"Die Zöllner winkten das Geld einfach durch"
19.02.2021 Bezirk Waldenburg, DiegtenDer Fasnächtler, der in Sissach Spielgeld verteilte, dachte an einen Witz, als er von den Ermittlungen gegen «Märkli» hörte
Ein Fasnächtler − wir nennen ihn «Blüetestreuer» − bestellte für seine Clique vor einem Jahr ein paar Kilogramm Spielgeld im Internet. Einige Scheine ...
Der Fasnächtler, der in Sissach Spielgeld verteilte, dachte an einen Witz, als er von den Ermittlungen gegen «Märkli» hörte
Ein Fasnächtler − wir nennen ihn «Blüetestreuer» − bestellte für seine Clique vor einem Jahr ein paar Kilogramm Spielgeld im Internet. Einige Scheine gerieten in die Hände des damals 8-jährigen «Märkli», der Rest ist Geschichte. Im «Volksstimme»- Interview äussern sich die beiden erstmals öffentlich − und anonym − über die Diegter Spielgeld-Affäre.
Anouk Jordi
Herr Blüetestreuer, Sie und Ihre Clique wollen anonym bleiben. Wieso?
Herr Blüetestreuer: Es gibt Leute in unserer Clique, die auf keiner öffentlichen Plattform erwähnt werden wollen. Ausserdem war die Fasnacht 2020 eigentlich abgesagt. Von uns will niemand hinstehen und sagen, dass er trotzdem Fasnacht gemacht hat.
Was haben Sie denn an jenem Sonntag genau unternommen?
Wie alle anderen war ich zuerst betrübt. Dann entschieden wir uns, trotzdem ins Dorf zu gehen. Wir haben freilich nicht alles mitgenommen, was wir unter normalen Umständen dabei gehabt hätten. Wir gingen aber kostümiert und hatten noch ein Gefährt, unter anderem für die Geldscheine, dabei, das wir hinter uns herziehen konnten. Wir haben auch nicht den gleichen Zeitaufwand betrieben wie in anderen Jahren und waren nur rund zwei Stunden an dieser Fasnacht, oder eher dieser illegalen Versammlung.
Auch in diesem Jahr ist die Fasnacht abgesagt. Was haben Sie kommenden Sonntag vor?
Gar nichts.
Wie haben Sie das erste Mal vom Fall «Märkli» gehört und wie haben Sie reagiert?
Von dem Vorfall mit «Märkli» habe ich über Umwege gehört. Jemand hat mich im Büro angerufen und mir die Geschichte erzählt. Zuerst habe ich es gar nicht geglaubt und dachte, irgendjemand wolle mir einen Streich spielen. Das ist doch ein Witz! Ich dachte, so etwas könne es gar nicht geben. Die Geldscheine waren ja zum Spass gedacht. Danach habe ich mich sofort bei der Familie gemeldet und mir die unglaubliche Geschichte bestätigen lassen.
War Ihnen sofort klar, dass es sich bei dem «Falschgeld» um das von Ihnen verteilte Spielgeld handeln musste?
Es war irgendwie logisch, da ich «Märkli» persönlich kenne. Er war auch schon bei mir zu Hause, also ging ich davon aus, dass er das Geld von uns hatte. Es hätte auch sein können, dass eine andere Clique ihm den Schein gegeben hatte. So viele Cliquen fanden das Geld an der Fasnacht einfach lustig, wollten damit symbolisch eine frische Fasnacht kaufen und haben sich bedient. Viele Fasnächtler hatten ganze Haufen von diesem «Geld» in ihren Taschen. «Märkli» hätte es also theoretisch auch von sonst irgendwo haben können.
Wie haben Sie die Scheine gedruckt?
Wir haben das nicht selbst gedruckt. Das kann man auf jeder zweiten Internetplattform bestellen. Innerhalb von fünf Minuten hatten wir das erledigt. Am Zoll mussten sie das Päckli öffnen, um sicherzugehen, dass sich kein Falschgeld darin befindet. Doch die Zöllner winkten das Geld ohne Beanstandungen durch.
Wie viel «Euro» haben Sie denn bestellt?
Keine Ahnung. Das bestellt man nicht in Beträgen. Wir haben geschaut, was Zoll und Transport kosten und dann ein Gewicht bestellt, das wir uns leisten konnten. Das waren vielleicht zwei, drei Kilogramm, etwa eine volle Papiertüte aus dem Coop. Darunter waren auch 30-, 60-, 1500- und 10 000-Euro-Scheine. Die gibt es in Wirklichkeit ja gar nicht. Das war ein riesiges Wirrwarr.
Hat sich ausser «Märkli» noch jemand an den Scheinen bedient?
Wahrscheinlich die Hälfte aller Fasnächtler, die an jenem Sonntag in Sissach unterwegs waren.
Wurden Sie deshalb je vernommen?
Nein, überhaupt nicht.
Aber haben Sie damit gerechnet?
Nicht einmal im Traum. Das wäre für mich die nächste Lachnummer in dieser Geschichte gewesen. Wir wussten ja, worum es sich bei dem Geld handelte. Wenn ich plötzlich einen Polizisten vor der Türe gehabt hätte, wäre ich davon ausgegangen, dass das ein Freund von mir sein muss.
Ist eigentlich von den Scheinen noch etwas übrig?
An der Fasnacht wurden vielleicht zwei Drittel davon verteilt. Bei den Versammlungen lag das in kleinen Wagen und jeder konnte sich bedienen. Da hätten auch Sie durchgehen und ein paar Scheine mitnehmen können. Verteilt haben wir das Geld nicht wirklich. Abends gab es dann mehrere Feuerstellen in Sissach, an denen man die Fasnacht betrauern konnte. Dort durften alle ihre restlichen Noten in das Feuer werfen.
Hand aufs Herz: Ist es für eine Clique nicht ein Ritterschlag, wenn sie eine Rolle in einer Geschichte spielt, die um die Welt geht?
Es ist schon speziell. Wenn die Geschichte nicht auf dem Buckel eines kleinen Buben ausgetragen worden wäre, wäre es vielleicht ein Ritterschlag gewesen. Aber so war es nicht unbedingt schön. Wenn alles ein bisschen anders gelaufen wäre, könnten wir vielleicht sagen, dass wir mal etwas bewegt haben.
Haben Sie ein schlechtes Gewissen gegenüber «Märkli»?
Immerhin wurde der Kleine noch honoriert. Nach dem Vorfall wurde er von diversen Seiten beschenkt. Ein Radiohörer hat der Familie beispielsweise einen mehrtägigen Aufenthalt im Europapark mit Übernachtung und allem bezahlt. Und Franz Carl Weber hat der Familie ein Monopoly-Spiel geschickt. Das war sicher etwas aufheiternd und belustigend für «Märkli». Man weiss aber nie, was im Kopf eines jungen Menschen vorgeht und wie er das wirklich erlebt hat. Bis jetzt scheint es ihm aber glücklicherweise gut zu gehen. Auch als wir jetzt das Foto für die «Volksstimme» machten, hatte er sichtlich Spass. Wahrscheinlich bekam er in seiner Klasse noch eine wichtigere Stellung. Das hat sich schliesslich auch in der Schule herumgesprochen.
Und für die Zukunft: Werden Sie an einer je wieder mit falschem Geld hantieren?
Bei dem «Märkli»-Geld handelte es sich ja eindeutig um Spielgeld, das als solches auch erkennbar war. Vor einigen Jahren bestand das ganze Kostüm meiner damaligen Gugge ausschliesslich aus Geld, bei dem dies nicht so eindeutig war. Das gab damals wirklich Diskussionen. Wir haben aber mit der Polizei abgeklärt, was legal möglich ist. Probleme haben wir damals jedenfalls nicht bekommen, obwohl am Ende jener Fasnacht kaum noch Scheine an unseren Kostümen waren. Die wurden alle von den Zuschauern weggerissen.
Das Interview mit «Herrn Blüetestreuer» wurde telefonisch geführt, jenes mit «Märkli» per E-Mail. Das Bild ist in Zusammenarbeit mit «Märklis» Tante entstanden.
«Ich gehe jetzt nicht mehr alleine in den Laden»
«Märkli» hat die Spielgeld-Affäre gut überstanden und geht wieder einkaufen
Anouk Jordi
«Märkli», der Vorfall im Diegter Volg ist jetzt schon bald ein Jahr her. Wie geht es dir heute?
«Märkli»: Mir geht es gut. Ich habe jetzt Schulferien.
Wenn du zurückdenkst: Bist du erschrocken, als auf einmal die Polizei vor deiner Türe stand?
Nein, Mami und Papi haben mir schon vorher gesagt, dass ein Polizist kommen wird wegen der Euro-Nötli.
Hast du verstanden, was die Polizei von dir wollte?
Nein, das habe ich nicht. Ich hatte am Anfang auch ein bisschen Angst. Aber meine Eltern haben mich dann getröstet und mir erklärt, was los ist.
Bist du jetzt wütend auf Polizisten?
Am Anfang war ich das schon. Mittlerweile nicht mehr. Bei uns in der Schule kam einige Zeit nach diesem Vorfall ein Polizist vorbei, der uns erklärt hatte, wie wir über die Strasse gehen müssen. Dieser Polizist war sehr nett mit mir.
Gehen du und deine Familie immer noch in den Volg einkaufen?
Am Anfang ging von meiner Familie niemand mehr in den Volg hier im Dorf. Aber jetzt gehen wir schon wieder dorthin einkaufen. Ich war seither zwar nur einmal dort, und ich gehe auch nicht mehr alleine in den Laden.
Wie haben deine Klassenkameraden und Schulfreunde auf die Geschichte reagiert?
Zuerst sind sie zu mir gekommen und haben mich gefragt, ob ich dieser «Märkli» sei. Aber ich habe ihnen darauf keine Antwort gegeben.
Ein Fasnachts-Gag mit Folgen
vs. Wem die Nacherzählung der Vorfälle im «Zeedel» des Fasnächtlers (siehe rechts) zu persönlich gefärbt ist, der kann sich im Folgenden einen neutralen Überblick über die Geschichte verschaffen: Ein Bub und seine beste Freundin aus Diegten im Alter von 8 und 9 Jahren wollten in der örtlichen Volg-Filiale Waren mit Euro-Spielgeld bezahlen. Die falschen Geldnoten hatten sie an der Sissacher Fasnacht aufgelesen. Die Verkäuferin informierte nach dem Vorfall die Baselbieter Polizei telefonisch. Einen Monat später nahm die Polizei Ermittlungen auf. Es kam zu einem einstündigen Gespräch eines Polizisten in Zivil mit den Kindern. Der Polizist nahm dabei auch Fotos der beiden Minderjährigen auf, um sie mit den Videoaufnahmen im Volg zu vergleichen. In der Landratssitzung vom 11. Juni fragte SVP-Landrätin Susanne Strub mittels dringlicher Interpellation nach der Verhältnismässigkeit dieser Polizeiermittlung. Dabei gestand Regierungsrätin Kathrin Schweizer (SP) zwar ein, dass das Fotografieren der Buben nicht unbedingt notwendig gewesen sei, sprach aber von einem weiteren Vorfall an diesem Tag, der «nicht ganz so harmlos» sei. Bereits einen Tag später hiess es aber, es würden keine Verfahren eröffnet. Schweizer beauftragte sodann einen externen Rechtsexperten, der den Fall untersuchte. In seinem Gutachten kommt dieser zum Schluss, die Polizei habe verhältnismässig und im Einklang mit geltendem Recht gehandelt. Die Geschäftsprüfungskommission des Landrats hat ihrerseits weitere Untersuchungen angekündigt und will in rund zwei Monaten einen Bericht vorlegen.