Wenn der Mond an der Sonne knabbert
08.06.2021 Natur, Thürnen, PorträtDavid Thommen
Die partielle Sonnenfinsternis vom Donnerstag, 10. Juni, wird bei uns wenige Sekunden vor 11.30 Uhr beginnen. Dann schiebt sich der Mond langsam im oberen Bereich vor die hoch stehende Sonne und «knabbert» diese an. Um 12.20 Uhr ist das Maximum in ...
David Thommen
Die partielle Sonnenfinsternis vom Donnerstag, 10. Juni, wird bei uns wenige Sekunden vor 11.30 Uhr beginnen. Dann schiebt sich der Mond langsam im oberen Bereich vor die hoch stehende Sonne und «knabbert» diese an. Um 12.20 Uhr ist das Maximum in unseren Breiten erreicht: In der Nordwestschweiz werden weniger als 7 Prozent der Sonnenscheibe abgedeckt. Bemerken wird man davon in unseren Breiten nichts. Anders als bei der grossen Sonnenfinsternis im Jahr 1999 wird es bei uns nicht dämmrig oder sogar dunkel. In Russland, Grönland oder Kanada hingegen wird man am Donnerstag von der Sonne nur noch einen schmalen, gleissenden Ring sehen. Die Bilder davon werden um die Welt gehen.
Für den Thürner Jörg Studer (47) ist die Sonnenabdeckung von knapp 7 Prozent aufregend genug: «Ich habe einen Ferientag eingegeben», sagt der Astrofotograf. Er wird sein schweres, an seinen Laptop angeschlossenes 80-Zentimeter-Teleskop in Position und seine Fotokamera auf dem Stativ in Stellung bringen, deren 600-Millimeter-Objektiv mit einem Mehrfachkonverter aufgerüstet ist. Die Optik ist dadurch so stark, dass die 150 Millionen Kilometer entfernte Sonne fast formatfüllend im Sucher seiner Kamera erscheint. Geschützt wird das Objektiv mit einem starken Filter, der nur noch ein Hunderttausendstel des Lichts durchlässt. Dass die Sonne ohne entsprechende Vorkehrungen eine höchst zerstörerische Wirkung auf Augen und optische Geräte hat, ist überflüssig zu betonen.
30 Millionen Lichtjahre entfernt
Der in Oensingen aufgewachsene Studer ist Mitglied der Fotogruppe der Astronomischen Vereinigung Aarau, die auf der Schafmatt eine Sternwarte betreibt. Seit rund eineinhalb Jahren betätigt er sich hobbymässig, aber dennoch intensiv als Astrofotograf. Zuletzt ist ihm eine spektakuläre Aufnahme gelungen: vom Durchflug der Raumstation ISS vor der Sonne. Wir haben das Bild in der «Volksstimme» vom 4. Mai gezeigt.
Familienvater Studer: «Meine Frau hat mich einst mit dem Fotovirus angesteckt.» Er fotografiere zwar schon seit vielen Jahren, doch habe er früher «eher nur geknipst», sagt er und lacht. Als er jeweils spätnachts nach der Arbeit heimfuhr, habe er stets sehnsüchtig die Sterne betrachtet und dann zunehmend damit begonnen, die Optik seiner Kamera auf den Nachthimmel zu richten. Nach und nach folgte die Spezialisierung. Die Objektive wurden länger, die Technik ausgefeilter und die Bildbearbeitungssoftware auf die Astrofotografie angepasster. Hinzu kam, dass er die «Geografie» am Nachthimmel lernen musste. Inzwischen kenne er vielleicht die Hälfte der Sternbilder, sagt er. Seine Aufnahmen veröffentlicht er auf Facebook und Instagram.
Mittlerweile hat er Objekte im Universum fotografiert, die bis zu 30 Millionen Lichtjahre entfernt sind (ein Lichtjahr = 9,46 Billionen Kilometer). Naturgemäss ist aus dieser gewaltigen Distanz das Licht so schwach, dass es extrem lange Belichtungszeiten braucht, bis genügend davon auf dem Chip an der Kamerarückwand eingetroffen ist. Teilweise bleibt der Verschluss während vier Stunden offen. Da sich die Erde in dieser Zeit munter weiterdreht und die leuchtenden Fixpunkte in den Weiten des Alls dadurch auf dem Bild nur noch als lange Spuren erscheinen würden, bedient sich der Astrofotograf eines Motörchens, das im Gleichschritt mit der Erdrotation die Kamera auf dem Stativ bewegt, nämlich um 15 Grad pro Stunde. Nach der Belichtung erfolgt die Bearbeitung der Fotos am Computer. Hier geht es vorwiegend darum, schwache Lichter mit einer Spezialsoftware weiter zu verstärken. Teilweise werden dafür bis zu 50 Einzelbilder übereinandergelegt. Das erledigt das Programm.
«Gnadenlose Luft»
Astrofotografen kämpfen mit vielen «Feinden», beispielsweise Wolken oder der Licht-Verschmutzung. «Einfach gnadenlos» sei Luft, die sich bewegt, sagt Studer. Die Atmosphäre wirke wie eine Linse. Herrscht dort Unruhe, verschwimmen die Objekte auf der Aufnahme. Ausgezeichnete Fotos gelängen nur dann, wenn es trocken und absolut windstill ist, zudem sei die Zeit während des Neumonds ideal, da der Mond der grösste «Licht-Verschmutzer» überhaupt ist.
Dazu sei es von Vorteil, wenn man sich auf einen möglichst hohen Berg begebe. Ganz perfekt, so Studer, seien die Bedingungen hierzulande nur vielleicht ein oder zwei Mal pro Jahr. Dann müsse man bereit sein.
Mikro und Makro
Während Studer bei seinem Hobby den unendlichen Weiten nachspürt, ist er in seinem Beruf mit dem fast unendlich Kleinen beschäftigt: Mit dem Atom, das erst noch gespalten wird. Er arbeitet seit 12 Jahren als Reaktoroperateur im Kernkraftwerk Gösgen und ist während seiner Schicht für den reibungslosen Betrieb des Werks mitverantwortlich. Der gelernte Mechaniker hatte sich dafür unter anderem an der Technikerschule des Paul-Scherrer-Instituts weitergebildet. Parallelen zwischen unendlich klein und unendlich gross gebe es viele, sagt er. So verstehe man beispielsweise besser, weshalb etwa eine Gaswolke in einer fernen Galaxie rot leuchte, wenn man mit dem Vorgang bei einer Kernspaltung vertraut sei. Studer lacht: «Die Sonne ist letztlich ja auch nur ein Reaktor.» Auch wenn dort nicht die Kernspaltung, sondern die Kernfusion stattfindet. Indessen: «Die Kernfusion wird für die Energiegewinnung intensiv erforscht, das könnte die Zukunft sein.»
Wird man unweigerlich zum Philosophen, wenn man für ein einziges Foto bis zu vier Stunden neben seiner Kamera ausharrt und in den Sternenhimmel starrt? Kommt man der Antwort näher, ob das Universum tatsächlich unendlich ist – oder ob es da draussen Leben gibt? Studer sagt mit einem Lachen: Nein, schlüssige Antworten finde man natürlich nicht. Aber dass es da draussen irgendwo Leben gibt, halte er für sehr wahrscheinlich: «Aber wir werden wohl nie mit anderen Zivilisationen in Kontakt kommen. Das Universum ist viel zu riesig.»
Warten auf 2026
Nach dem Grossereignis mit der partiellen Sonnenfinsternis vom Donnerstag will Studer neue Projekte in Angriff nehmen. Der Planet Saturn mit seinen Ringen hat es ihm angetan, und die Sternbilder Schwan und Orion will er noch besser fotografieren, als es ihm bisher gelungen ist. Auch die Galaxie mit dem Namen Whirlpool will er aus seinem Thürner Garten heraus nochmals in den Fokus nehmen: «Sie ist eine Kannibalin und verschluckt gerade eine Zwerggalaxie ...» Ferner möchte Studer die gewaltige, spiralförmige Andromeda-Galaxie mit ihren Nebeln festhalten, wie sie über dem Baselbiet aufgeht. Als Standort für die Aufnahme hat er sich die Bölchenfluh ausgesucht. Fototechnisch stellt ihn das vor grössere Herausforderungen. Denn das Bild soll in einem Zug gelingen und nicht nachträglich am Computer aus mehreren, zu verschiedenen Zeiten aufgenommenen Fotos zusammengesetzt werden. «Solche Montagen können hübsch ausschauen, sind aber nicht meine Sache.»
Bereits Ende des nächstens Jahres wird es in Mitteleuropa zu einer weiteren partiellen Sonnenfinsternis kommen. So richtig aufregend wird es dann am 12. August 2026: Dann wird in unserer Region der Mond die Sonne zu 95 Prozent verdecken. Jörg Studer könnte für diesen Tag beispielsweise nach Mallorca reisen: Dort gibt es am Abend um 18.32 Uhr sogar die totale Sonnenfinsternis zu fotografieren.