacht hätte ich ja immer noch – aber zu welchem Preis?!»