Das grösste Natursteinmosaik Deutschlands

  18.03.2021 Baselbiet, Kultur, Diegten, Känerkinden

Walter Eglins Mosaik «Luther vor dem Reichstag zu Worms 1521»

Das Werk «Luther vor dem Reichstag in Worms» des Baselbieter Künstlers Walter Eglin erhält aus Anlass des «Martin Luther Gedenkjahrs 2021» eine besondere Beachtung. Eglin hat für das riesige Mosaik in der Dreifaltigkeitskirche von Worms 40 000 bis 45 000 Steine in freier Natur gesammelt und behauen.

Von Toni Eglin und Thomas Schweizer

Es herrschte Aufregung und erregtes Treiben in der Stadt bei dem sich monatelang hinziehenden Reichstag zu Worms im Jahr 1521. Für ein paar Tage im April sollte die Routine durchbrochen und der kaiserliche Anlass zu einem welthistorischen Ereignis werden. Bei einem Disput wurden die Thesen Martin Luthers als gefährlich und falsch beurteilt und er selber zum Widerruf seiner Schriften aufgefordert. Doch Luther blieb standhaft, und so kam es am 18. April zu den berühmten Sätzen, die zwar im Protokoll fehlen und daher nicht verbürgt sind, aber sinngemäss Luthers Haltung eindeutig darlegen: «Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen.»

Und wo stand der Augustinermönch und Theologieprofessor Martin Luther? Vor dem jungen deutschen Kaiser Karl V. am Ende eines heftigen Disputs mit seinem Gegner Dr. Johann Eck, Offizial des Erzbischofs von Trier. Luther vertrat die gleiche Meinung, die er vier Jahre zuvor in 95 Thesen einem Brief an den Erzbischof von Mainz beigefügt hatte. Der Thesenanschlag an die Schlosskirche von Wittenberg bleibt hingegen umstritten. Es ging Luther um den Missbrauch durch den Ablasshandel, verbunden mit einer Kritik am damaligen Papsttum. Seine Standhaftigkeit hatte zur Folge, dass nach dem Kirchenbann auch die Reichsacht über ihn verhängt wurde. Da Luther bereits viele Anhänger hatte, kam es zur Spaltung in der katholischen Kirche, zur Reformation. Die Gedenkanlässe für Martin Luther, verteilt auf zehn Jahre, erleben somit diesen Frühling in den reformierten Teilen Deutschlands und der Schweiz einen weiteren Höhepunkt.

Markanter Fixpunkt
Dieses welthistorische Ereignis in Worms – eine Stadt nördlich von Mannheim, linksufrig am Rhein gelegen – hatte natürlich zu allen Zeiten auch die Künstler angeregt. Unter anderem schuf Lucas Cranach der Ältere 1529 ein viel bewundertes Gemälde. Ein anderes Bild stammte vom Maler Johann Martin Seekatz, das zum künstlerischen Schmuck der barocken Dreifaltigkeitskirche in Worms gehörte. Die erstaunliche Tatsache ist nun die, dass zu dieser illustren Künstlergarde auch ein Baselbieter gehörte: Walter Eglin. Nach dem grössten Mosaik der Schweiz – zu bewundern am Haupteingang des Kollegienhauses der Universität Basel – hat er auch das grösste Natursteinmosaik Deutschlands geschaffen: «Luther vor dem Reichstag zu Worms 1521». Damit hat Walter Eglin das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Gemälde von Seekatz mehr als ersetzt. Es ist ein markanter künstlerischer Fixpunkt in der bereits erwähnten und in den 1950er-Jahren renovierten und künstlerisch neu gestalteten Dreifaltigkeitskirche der Luther- und Nibelungenstadt.

Weniger erstaunlich – aber betrüblich – ist allerdings die Tatsache, dass in der Schweiz nur Insider und Freunde der Kunst von Walter Eglin von diesem grossartigen Werk wissen. Darum seien hier in der gebotenen Kürze die Entstehungsgeschichte, der Werdegang der Arbeiten und eine kurze inhaltliche Würdigung des Mosaiks dargestellt.

Die Vorlage für Eglins Werk bildete das Gemälde von Johann Martin Seekatz. Während des Bombenangriffs vom 21. Februar 1945 wurde die Dreifaltigkeitskirche in Worms stark beschädigt und das Gemälde mit dem Reichstagsdisput wie erwähnt zerstört. Die Vertreter der evangelischen Kirchgemeinde in Worms wollten aber diese wichtige Szene in bildlicher Form wieder in der Kirche zeigen. In Deutschland fanden sie keinen Künstler, der ihren Vorstellungen entsprach. Per Zufall wurden sie auf Walter Eglin aufmerksam, und so besuchten sie den Baselbieter Künstler und sein Mosaik «Sendung» am Kollegienhaus.

Erwartet hatten sie einen grossen stattlichen Mann mit Schlapphut und Künstlermähne. Entgegen kam ihnen ein kleiner, bescheiden auftretender Mann. Aber er wusste sie am Beispiel des grossflächigen Mosaiks zu überzeugen. So bekam er den Auftrag, ein Mosaik nach dem Gemälde von Seekatz zu schaffen, allerdings mit der Auflage, das Werk müsse auch einige wichtige Persönlichkeiten von damals enthalten.

Walter Eglin studierte Geschichtsbücher und vertiefte sich besonders in den Reichstag von 1521. Er wollte genau wissen, wie sich alles abgespielt hatte. In der Folge erstellte er unzählige Skizzen, schuf eine erste Probe und reiste damit nach Worms, wo er die zuständigen Leute der Kirchgemeinde endgültig überzeugen konnte. Nach dem definitiven Auftrag vom Mai 1958 musste er das Mosaik bis zur Wiedereinweihung der Kirche Ende Oktober 1959 fertiggestellt haben.

Eigenständiges Werk
Für diese kurze Zeit lag nun eine gewaltige Arbeit vor ihm. Wieder galt es, zuerst unzählige Steine zu suchen. Er fand sie im Baselbieter Jura, im Laufental, aber auch in Kems und im Odenwald. Fast Tag und Nacht arbeitete er in Diegten – wo er, anders als in seinem kalten Atelier, einen geheizten Raum mieten konnte – am grossen Mosaik mit einer Fläche von 35 Quadratmetern. Die in armiertem Beton gefassten 36 Platten wurden dann mit zwei Transporten per Schiff nach Worms gebracht.

Walter Eglin war sich der Bedeutung seiner Darstellung des welthistorischen Ereignisses voll bewusst. Es galt, die Hauptpersonen des Disputs vor dem Kaiser entsprechend hervorzuheben. Er legte seine ganze Kunst in dieses Werk, sodass wir geneigt sind, dieses Mosaik als den Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens zu bezeichnen. Wenn er sich auch an die üppige barocke Vorlage von Seekatz hielt, so wollte er sich dennoch nur auf das Wesentliche beschränken und ein eigenständiges Werk schaffen.

Wir sehen links den wortgewaltigen, vornehm gekleideten «Orator» Dr. Johann Eck, rechts Martin Luther in seiner bescheidenen Mönchskutte, dem Vertreter des Erzbischofs von Trier mit erhobenem linken Arm Paroli bietend. In der Mitte thront der junge Kaiser Karl V. wie unbeteiligt von der bedeutsamen Auseinandersetzung, der deutschen Sprache nicht mächtig und darum einen Übersetzer benötigend. Vor ihm leuchtet ein goldener Teppich mit dem Doppeladler der Habsburger. Darüber wölbt sich ein Baldachin aus schwerem Brokat. Auf beiden Seiten erkennen wir zahlreiche klerikale und weltliche Würdenträger, Sekundanten der zwei Streitenden, aber auch Luthers Schutzherrn, den Kurfürsten Friedrich den Weisen von Sachsen und seinen Gegner, den Kurfürsten Joachim I. von Brandenburg.

Insgesamt sind 34 Personen im Mosaik zu erkennen. Erst wenn man das Werk im Original sieht, nimmt man die filigrane Arbeit und die unterschiedlich dargestellten Charakterköpfe wahr. Tatsächlich, Walter Eglin ist mit dem Wormser Mosaik ein erstaunliches Kunstwerk gelungen.

Eine Reportage aus Worms
Wir haben das Glück, dass der Liestaler Lehrer, Leiter der Munzach-Grabungen und begnadete Fotograf Theodor Strübin zu einem Augenzeuge der Arbeit von Walter Eglin wurde. Er hatte ihn in Worms besucht und berichtete im März 1959 ausführlich – und mit eindrücklichen Aufnahmen ergänzt – über seine Gespräche und Erkenntnisse in der Liestaler Tageszeitung «Landschäftler». Die Fotos belegen, wie liebevoll der Künstler die Details gepflegt hatte, den scharfkantigen, mit Bart umrandeten Mund des Rhetorikers Johann Eck, die klaren, aufrichtigen Augen des Widerstand leistenden Mönchs Luther und den gelangweilt scheinenden Kaiser. Für den hellen Lichtstrahl von oben, der nur auf Luther fällt, hatte Eglin einige Hundert Plättchen aus Glas mit Blattgoldauflage in die Natursteinfläche eingestreut. Massvoll ist dann die Verwendung der glänzend weissen Rundkiesel, die starke Akzente an wichtigen Stellen setzen.

Wenn wir Strübins Reportage lesen, erkennen wir, wie tief beeindruckt er von der aufopfernden Arbeit des Baselbieter Mosaik-Künstlers war: «Wer brächte die Zähigkeit und die Liebe auf, 40 000 bis 45 000 Steine zu suchen, zu behauen und sinnvoll einem Ganzen einzuordnen?» Der Bericht schliesst mit einem Satz, dem wir nur beipflichten können: «Im Mosaikbild lebt die Kraft und Stärke, die nur aus ganzer, innerster Anteilnahme seines Schöpfers hineinströmen konnten.»

«Luther-Rundgang» in Worms
Die Stadt Worms bietet dieses Jahr vom April bis Oktober ein vielfältiges Gesamtprogramm an. Dazu gehört auch der «Luther-Rundgang», der zu fünf Orten in der Innenstadt führt, die mit dem Reichstag 1521 verbunden sind. Darunter befindet sich auch die Dreifaltigkeitskirche mit dem Walter-Eglin-Mosaik. Der grosse Oberbaselbieter Künstler bleibt sowohl in Israel (siehe «Volksstimme» vom 19. Januar) als auch in Worms unvergessen.

Toni Eglin (Olten, Sohn von Walter Eglin) und Thomas Schweizer (Füllinsdorf) pflegen das Andenken an Walter Eglin. Sie setzen sich dafür ein, dass der Baselbieter Künstler nicht in Vergessenheit gerät und dass seine Werke, insbesondere die Mosaiken und Sgraffiti, nicht verschwinden, verloren gehen oder zerstört werden.


Vielfältiger Künstler
vs.
Walter Eglin (1895 in Känerkinden geboren und 1966 in Diegten gestorben) schuf eine Vielzahl von Kunstwerken, unter anderem Holzschnitte, Mosaiken, Sgraffiti, Illustrationen, Malereien, Glasmalereien und Kerbschnitzereien. Ein Querschnitt seines Schaffens ist im Walter-Eglin-Museum in Känerkinden zu besichtigen.

Öffnungszeiten des Museums: Jeden 1. Sonntag im Monat von 10 bis 12 Uhr oder nach Vereinbarung, 062 299 22 19.
Der Eintritt ist frei.

 


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