Epische Debatte im «Gwaagendorf»
03.12.2020 Bauprojekte, Gemeinden, Hölstein, Bezirk WaldenburgEinwohner äussern heftige Kritik an den Behörden
Das Klima wird rauer. Diesen Eindruck hinterliess auf jeden Fall die rekordverdächtige Gemeindeversammlung vom vergangenen Montagabend.
Elmar Gächter
«Ich danke für prägnante Voten.» Dass dieser Satz, von ...
Einwohner äussern heftige Kritik an den Behörden
Das Klima wird rauer. Diesen Eindruck hinterliess auf jeden Fall die rekordverdächtige Gemeindeversammlung vom vergangenen Montagabend.
Elmar Gächter
«Ich danke für prägnante Voten.» Dass dieser Satz, von Gemeindepräsidentin Andrea Heger zu Beginn der «Gmäini» in der Mehrzweckhalle geäussert, eine ganz besondere Bedeutung erhalten sollte, wurde im Laufe des Abends wohl jedem der 97 Teilnehmenden bewusst. Sämtliche Sachtraktanden – und es waren nicht wenige – wurden intensiv diskutiert. So erstaunt es nicht, dass sich die Versammlung von sieben Uhr abends bis nach Mitternacht hinzog. Sie war für alle Teilnehmenden anspruchsvoll, speziell unter der vorgeschriebenen Schmutzmaske, und aufwühlend, vor allem für den Gemeinderat.
Für Gemeinderat Andreas Appenzeller dürfte es sich wie ein Gang nach Canossa angefühlt haben, denn als Ressortleiter Raumplanung und Verkehr kam ihm die undankbare Aufgabe zu, zwei markante Kreditüberschreitungen zu vertreten. Mit nicht weniger als 1,3 Millionen Franken tragen die Mehrkosten für die weitgehend fertiggestellte Ribigasse und für den im Bau stehenden Stutzweg dazu bei, dass sich Hölstein noch weiter verschulden wird.
Appenzeller begründete die happigen Mehrkosten – beim Stutzweg über 50 Prozent des bewilligten Kredits – unter anderem mit Massnahmen für den Grundwasserschutz, strengeren Auflagen für den Hochwasserschutz und höheren Entsorgungskosten.
«Wer befiehlt, zahlt auch»
Die vehemente Kritik aus der Versammlung richtete sich nicht nur gegen den Gemeinderat – es fielen Wörter wie «Katastrophe» und «Vertrauensverlust» –, sondern auch gegen Liestal und das projektleitende Ingenieurbüro. Ein Antrag, beim Kanton nach dem Motto «Wer befiehlt, zahlt auch» nochmals für höhere Beiträge vorstellig zu werden, fand beim Souverän Gehör.
Zur Frage aus der Versammlungsmitte, was passiert, wenn der Nachtragskredit für die Ribigasse abgelehnt werde, meinte Appenzeller nüchtern: «Das frage ich mich auch. Dann muss man wohl den Gemeinderat abwählen, weil er unsauber gearbeitet hat.»
Verschiedene Votanten rügten, dass zu spät über die Mehrkosten des Stutzwegs orientiert wurde. Laut Gemeindepräsidentin Andrea Heger war ein Teil der Kreditüberschreitung bereits im Juni bekannt, das ganze Ausmass habe sich jedoch erst nach Beginn der Arbeiten offenbart. «Im Gegensatz zur Ribigasse kann aber noch relativ früh im Bauprozess der nötige Nachtragskredit eingeholten werden», so der Gemeinderat in seinen schriftlichen Erläuterungen.
Der Antrag aus dem Saal, nur so viel zu bauen, wie der bewilligte Grundkredit ermöglicht, ging dann vielen Anwesenden doch zu weit, müssten die Bewohner im Quartier Stutz damit wohl auf ihre heutige Zufahrt verzichten und sich mit einem Fussweg zufriedengeben. Überraschend deutlich stimmte die Versammlung beiden Nachtragskrediten schliesslich zu.
Kindergarten-Neubau
Sie sind in die Jahre gekommen, der Kindergarten Neumatt 1 mit seinen 60 und Neumatt 2 als Holzpavillon mit 30 Lenzen. Längst ist Letzterer zu klein dimensioniert und erfüllt die aktuellen pädagogischen Vorgaben für die momentan 47 Kindergärtler nicht mehr. Das Projekt des Architekturbüros Scherer in Liestal, unterstützt von einer Begleitgruppe, sieht vor, Neumatt 1 zu sanieren und den Holzpavillon durch einen Neubau zu ersetzen, das heisst, ihn ebenerdig mit Neumatt 1 zu verbinden. Gemeinderätin Marina Saladin machte dem Souverän einen Kredit von 1,38 Millionen Franken schmackhaft. Obwohl die Notwendigkeit des Vorhabens unbestritten war, entspann sich eine fast epische Diskussion um die Kosten. «Dies kann man auch 20 bis 30 Prozent günstiger bauen», meinte einer der Votanten und erinnerte an die sich markant verschlechternde finanzielle Situation der Gemeinde. Ein entsprechender Antrag, den Kredit auf 1,1 Millionen Franken zu kürzen, fand beim Souverän allerdings keine Gnade. Der Gemeinderat setzte sich mit seinem Antrag durch.
Hölstein stehen laut Finanzplan in den nächsten fünf Jahren grössere Investitionen bevor, so der Neubau einer Turnhalle und Ausgaben für die Wasserversorgung. Sie werden die Schulden auf über 9 Millionen Franken verdreifachen. Der Gemeinderat ist jedoch der Meinung, dass die finanziellen Herausforderungen gemeistert werden können. Ob ihm dabei die Bevölkerung folgt, ist ungewiss, zumindest aufgrund der Eindrücke an der «Gmäini» vom Montag. Immerhin darf die Behörde für sich positiv verbuchen, dass ihre Anträge, darunter auch das mit 235 000 Franken defizitäre Budget 2021, das mehrheitlich klare Ja des Souveräns gefunden haben.