«Wo nimmt Helenchen das Pulver her?»
06.08.2021 Kultur, SissachKaspar Geiger
Moskauiade
Helene, jetz hesch Farb bekennt, Hesch Di für «rot» entschlosse. Doch isch das gar es gspässigs Rot, In das jetzt bisch verschosse. Und offe gseit, du hesch enttüscht, Ha di für gscheiter ghalte. I ha doch ...
Kaspar Geiger
Moskauiade
Helene, jetz hesch Farb bekennt, Hesch Di für «rot» entschlosse. Doch isch das gar es gspässigs Rot, In das jetzt bisch verschosse. Und offe gseit, du hesch enttüscht, Ha di für gscheiter ghalte. I ha doch glaubt, dass grad in dir E gsunde Geischt det walte.
«Volksstimme», 18. September 1953, Verfasser unbekannt
Im Rahmen des Kulturprojekts «Cheesmeyer – Ein Haus zwischen den Zeiten» beleuchtet die «Theatercompany Texte und Töne» mit dem Theaterstück «Wo nimmt Helenchen das Pulver her?» ein Stück Sissacher Lokalgeschichte in Zeiten des Kalten Krieges. Die weitherum geschätzte Mundartdichterin Helene Bossert gerät in einen «Shitstorm», weil sie die Einladung zu einer Reise nach Moskau mit einer Gruppe von 12 Frauen annimmt. Männergremien sitzen zu Gericht, es folgen öffentliche Ächtung und Berufsverbot.
Das Theaterensemble wagt auf der Grundlage historischer Dokumente den Versuch einer Rekonstruktion dieses Zeitabschnittes öffentlicher Ächtung und nähert sich gleichzeitig der Dichterin und ihren Gedichten. Die folgenden Dokumente gewähren Einblick in die Art und Weise, wie gegen die Mundartdichterin vorgegangen wurde und gegen jene, die sich für sie eingesetzt hatten.
Beide hier zitierten Dokumente werden im Stück zu Helene Bossert nicht verwendet.
Sissach, den 24. Sept. 1954.
Sehr geehrter Herr Kundert, Es ist schon spät. Mein Gschpahne ist ausnahmsweise ausser Haus. – Und so in der Stille dachte ich an den Abend vor einem Jahr zurück: Ich sah das Ballet: «Der Schwanensee». Das letzte Beisammensein mit den russischen Frauen … Die Fahrt in der Nacht durch die Weltstadt zum Flugplatz … Der Abschied … Heute vor einem Jahr! Was dazwischen liegt – nun, es ist recht so. Das ist das Leben – und ich, wir werden weiter leben! Sie erinnern sich vielleicht, dass ich davon sprach, dass sieben Sowjetfrauen in die Schweiz auf Besuch kommen. Sie sind also da. Wenn man sieht, wie die russischen Frauen in Zürich vom Stadtrat zum Mittagessen eingeladen wurden, dass der Stadtrat ihnen zwei Autos zur Verfügung stellte und den Saal in der «Eintracht» mit Flügel für den Abend; dass Stadtpräsident Landolt einen Gruss an diesem Abend schickte. Das alles wäre vor einem Jahr unmöglich gewesen.
Helene Bossert
16. März 1954.
An die Schweiz. Bundesanwaltschaft, Bern. Betrifft: Fausch-Bossert Helene, geb. 8. April 1907, von Seewis/GR, wft. in Sissach, Bützenenweg 76.
In der Beilage übermitteln wir Ihnen den «Landschäftler», No. 55, vom Samstag, den 6. März 1954. Im Leitartikel «Um eine Russlandreise» ist von der Reise der Helene Fausch-Bossert nach Moskau die Rede. Der Verfasser kritisiert die massiven Presseattacken gegen Helene Fausch und verurteilt vor allem den Entscheid des Studio Basel, wonach in Zukunft auf ihre Mitarbeit verzichtet werde. Das allgemeine Verhalten gegen die Baselbieter Dichterin wird als «McCarthysmus» bezeichnet und sie selbst in Schutz genommen.
Beim verantwortlichen Redaktor des Landschäftlers, der zugleich Verfasser des Artikels ist, handelt es sich um: Kundert Alfred, geb. 17. Dez. 1894, von Bischofszell, Redaktor, wft. in Liestal, Spittelerstrasse 9. Der Genannte ist im Jahre 1934 von Herisau kommend in Liestal zugezogen und seither betätigt er sich ununterbrochen als Redaktor des Landschäftlers. Er ist nach unserer Auffassung in politischer Hinsicht ein undefinierbarer Bürger. Er verkehrt in Kreisen der Demokraten. Anderseits ist uns bekannt, dass er die Anschauungen der Kommunisten gutheisst, d. h. dieselben nicht verurteilt.
POLIZEIKOMMANDO: Spezialdienst i.V. Beilage: 1 Landschäftler sig. Lt. Scholer 16. März 1954.»
Auch wenn sich die Künstlerinnen und Künstler um den Regisseur Kaspar Geiger in ihrem Rekonstruktionsversuch ganz streng an überlieferte Dokumente halten und diese ausschliesslich mit den Mitteln des Theaters zugänglich zu machen versuchen, sind sie weit davon entfern zu meinen, sie seien in der Lage, in der Vergangenheit liegende Vorkommnisse in ihrer Komplexität zu erfassen. Allein die Art der zur Darstellung ausgewählten Dokumente führt unvermeidlich zu Einseitigkeiten. Und Rekonstruktionen auf der Bühne sind auch nie frei von Nacherfindungen, ob man will oder nicht.
Masgge
I ha mi gee ganz offe wien es Buech, jede Möntsch het drinne chönne läse, und vo verstelle niene nit e Gspuur, ha gmendt so sygen alli rächte Wäse. Hüt aber leggen ii e Masggen aa, frömd wird i vor de Lüte schyne, und wird käi Miene meh verzieh, wird numme ganz im Ghäime gryne.
Helene Bossert
Helene Bossert
vs. Helene Bossert (1907–1999) wuchs in Zunzgen in einfachen Verhältnissen auf. Danach arbeitete sie als Haushaltsoder Fabrikaushilfe. Später absolvierte sie eine sprachpädagogische Ausbildung. Im Jahr 1944 heiratete sie Ulrich Fausch und wurde Hausfrau. Bekanntheit erlangte Fausch-Bossert unter ihrem ledigen Namen als Dichterin und Autorin in Baselbieter Mundart, besonders mit den Gedichten «Blüemli am Wääg» von 1942 und «Stärnschnuppe» von 1980, ihrem Erzählband «Änedra» von 1972 und der Verserzählung «Mit verbundne Auge» von 1994.
Bis 1953 war Bossert freie Mitarbeiterin beim Radio-Studio Basel, für das sie Hörspiele verfasste und als «Hitspielerin» tätig war. Zudem war sie während des Zweiten Weltkriegs beim Frauenhilfsdienst als Soldatenmutter aktiv. Nachdem sie 1953 mit der Basler Frauenvereinigung für Frieden und Fortschritt (BFFF) eine Studienreise in die Sowjetunion unternommen hatte, bekam Fausch-Bossert im Kanton Basel-Landschaft politische Probleme. Sie wurde in Presseberichten öffentlich diskreditiert. Ihr wurde vorgeworfen, Kommunistin oder zumindest Sympathisantin der Kommunistischen Partei zu sein, da die Reise von dieser bezahlt worden sei. Das Radio-Studio Basel entliess sie daraufhin und ihre Publikationsmöglichkeiten waren fortan eingeschränkt. Darüber hinaus wurde sie von der Politischen Polizei überwacht.
Selbst eine Interpellation von 1954 im Landrat durch den späteren Regierungsrat Paul Manz konnte ihre Wiedereinstellung beim Radio nicht erwirken. Bossert wurde erst 1970 rehabilitiert.
Im Jahr 1971 gab die Baselbieter Literaturkommission als Zeichen der Wiedergutmachung eine Auswahl von Bosserts Erzählungen heraus. 1988 erhielt die damals in Sissach lebende Dichterin in Anerkennung ihres Werkes den Baselbieter Kulturpreis.
Auszug aus dem Personenlexikon des Kantons Basel-Landschaft.
Ort der Begegnung
vs. «Cheesmeyer – Ein Haus zwischen den Zeiten» – ein interdisziplinärer Parcours durch das ehemalige Warenhaus «Cheesmeyer».
Wo sich vor nicht allzu langer Zeit das halbe Baselbiet mit allem eingedeckt hat, was man zum Leben braucht, öffnet die «Theatercompany Texte und Töne» die Türen des ehemaligen Warenhauses «Cheesmeyer» in Sissach mit einem interdisziplinären Parcours durch Zimmer, Treppenhäuser und Abstellkammern. Während eines Monats zeigt sich das Haus mit Theater, Installationen, Musik, Gastronomie, Führungen, Lesungen und Performances der Öffentlichkeit. Das Warenhaus wird zu dem, was es schon immer war, was es heute ist und in Zukunft werden könnte: ein Ort der Begegnung für alle.
Das Programm vom 21. August bis 19. September
Jeweils Mittwoch / Donnerstag / Freitag:
16 bis 20 Uhr Parcours durch das ehemalige Sissacher Warenhaus «Cheesmeyer»
Jeweils 20 Uhr Sonderveranstaltung (siehe www.texteundtoene.ch">www.texteundtoene.ch).
Jeweils Samstag / Sonntag:
16 bis 22 Uhr Parcours durch das ehemalige Warenhaus «Cheesmeyer»
18.30 Uhr Theatervorstellung «Maria Kunz»,
20.30 Uhr Theatervorstellung «Wo nimmt Helenchen das Pulver her?»
Infos und Tickets: www.texteundtoene.ch, www.ticketino.ch, 0900 441 441 (1.– / Min.)