Wenn Trauer geteilt wird
16.07.2019 BaselbietEinblicke in die Arbeit des kantonalen Care-Teams
Man liest nach tragischen Ereignissen immer häufiger: «... das Care-Team wurde aufgeboten.» Rund 40 Einsätze werden im Baselbiet jährlich geleistet. Doch was macht das Care-Team des Kantons eigentlich? Ein ...
Einblicke in die Arbeit des kantonalen Care-Teams
Man liest nach tragischen Ereignissen immer häufiger: «... das Care-Team wurde aufgeboten.» Rund 40 Einsätze werden im Baselbiet jährlich geleistet. Doch was macht das Care-Team des Kantons eigentlich? Ein Fallbeispiel.
Eva Vögeli
Als am 2. September 1998 eine Maschine der Swissair mit 229 Menschen an Bord vor der kanadischen Küste bei Halifax ins Meer stürzte, wurde in der Schweiz zum ersten Mal ein Care-Team in den Einsatz geschickt, um die Hinterbliebenen des Unglücks zu betreuen. Das war der Beginn der Entstehung solcher Teams, die mittlerweile in der ganzen Schweiz für Ernstfälle bereitstehen.
Schon seit 1999 verfügt der Kanton Baselland über ein eigenes Care-Team. Aktuell ist dieses ein Bestandteil der Kantonalen Krisenorganisation (KKO) innerhalb des Amts für Militär und Bevölkerungsschutz (AMB). Es besteht zurzeit aus 14 Frauen und Männern, den sogenannten «Caregivers» (engl., Betreuung- und Pflegeleistende), das sich unter anderem aus Fachpersonen der Psychiatrie,Angehörigen von Blaulichtorganisationen oder auch Seelsorgern zusammensetzt.
Nach Angaben von Melanie Brack, der Leiterin Einsatzführung, wurden im laufenden Jahr bisher rund 15 Einsätze geleistet. Einer davon nach dem tödlichen Unfall während des Fasnachtsumzugs in Liesberg, wie in den Medien zu lesen war. Bis Ende Jahr rechnet man mit rund 40 Einsätzen des Care-Teams, was dem Jahresdurchschnitt entspricht.
Was passiert im Ernstfall?
Nehmen wir einmal an, es geschieht ein Verkehrsunfall mit zwei Fahrzeugen, bei dem der Lenker des einen Fahrzeugs schwere Verletzungen davonträgt und sein Beifahrer stirbt. Die sich im zweiten Auto befindende Automobilistin kommt mit dem Schrecken und einigen Prellungen davon.
Verkehrsteilnehmer, die Zeugen des Zusammenstosses wurden, alarmieren sofort nach dem Unfall die Einsatzleitzentrale der Kantonspolizei. Fast zeitgleich treffen Sanität, Feuerwehr und Polizei am Unfallort ein. Der Schwerverletzte wird nach der Erstversorgung vor Ort unverzüglich ins nahe gelegene Kantonsspital überführt. Beim Mitfahrer kann nur noch dessen Tod festgestellt werden und die Polizei nimmt in der Folge ihre Ermittlungen auf.
Die fast unverletzte Automobilistin im zweiten Fahrzeug, nennen wir sie Frau M., muss nach der ärztlichen Versorgung betreut werden. Sie steht unter Schock und kann das soeben Erlebte nicht fassen.
Nachdem die Einsatzleitzentrale der Polizei mit der Einsatzführung der Hauptabteilung Operationen des AMB Kontakt aufgenommen hat, bietet diese einen «Caregiver» auf und schickt ihn mit den verfügbaren Informationen an den Unfallort. Je nach Anfahrtsstrecke kann er bereits 45 Minuten nach Alarmierung am Einsatzort eintreffen.
Nachdem die Polizei ihre Aussagen aufgenommen hat, kann sich der «Caregiver» der völlig aufgelösten Frau zuwenden. Da sich nebenan ein Restaurant befindet, führt er Frau M. dorthin. Der Wirt stellt dem Helfer ein ruhiges Nebenzimmer für die Betreuung zur Verfügung.
In den darauffolgenden Stunden hat die betreute Person Zeit, sich mitzuteilen. In möglichst ruhiger Atmosphäre wird ihr dabei geholfen, das soeben schmerzhaft Erlebte chronologisch zu ordnen. Ihr wird zugehört. Erste Grundbedürfnisse versuchen die «Caregiver» nach Möglichkeit zu erfüllen und führen erste administrative und organisatorische Aufgaben aus. Die psychische Verfassung entscheidet in der Folge, ob und wann zusätzlich eine in Notfallpsychologie geschulte Fachperson beigezogen werden muss.
In unserem Fall bleibt Frau M. stabil und beruhigt sich in den kommenden Stunden zusehends. Im Laufe des Gespräches informiert sie der Helfer über Reaktionen, die so ein einschneidendes Erlebnis im Menschen wecken kann und zeigt auf, welche Hilfeleistungen das Gesundheitswesen anbieten kann. Ziel ist es, dass die Betroffenen Bewältigungsstrategien im Rahmen der eigenen Möglichkeiten entwickeln und ihr soziales Netzwerk aktivieren können.
Nach drei Stunden möchte Frau M. ihren Ehemann anrufen, damit er sie abholen und nach Hause bringen kann. Herr M. kommt bald darauf und nimmt seine Frau mit. Für den «Caregiver», der seinen Schützling nun in guten Händen weiss, ist der Einsatz damit beendet. Abschliessend folgt für ihn noch das «Debriefing» mit der Einsatzleitung. Falls eine Nachbetreuung nötig ist, erfolgt diese dann unabhängig vom Care-Einsatz durch Ärzte und weitere Fachspezialisten.
Weshalb sind diese Dienstleistungen so wichtig? Die Intervention soll das Risiko von Spätfolgen eines traumatisierenden Ereignisses verhindern oder immerhin vermindern. Dem Betroffenen wird geholfen, mögliche emotionale Reaktionen nach einem derart belastenden Ereignis, wie Angst, Trauer, Enttäuschung, Schuldgefühle, Scham, Wut sowie körperliche Reaktionen, als normal zu akzeptieren.
Es liegt in der Natur der Sache, dass die Helfer bei der Notfallbetreuung mit Menschen in Extremsituationen konfrontiert werden und ihre eigenen Grenzen der Belastbarkeit kennen müssen.
Die Betreuung wird allen angeboten, die von einer Krise oder Katastrophe direkt oder indirekt betroffen sind – seien es Opfer, Angehörige, Beteiligte, Zeugen oder Täter. Diese Art der Nothilfe beschränkt sich auf die Akutphase und richtet sich nach den Bedürfnissen der jeweiligen Betroffenen, sowie nach der Art des Ereignisses.
Ausbildung der «Caregiver»
Im Kanton Baselland erfolgt die Ausbildung mehrstufig. Zum einen mit der Einführung in die psychologische Nothilfe und mit dem «Fachkurs Care Giver». Zum anderen durch regelmässige Weiterbildungen innerhalb des Kantons.
Andere Kantone – wie zum Beispiel Basel-Stadt – kaufen die Leistungen bei der Care-Organisation «Care-Link» ein und unterhalten kein eigenes Team. Baselland hingegen hat sich aufgrund der langjährigen und direkten Zusammenarbeit mit ihrem Care-Team ein Vertrauensverhältnis aufgebaut, das für die Ausführung dieser Tätigkeit unabdingbar ist. Ausserdem ist die Einflussnahme auf die permanente Aus- und Weiterbildung und die damit verbundene Qualitätssicherung gewährleistet.
Die Dienste sind für die Betroffenen unentgeltlich, die Mitglieder des Baselbieter Care-Teams sind nicht angestellt, die Ausbildungskosten trägt der Kanton.
Die Autorin ist Mitglied des Care-Teams Baselland.