Weniger Tagesfamilien für mehr Kinder
23.02.2021 Baselbiet, Bezirk LiestalDer Verein Tagesfamilien Oberes Baselbiet ist gefragter denn je
Während 117 000 Stunden haben im vergangenen Jahr im Einzugsgebiet des Vereins Tagesfamilien Oberes Baselbiet externe Familien fremde Kinder betreut. Das ist eine Rekordmarke, auch die Anzahl der betreuten Kinder lag nie so ...
Der Verein Tagesfamilien Oberes Baselbiet ist gefragter denn je
Während 117 000 Stunden haben im vergangenen Jahr im Einzugsgebiet des Vereins Tagesfamilien Oberes Baselbiet externe Familien fremde Kinder betreut. Das ist eine Rekordmarke, auch die Anzahl der betreuten Kinder lag nie so hoch.
Jürg Gohl
Wegen Corona sind im vergangenen Jahr die Kindertagesstätten, kurz Kitas, immer wieder in die Schlagzeilen geraten. Deshalb rückte eine andere bewährte, über Jahre gewachsene Form der familienexternen Kinderbetreuung in den Hintergrund. Dabei kann der Verein Tagesfamilien Oberes Baselbiet (VTOB) erneut auf ein Rekordjahr zurückblicken. Das zeigt die Bilanz des zügig wachsenden Vereins zum vergangenen Jahr.
487 Kinder haben insgesamt vom Angebot profitiert, tagsüber bei einer Gastfamilie zu leben. Vor einem Jahr waren es nach einer längeren stabilen Phase noch rund 15 Prozent weniger, und im Gleichschritt kletterte auch die Marke der total geleisteten Betreuungsstunden um 8000 auf die Bestmarke von fast 117 000 Stunden. Das dürfte auch mit den Corona-Massnahmen – Stichwort: Homeschooling – zusammenhängen.
Stabil, ja sogar leicht abnehmend entwickelt sich hingegen die dritte Schlüsselzahl, nämlich die der Tageseltern. Sie lag 2020 bei 106, 2017 betrug sie bei deutlich weniger zu betreuenden Kindern noch 132 Familien. Über die Gründe kann Sandra Strüby nur mutmassen. Die SP-Landrätin aus Buckten ist Vizepräsidentin des Vereins und wird an der Jahresversammlung, ihre Wahl vorausgesetzt, den Präsidenten Markus Oberlin aus Sissach ablösen. «Möglicherweise liegt es daran, dass es für Tagesfamilien finanziell schlicht zu unattraktiv ist, in einem kleineren Rahmen fremde Kinder zu betreuen», sagt sie, «auch wenn unsere Geschäftsstelle alles Administrative und das Vermitteln übernimmt.»
Mehr Gelder gefordert
Eine Tagesmutter verdient pro betreutes Kind pro Stunde 8.50 Franken. «Etwas wenig», sagt Sandra Strüby, und weist auf den Umstand hin, dass viele Kinder aus «sozial instabilen Situationen» stammen, wie sie es nennt, was oft mit einem erhöhten Betreuungsaufwand verbunden ist. Sie fordert deshalb mehr Unterstützung von der öffentlichen Hand. Der Preis, den die abgebenden Eltern bezahlen, variiert stark. Gut verdienende Eltern bezahlen pro Stunde bis zu 10.50 Franken, der Mindestansatz liegt bei 2.75 Franken. Und die Mitgliedergemeinden, die per Gesetz für die familienexterne Betreuung zuständig sind, kommen mit einem Zweifränkler pro Einwohner für den administrativen Aufwand auf.
Nachdem der 1984 gegründete Verein von Gelterkinden und Umgebung sich 2006 mit dem Verein der Tagesmütter der Gemeinden um Liestal zum VTOB zusammengeschlossen hat, sind alle 53 Gemeinden von Füllinsdorf aufwärts an Bord, und die Dienstleistung konnte schrittweise professionalisiert werden. Im vergangenen Jahr stiess als Letztes Hersberg hinzu. Inzwischen ist der VTOB aber nicht mehr vollständig in der Lage, seine grosse Stärke, die lokale Nähe, auszuspielen. In fünf Gemeinden werden aktuell dringend Tageseltern gesucht: in Anwil, Buus, Füllinsdorf, Häfelfingen und Thürnen.
Um diese Lücken zu schliessen, wäre es von Vorteil, die Tageseltern etwas besser entschädigen zu können. Denn das Baselbiet ist in Sachen Förderung bei der familienexternen Betreuung alles andere als ein Musterschüler. Sandra Strüby beruft sich in diesem Zusammenhang auf den gleichen Kantonsvergleich, auf den auch Landrätin Julia Kirchmayr-Gosteli in ihrem Postulat (siehe Kasten) hinweist. Dort bekleidet Baselland den viertletzten Rang.
Der Familienbericht 2020 der Regierung würde ihr noch weitere Argumente liefern, um die familienexterne Betreuung und damit insbesondere im oberen Kantonsteil auch die Tagesfamilien zu stärken. Dort steht im Fazit (in bestem Beamtendeutsch) unter anderem: «Zum Erhalt der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Kantons wird es mit der Abnahme der Bevölkerung im erwerbstätigen Alter zunehmend wichtiger werden, das Erwerbspersonenpotenzial optimal zu nutzen.» Und dafür muss es dem «Erwerbspersonenpotenzial» möglich sein, seine Kinder gut betreut zu wissen.
Grüne fordern Entlastung
jg. Das Modell mit den Tagesfamilien, die fremde Kinder betreuen, bewähre sich. Das schreibt Julia Kirchmayr-Gosteli, die Landrätin der Grünen aus Aesch. Deshalb fordert sie namens ihrer Partei die Regierung auf, zu prüfen, wie dieses Modell gefördert werden kann. Sie schlägt in ihrem Postulat vom 11. Februar vor, Tagesfamilien steuerlich zu entlasten, um diese Lösung attraktiver zu machen. Gosteli nennt als Beispiel, dass die Familien einen Abzug von «Arbeitszimmern» geltend machen können. Insbesondere in kleineren Gemeinden, die keine ausgebauten Strukturen für eine auswärtige Kinderbetreuung anbieten können, biete das flexible und relativ günstige Modell mit den Tagesfamilien eine passende Lösung.