«Viele Junge langweilen sich»
13.04.2021 Bezirk Sissach, Gesellschaft, SissachJugendsozialarbeiter Dennis Kurz über Krawalle und Frust Jugendlicher infolge Corona
Viele Beteiligte der nächtlichen Gelage und Krawalle von St. Galen waren Jugendliche. Frust und Langeweile scheinen Treiber für die unschönen Szenen zu sein. Kann es auch im Oberbaselbiet dazu ...
Jugendsozialarbeiter Dennis Kurz über Krawalle und Frust Jugendlicher infolge Corona
Viele Beteiligte der nächtlichen Gelage und Krawalle von St. Galen waren Jugendliche. Frust und Langeweile scheinen Treiber für die unschönen Szenen zu sein. Kann es auch im Oberbaselbiet dazu kommen?
Lisa Zumbrunn
Herr Kurz, Sie sind als Sozialarbeiter nahe an den Jugendlichen. Waren die Krawalle von St. Gallen für Sie und Ihre Berufskollegen hier ein Thema?
Dennis Kurz: Gross über die Krawallnächte haben wir unter den Sozialarbeitenden in unserer Region nicht gesprochen. Natürlich interessieren wir uns für diese Ereignisse, doch speziell einen Einfluss auf unsere Arbeit hatten die Vorkommnisse in St. Gallen nicht.
Wie haben Sie dies bei den Jugendlichen erlebt?
Interessanterweise haben viele junge Personen aus der Region Sissach gar nichts oder nur wenig von den Ereignissen in St. Gallen mitbekommen. Daher war dies auch kein spezifisches Thema im Kontakt mit ihnen.
Wie schätzen Sie die Stimmung der Jugendlichen nach einem Jahr Pandemie ein?
Leider befinden wir uns in einer sehr schwierigen Situation, die ich nicht unterschätzen möchte. Fehlende Perspektiven nach einem Jahr Ausnahmesituation können bei den Jugendlichen verschiedenste Reaktionen auslösen. Die jungen Menschen sind mit Langeweile konfrontiert und müssen irgendwie damit umgehen.
Wie gehen Sie beziehungsweise die Stiftung Jugendsozialwerk darauf ein?
Im Vergleich zum ersten Lockdown hatten wir schon erheblich bessere Möglichkeiten, auf die Jugendlichen einzugehen. Zu Beginn des vergangenen Jahres konnten wir unsere Räumlichkeiten nicht nutzen, was für die Situation sehr wichtig gewesen wäre. Nun hat sich dies glücklicherweise geändert. Wir können physischen Raum bieten, wo sich die jungen Leute treffen können und teilweise sogar Sportaktivitäten durchführen.
Wie wichtig ist der physische Kontakt in Zeiten wie diesen?
Gerade für Jugendliche, die zu Hause sowieso schon auf engem Raum wohnen, sind öffentliche Räume enorm wichtig. Wir versuchten durch unsere Arbeit den Jugendlichen näherzubringen, auch bewusst von den Sozialen Medien zu pausieren. Sportliche Ausgleiche, haptische Tätigkeiten wie Brettspiele sind in den vergangenen Monaten wieder beliebt geworden.
Mussten Sie als Jugendarbeiter Ihre gewohnten Arbeitsweisen ändern?
In den vergangenen Monaten mussten wir in der Jugendarbeit tatsächlich neu denken. Von Beginn an versuchten wir verstärkt über die Sozialen Medien präsent zu sein. Man konnte uns anschreiben, zudem lieferten wir Beschäftigungsideen zu Sport, Backen und Spielen in allen möglichen Formaten. Der Spagat zwischen Präsenz in den Sozialen Medien und einem möglichst physischen Programm war für uns besonders herausfordernd.
Wie gross ist der Einfluss der elektronischen Geräte im Alltag?
Die Jugendlichen sind momentan ständig elektronischen Medien ausgesetzt. Neben der Freizeit sind nun auch viele schulische Tätigkeiten am Notebook auszuführen. Wir sehen unsere Aufgabe darin, den Jugendlichen die Möglichkeit zu bieten, ihre Freizeit aktiv zu gestalten. Dies heisst, nicht nur Konsumierende von Sozialen Medien und Co. zu sein, sondern wirklich aktiv eine Tätigkeit durchzuführen.
Hat sich die Lage in der letzten Zeit verändert? Oder herrscht seit einem Jahr eine gleichbleibende Stimmung?
Grundsätzlich kann ich nicht sagen, dass sich die Lage verschärft hat. Allerdings ist nicht abzustreiten, dass eine Monotonie herrscht. Viele Jugendliche langweilen sich, was zu allem Möglichen führen kann. Verstärkte Depressionen oder aggressives Verhalten – die Langeweile kann sich in viele Richtungen entwickeln.
Könnte sich daraus eine Situation wie in St. Gallen entwickeln?
Diese Frage ist schwierig zu beantworten. Tendenziell würde ich sagen, dass dies in unserer Region momentan nicht der Fall ist. Aber grundsätzlich ist so etwas unter den herrschenden Voraussetzungen immer und überall möglich.
Gibt es positive Entwicklungen, die Sie in den vergangenen Monaten beobachten konnten?
Es freut mich ganz allgemein zu sehen, wie gut die Jugendlichen in der Region mit der Situation umgehen. In den letzten Monaten haben viele gezeigt, dass unglaublich viel Potenzial in ihnen steckt. Kreative Ideen, wie mit der Lage umgegangen wird, stimmen mich enorm zuversichtlich. Die jungen Menschen haben Pläne für die Zukunft und überlegen sich auch jetzt, wie sie diese erreichen wollen. Dies sind herausragende Momente, in denen die Pandemie gar nicht da zu sein und alles normal scheint.
Was braucht es, um die Situation für die Jugendlichen zu verbessern?
Ganz wichtig zu sagen ist, dass wir bei möglichen Lockerungen gerade die jungen Leute im Fokus haben. Viele von ihnen können gar nicht nachvollziehen, warum alle diese Einschränkungen gemacht werden. Wir müssen ihnen wieder die Möglichkeiten geben, Kind und Jugendliche zu sein, miteinander zu spielen und ihre Erfahrungen im gemeinschaftlichen Leben zu machen.
Zur Person
zli. Dennis Kurz ist Mitarbeiter bei der Stiftung Jugendsozialwerk in der Abteilung Kind, Jugend, Familie (KJF). Zu seinen Tätigkeiten gehören die Leitung des Jugendzentrums in Sissach, bekannt unter dem Namen «Club Underground». Ausserdem ist er Teil des Schulsozialdienstes der Primarschule Diegten.
Er unterstützt Kinder und Jugendliche über alle Altersklassen in verschiedensten Bereichen. Gerade die Pandemie ist für seine Arbeit mit normalerweise viel physischem Kontakt eine Herausforderung.