«Dieser Unfall fährt ein, aber er ändert nichts»
03.06.2021 SportMotorsport | Nach Todessturz: Sandro Furter zum Risiko auf der Rennstrecke
Der Tod des 19-jährigen Töfffahrers Jason Dupasquier bewegt die Schweiz. Auch der Anwiler Motorsportler Sandro Furter trauert um den Westschweizer, sagt aber auch: «Wir fahren immer am ...
Motorsport | Nach Todessturz: Sandro Furter zum Risiko auf der Rennstrecke
Der Tod des 19-jährigen Töfffahrers Jason Dupasquier bewegt die Schweiz. Auch der Anwiler Motorsportler Sandro Furter trauert um den Westschweizer, sagt aber auch: «Wir fahren immer am Limit und mit viel Risiko im Gepäck.»
Sebastian Wirz
Herr Furter, die Motorsport-Schweiz bezeichnet sich oft als Familie. Haben Sie den verunfallten Jason Dupasquier gekannt?
Sandro Furter: Gekannt wäre zu viel gesagt. Ich habe ihn ein-, zweimal getroffen, aber gut gekannt habe ich ihn nicht. Ich möchte meine Anteilnahme an Jasons Familie und alle Menschen, die um ihn trauern, ausdrücken.
Haben Sie selber schon einmal einen Unfall mit Todesfolge miterlebt?
Leider ja. Im Juni 2019, in meiner ersten Saison in der Internationalen Deutschen Meisterschaft (IDM), verunfallte der Deutsche Dennis Lippert bei einem Rennen in Oschersleben. Er war 23 Jahre alt. Der Unfall ereignete sich schon etwa in der dritten Runde und glich dem von Jason extrem: Der Fahrer stürzt, es wirft ihn zurück auf die Strecke, die ersten Fahrer können ausweichen und ein weiterer fährt in den verunfallten Konkurrenten. Dennis wurde im Helikopter abtransportiert und erlag wie Jason danach im Spital seinen Verletzungen.
Wie sind Sie damit umgegangen?
Es ist schwierig, nach so einem Unfall die Konzentration wiederzufinden, aber auch bei uns ging es nach dem Unfall weiter. Und ich muss sagen: Das war das einzig Richtige. Es ist schwierig, bei so einer Tragödie die richtigen Worte zu finden, ja. Eine Nachricht wie die von Jason fährt ein, aber sie verändert nichts.
Machen Sie sich nicht mehr Sorgen nach so einem Unfall?
In den Rennen der Supersport-600er-Klasse, in der ich in der IDM fahre, kommen wir auf Geschwindigkeiten von bis etwa 265 Stundenkilometern auf den Geraden, aber auch in der Kurve können es mehr als 200 sein. Da fährt das Risiko immer mit. Töfffahren ist ein toller Sport, aber es ist eine Risikosportart, und wir fahren immer am Limit. Viel können wir mit der Vorbereitung und unserem Können kontrollieren, aber nicht alles. Wenn ich stürze, kann ich nicht kontrollieren, wo ich lande und wie die Kollegen hinter mir fahren.
Sie sind auch schon gestürzt. Haben Sie ähnlich heikle Momente erlebt?
Ich bin nach einem Sturz auf der Strecke gelandet und hätte überfahren werden können. Auf der Fahrbahn registriert man das aber nicht. Es wird einem erst ein paar Sekunden später bewusst, wenn man wieder klar wird im Kopf.
Wie schützen Sie sich bei diesen hohen Geschwindigkeiten?
In diesem Bereich hat es grosse technische Fortschritte gegeben. Wir tragen Helm, Stiefel sowie Handschuhe und jedes Gelenk am Körper ist irgendwie mit Karbon umgeben. Im Lederkombi mit den Protektoren ist ein Airbag inklusive GPS-Sensor eingebaut. Konstant werden die G-Kräfte gemessen. Das System merkt, wenn etwas nicht stimmt, und bläst den Airbag auf. Das knallt fast und du kannst für einen Moment nicht atmen. Die gefährlichste Stelle ist und bleibt der Hals. Da muss der Fahrer beweglich sein und da bringt der Airbag nichts.
Die Airbags wurden mittlerweile auch beim Skifahren eingeführt. Wer mit 140 Stundenkilometern über die Piste rast und stürzt, dem hilft der Airbag aber auch nicht viel. Muss man als Motor- und Alpinsportler einfach verrückt sein, um diese Risiken auf sich zu nehmen?
Den Vergleich finde ich durchaus passend. Auch einem Abfahrer kann man nicht sagen: «Fahr doch einfach langsamer.» Wenn er dieses Tempo nicht gehen will, soll er nicht Weltcup fahren. Ich würde sie und uns Motorsportler aber nicht als Verrückte bezeichnen, sondern als gute Verdränger. Ich bin Realist, in einer ruhigen Minute zu Hause auf der Couch weiss ich, welche Risiken ich eingehe und welche Gefahren drohen. Aber auf dem Rennplatz sind diese Fragen kein Thema. Es überwiegt das Gefühl, die Kontrolle über das eigene Limit zu haben. Viele Fahrer tragen den Risiken in ihrer Lebensgestaltung neben dem Renn-Zirkus Rechnung.
Wie kann man sein Umfeld auf die Möglichkeit einstellen, dass man von einem Rennwochenende nicht zurückkehrt?
Einige binden sich nicht, gründen keine Familie oder kaufen etwa kein Wohneigentum. Die Frage, ob der Sport am Limit das Risiko wert ist, muss man sich stellen. Aber wenn ich auf dem Töff bin, ist sie weit weg. Wer die Frage für sich nicht beantworten kann, sollte keine Rennen fahren.
Hatten Sie in einem Rennen schon einmal Angst?
Nein. Wenn der Moment kommt, in dem ich auf dem Töff sitze und mir im Rennen durch den Kopf geht, dass ich bei der nächsten Kurve stürzen und sterben könnte, dann ist der Zeitpunkt gekommen aufzuhören. Der Todesfall von Jason ist tragisch und es ist schrecklich für alle Betroffenen. Aber meine Begeisterung für diesen Sport mindert er nicht. Ich fahre weiter.
Zwei Rennen, einmal in die Punkte
wis. Mit der wegen der Pandemie erwarteten Verspätung hat die diesjährige Internationale Deutsche Meisterschaft am 21. Mai in Oschersleben (Sachsen-Anhalt) begonnen. Der Anwiler Sandro Furter fährt wie in den beiden Vorjahren in der Klasse Supersport 600 auf einer 600-Kubikzentimeter-Kawasaki. Pro Meisterschaftswochenende finden zwei Rennen statt. Trotz einer komplizierten Umstellung von trockenen auf nasse Verhältnisse in beiden Rennen hat sich Furter in Oschersleben im 15. und im 16. Rang platziert. Der 15. Platz bedeutete am ersten Rennwochenende schon den ersten Punktgewinn für das Gesamtklassement. Die nächste Station ist in Tschechien: Vom 11. bis 13. Juni fährt Furter in Most.