«Man muss bald übers Personal diskutieren»
07.01.2021 Baselbiet, PolizeiKriminaltourismus, Cyberkriminalität, Corona: Die Mitarbeitenden der Baselbieter Polizei sind am Anschlag. Polizeikommandant Mark Burkhard fordert mehr Personal, um das Leistungsniveau aufrechterhalten zu können. Und er fördert die interkantonale Zusammenarbeit.
Christian ...
Kriminaltourismus, Cyberkriminalität, Corona: Die Mitarbeitenden der Baselbieter Polizei sind am Anschlag. Polizeikommandant Mark Burkhard fordert mehr Personal, um das Leistungsniveau aufrechterhalten zu können. Und er fördert die interkantonale Zusammenarbeit.
Christian Horisberger
Herr Burkhard, wenn ich ohne Gesichtsmaske in die Gutsmatte, das Hauptquartier der Baselbieter Polizei, gekommen und von ihren Leuten erwischt worden wäre, was hätte mir gedroht?
Mark Burkhard: Nichts anderes als anderswo, wo die Maskenpflicht gilt: Wir weisen darauf hin, dass man eine tragen soll, und appellieren an den gesunden Menschenverstand. In der Regel halten sich alle daran. Schliesslich ist es eine Frage von Eigenverantwortung und Schutz jedes Einzelnen. Ein Hinweis genügt in der Regel.
Gibt es für Corona-Verstösse denn keine Bussen?
Nein, im Moment gibt es keine Ordnungsbussen. Eine Person, die überhaupt nicht einsichtig ist, müsste man anzeigen. Zurzeit ist der Bund daran, das Ordnungsbussengesetz zu ändern, dann gibt es Sanktionen für verschiedene Verstösse.
Wie gut kommt die Polizei mit der Durchsetzung der Corona-Massnahmen zurecht?
Es ist eine intensive Zeit. Wir haben nicht etwa Probleme damit, dass sich grössere Gruppen nicht an die Vorgaben halten oder es zu grossen Zusammenkünften kommen würde. Aber man merkt, dass die Bevölkerung dünnhäutiger wird. Es kommt vermehrt zu Streitigkeiten, was dazu führt, dass unsere Sicherheitspolizei sehr stark belastet ist.
Gibt es ein Denunziantentum? Wie stehen Sie dazu?
Wir bekommen Hinweise aus der Bevölkerung. Wir schätzen diese, wenn es um Einbrüche und ähnliche Delikte geht und reagieren auch darauf. Das tun wir auch bei Hinweisen wegen Covid-19. Ich würde es allerdings begrüssen, wenn sich die Menschen zunächst fragen würden, ob es sinnvoll ist, gleich die Polizei zu rufen, statt Eigenverantwortung zu übernehmen und die betroffenen Personen direkt anzusprechen und das Problem im Gespräch zu lösen. Ich appelliere hier an den gesunden Menschenverstand.
Es hiess beim Lockdown im Frühling sofort, es würde zu mehr häuslicher Gewalt kommen. Hat sich das bestätigt?
Wir stellen eine Zunahme fest, jedoch keine starke. Dennoch verfolgen wir diese Entwicklung intensiv, um festzustellen, ob man eventuell präventiv einwirken müsste.
Musste das Polizeipersonal auf diese spezielle Situation besonders geschult werden?
Wir haben Massnahmen ergriffen, um unsere Leute zu schützen, die Arbeit findet aber in einem üblichen Rahmen statt. Das braucht keine Spezialausbildung.
Aber immer zu wissen, welche Massnahmen wo gelten, dafür brauchte es diese beinahe …
Ich bin ein starker Vertreter des Kantonswesens. Das ermöglicht, fein auf die lokale Situation zu reagieren. Aber im Moment sind wir mit Corona in einer Situation, wo es unübersichtlich wird. Man sollte klarer vorgeben, was gilt. Ansonsten verliert die Bevölkerung die Übersicht und das Vertrauen in die Massnahmen. Das erachte ich als Gefahr.
Vor einigen Jahren hatten wir eine heftige Welle von Einbrüchen durch sogenannte Kriminaltouristen. Davon hört man nichts mehr. Haben die Massnahmen – mehr Polizeipräsenz auf der Strasse – die Einbrecher abgeschreckt oder sind sie einfach nur weitergezogen?
Wir haben mehr Polizei auf der Strasse – auch heute noch. Wir haben neue Ermittlungsmethoden eingeführt, auch technische Instrumente. Das zeigt Wirkung. Zusätzlich verlagerten sich gewisse Vermögensdelikte ins Internet und wir hatten noch die Corona-Situation mit viel Homeoffice. Auch dies führt zu weniger Einbrüchen. Letztlich ist es eine Kombination verschiedener Entwicklungen und Massnahmen, welche die Zahlen sinken lässt.
Kann man durchatmen? Oder ist es eine Frage der Zeit, bis die nächste Welle anrollt?
Während Corona sind die Zahlen auf einem tiefen Niveau. Aber wir haben den Eindruck, dass sie wieder anziehen, falls wir mit unseren Massnahmen nachlassen sollten. Daher werden wir sie nicht herunterfahren.
Was ist für die Polizei nach dem Kriminaltourismus das grosse Thema?
Einerseits der Cyber-Bereich, der zu vielen Anzeigen führt, die meine Mitarbeitenden fordern. Auf der anderen Seite gibt auch wegen Corona sehr viel zu tun und wir stellen fest, dass die Leute bei der Sicherheitspolizei stark ausgelastet sind. Sie kommen kaum dazu, die Fälle, die tagsüber anfallen, zu bearbeiten. Nicht nur die Sicherheitspolizei steht unter Druck, auch die Informatik. Das führt dazu, dass man demnächst über unser Personal diskutieren muss. Entweder wir kommen zu mehr Personal oder wir können das Leistungsniveau auf Dauer nicht aufrechterhalten.
Sprechen Sie von einer vorübergehenden coronabedingten Aufstockung?
Ich stelle schon länger fest, dass die Auslastung hoch ist. Und sie nimmt nicht ab – im Gegenteil. Es kommen immer neue Anforderungen auf uns zu. Das kann dazu führen, dass wir Leute von der Front in den rückwärtigen Bereich abziehen müssen, was nicht unser Ziel sein kann. So werden wir demnächst über Leistungen und Personal diskutieren müssen.
Die letzte Personalaufstockung wurde der Polizei für den Aufbau der Cybercrime-Abteilung gewährt. Wo stehen Sie hier?
Wir sind am Aufbau und rekrutieren Personal. Das geht über einen Zeitraum von vier Jahren und ist nicht immer ganz einfach, da andere Arbeitgeber in diesem Bereich deutlich höhere Löhne bezahlen. Aber wir konnten gute Personen anstellen und sind beim Aufbau im Plan. Die Abteilung ist bereits sehr aktiv: Im Bereich der IT-Forensik beispielsweise mit neun Personen. Wir werden dennoch von der Staatsanwaltschaft kritisiert, dass wir nicht schnell genug arbeiten würden. Schneller geht es aber leider nicht.
Grosses Augenmerk wird bei Cybercrime vor allem der Prävention geschenkt.
Richtig. Im September beispielsweise hatten wir einen Info-Anlass für KMU. 40 Firmen interessierten sich. Wir stellen fest, dass sich inzwischen mehr Firmen bei der Polizei melden, wenn sie angegriffen worden sind. Das ist für uns sehr wichtig – damit man sie beraten und andererseits ermitteln kann. Wir sind aktiv in Zusammenarbeit mit anderen Kantonspolizeien und schweizweit. So haben wir Nedik, das Netzwerk für Ermittlungsunterstützung digitale Kriminalitätsbekämpfung, gegründet.
An einer öffentlichen Informationsveranstaltung zu Cybercrime habe ich eine Art Hilflosigkeit herausgespürt: Die internationale kriminelle Energie und das Potenzial sind enorm, die Möglichkeiten der Baselbieter Polizei vergleichsweise klein.
Ich sehe es nicht so pessimistisch. Einerseits stellen wir fest, dass wir mit der Prävention am meisten Wirkung erzielen können. Wenn es um die Bekämpfung geht, sind wohl alle Korps in der Schweiz massiv am Aufrüsten – personell und ausrüstungsmässig. Daher sieht es nicht mehr so schlecht aus, wie Sie das empfanden. Man macht auch im Bereich der verdeckten Ermittlungen mehr als früher. An die Grenzen stösst man beim Datenaustausch zwischen den Polizeien. Hier ist man daran, auf nationaler Ebene die nötigen Rechtsgrundlagen zu schaffen. Ein zweites schwieriges Thema ist die Rechtshilfe. Viele Täter und deren Rechner befinden sich im fernen Ausland. Und wenn ein Staat nicht bereit ist, Rechtshilfe zu leisten, kommt man an gewisse Grenzen. Das ist ein ungelöstes Problem.
Wie stark wächst die Cyberkriminalität?
Wir haben seit 2015 einen starken Anstieg. In diesem Zeitraum hat sich die Anzahl der angezeigten Delikte mehr als verdoppelt. Ich habe den Eindruck, dass der starke Digitalisierungsschub infolge Pandemie neue Möglichkeiten für Internetkriminalität eröffnet. Europol ist bereits am Warnen. Viele Menschen arbeiten von zu Hause aus mit Systemen, die Sicherheitslücken haben können. Es ist nicht sicht-, aber denkbar, dass dies zu vermehrter Cyberkriminalität führen kann.
Sie präsidieren seit Anfang November die Konferenz der Kantonalen Polizeikommandanten. Was wollen und können Sie dort erreichen?
Ein grosses Anliegen von mir ist, dass wir bei Vernehmlassungen, Stellungnahmen und Projekten vom Bund deutlich spürbar sind. Ich habe manchmal den Eindruck, dass im Bundesparlament die Stimme der Polizei wenig Eingang findet, während die Anwälte sehr breit vertreten sind. Auch in der Bundesverwaltung soll die Stimme von Polizei und Strafverfolgung gehört werden. Sehr wichtig ist mir auch die Zusammenarbeit zwischen den Korps. Wir haben im Bereich Informatik mit der Polizeitechnik und -informatik Schweiz (PTI) eine Organisation geschaffen, die Informatiklösungen für Polizeikorps entwickelt und betreibt. So müssen nicht mehr alle Korps ihre eigenen teuren und personalaufwendigen Lösungen entwickeln. Ein IT-Provider für die Schweizer Polizei: Das ist die Zukunft.
Sprechen wir noch über die Reorganisation bei Polizeiposten: Am Posten im Waldenburgertal wird festgehalten. Ein Zugeständnis an die Einwohner oder strategisch wichtig?
Bei der Reorganisation bekannten wir uns dazu, dass wir im Waldenburgertal weiterhin einen Posten haben wollen. Nicht zwingend in Waldenburg. Wir bekennen uns zu diesem Wort und stehen dazu. Es ist personell nicht unser stärkster Posten, aber die Leute dort sind gut ausgelastet und haben viel zu tun. Es gibt auch Publikumsverkehr, wobei der mit Liestal nicht zu vergleichen ist.
Wie hat sich die neue Struktur bisher bewährt?
Wir haben sehr viel Polizei auf der Strasse. Die Stossrichtung hat sich sehr gut bewährt. An den meisten Orten hat sich die Meinung durchgesetzt, dass es das Beste ist, wenn die Polizei draussen ist. Wir hatten daher wenige Klagen bei der Umsetzung.
Mit Kathrin Schweizer haben Sie eine Frau als Chefin, Stephanie Eymann ist Leiterin der Verkehrsabteilung. Und der Anteil von Polizistinnen an der Front wächst stetig. Wie wichtig sind Frauen in der Polizei, die früher eine reine Männerangelegenheit war?
Frauen sind in der Polizei sehr wichtig. Bei einer gewissen Art von Einsätzen haben sie Fähigkeiten, um positiv einwirken zu können, die besser ausgeprägt sind als bei Männern. Andererseits sorgen sie auch für eine bessere Stimmung im Betrieb. Ich war früher im Militär immer in Einheiten, denen auch Frauen angehörten. Das führte automatisch zu einem normalen, zivilen Arbeitsumfeld. Das gilt auch für das Polizeikorps. Wir brauchen Frauen im Korps.
Sie verlieren Stefanie Eymann als Leiterin der Verkehrsabteilung. Wie schwer wiegt der Abgang?
Ich bedauere aufgrund ihrer Persönlichkeit und ihrer Führungsqualitäten ihren Weggang. Sie hat sich in wichtigen Projekten stark engagiert – beispielsweise bei der Änderung des Polizeigesetzes. Daher ist es schade, dass sie geht.
Versprechen Sie sich durch ihren Wechsel in die Basler Regierung eine Verbesserung der Beziehungen zwischen Stadt und Land?
Polizeilich arbeiten wir bereits gut mit Basel zusammen. Hier erwarte ich keine Veränderung.
Ist eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger in Sicht? Wie wird die Position besetzt?
Die Stelle wird in den nächsten Tagen ausgeschrieben, und es wird ein ordentliches Anstellungsverfahren laufen. Es wird sich zeigen, wie sich das entwickelt.
Möchten Sie gerne wieder eine Frau auf dieser Position?
Warum nicht? Es wäre durchaus wünschenswert eine oder auch mehrere Frauen in der Polizeileitung zu haben. Aber man muss auch immer auf die Kandidatinnen und Kandidaten schauen, die sich bewerben. Am Ende bin ich dafür verantwortlich, dass gute Personen in der Polizeileitung sind.
Zur Person
ch. Mark Burkhard (56) ist seit 2013 Kommandant der Baselbieter Polizei. Der gebürtige Berner ist diplomierter Informatikingenieur HTL und Volkswirtschafter. Bis 2013 war er Generalsekretär des Departements Gesundheit und Soziales des Kantons Aargau. Zuvor wirkte als Stabschef der Berner Kantonspolizei. Am 3. November wählte die Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten der Schweiz (KKPKS) Burkhard zu ihrem neuen Präsidenten.