«Schräge Füssli sind das Schlimmste»
24.12.2020 AnwilSeit 24 Jahren riecht es bei Erika Schaffner nach Änis
Erika Schaffner-Mangolds Spezialität – Änisbrötli – sind das ganze Jahr gefragt. Seit 24 Jahren produziert die Anwilerin nicht nur vor Weihnachten das süsse Gebäck und denkt noch lange nicht ans Aufhören.
Peter ...
Seit 24 Jahren riecht es bei Erika Schaffner nach Änis
Erika Schaffner-Mangolds Spezialität – Änisbrötli – sind das ganze Jahr gefragt. Seit 24 Jahren produziert die Anwilerin nicht nur vor Weihnachten das süsse Gebäck und denkt noch lange nicht ans Aufhören.
Peter Stauffer
Zwei Körbe, voll beladen mit abgefüllten Säcklein stehen im Hausgang bereit und warten aufs Abgeholtwerden, insgesamt 8 Kilogramm Änisbrötli. «Diese kommen nicht etwa aus der Tiefkühltruhe, sie sind frisch», sagt die 71-jährige «Bäckerin» Erika Schaffner, «ich backe prinzipiell nur auf Bestellung und lege keine Gutzi-Vorräte an.» Nur vor Weihnachten weiche sie jeweils von diesem Grundsatz ab. Weil es hie und da vorkomme, dass im letzten Moment vor Heiligabend oder sogar an Weihnachten jemand Änisbrötli möchte, habe sie im Moment 1 Kilogramm «Springerle», wie die Änisbrötli im süddeutschen Raum genannt werden, eingefroren.
In Stube und Küche wartet auf Tischen und Kommoden bereits die nächste Serie darauf, nach dem Trocknen in den Backofen geschoben zu werden. Schaffner weiss ziemlich genau, wer in der Regel und wann wie viel Änisbrötli wünscht.
Faslers-Erika – so der Dorfname – erzählt, wie die Änisbrötli-Backerei im grossen Stil vor 24 Jahren begonnen hat. Eine Bäuerin aus dem Dorf habe bei ihr Gutzi zum Ergänzen von Geschenkkörben bestellt. Diese seien ihr gut gelungen und hätten reissenden Absatz gefunden. Fast gleichzeitig habe die Milchgenossenschaft in der ehemaligen «Milchi» ein Dorflädeli eröffnet. Ihre Änisbrötli gehörten dort zum Angebot und wurden bekannt.
Drei Kilo ergeben 200 Gutzi
Immer mehr Bestellungen folgten und die produzierte Menge sei seither immer grösser geworden. So verarbeitet Schaffner inzwischen pro Jahr zwischen 20 und 30 Kilogramm Mehl – Biomehl von einheimischem Getreide, wie sie betont. Zusammen mit der gleichen Menge Staubzucker, den Eiern und dem Änis ergibt das ungefähr die doppelte Menge an Änisbrötli. Erika Schaffner führt keine Statistik über die in den vergangenen Jahren produzierte Anzahl, weiss aber, dass 3 Kilo Teig rund 200 Gutzi normaler Grösse ergeben.
Den Teig mischt und rührt sie – immer anderthalb Kilo Mehl pro Mal – in einer Küchenmaschine an. Sie ist froh, dass die Maschine ihr diese Arbeit abnimmt. Einmal blieb ihr allerdings Handarbeit nicht erspart. Sie habe trotz Anwendung aller Kniffe und Kräfte die Schale zum Auffüllen nicht loslösen können. Da die Bestellung aber dringend gewesen sei, habe sie alle fünf vorbereiteten Mehlportionen in die grössere Brotknetmaschine abgefüllt und in der Aufregung nicht daran gedacht, dass ja noch die übrigen Zutaten dazukämen. Beim Zufügen derselben zeigte sich dann der Platzmangel in der Wanne. Ihr blieb nichts anderes übrig, als alles von Hand zu kneten.
Das «Änisbrötle» mache ihr nach wie vor Freude, es sei ihr noch nicht verleidet. «Wenn ich dann aber einmal die Kraft zum Tragen der Bleche, belegt mit rund 50 Gutzi, nicht mehr aufbringe, dann höre ich auf», sagt sie und lacht. Heuer sei es ihr allerdings fast verleidet. «‹Die Chäibe wärden alli schreeg› und ich habe keine Ahnung, woran es liegt.» Sie vermutet – kann es aber nicht mit Sicherheit sagen –, dass es an den Eiern liegt. Sie seien wohl zu frisch. «Schräge kann ich nicht verkaufen, ich habe ja schon ein schlechtes Gewissen, wenn ich so halb schräge Gutzi ins Säcklein abfüllen muss.»
Die vom Aussehen her missratenen Änisbrötli verschenke sie oder gebe sie ihren beiden erwachsenen Kindern mit ins Geschäft. Wegwerfen komme auf keinen Fall infrage.
Gegen 100 verschiedene Models
«Änis-Erika» – so wird sie etwa im Altersheim in Ormalingen genannt – hat gegen hundert verschiedene Models, die sie allerdings nicht alle in Gebrauch hat. Model-Sammeln sei für sie fast eine Art Sucht. Wenn sie an Messen gehe oder ein spezielles Sujet auf einem gebackenen Änisbrötli sehe, könne sie nicht widerstehen und mache sich auf die Suche.
Unter ihren Holz- oder Tonformen finden sich auch Models für spezielle Anlässe, die der vor zwölf Jahren verstorbene Ehemann Peter geschnitzt habe. Dazu gehören unter vielen anderen eines mit dem Gemeindewappen, eines mit dem Logo des Frauenvereins oder solche für gerade Geburtstage.
Hie und da würden Kunden auch ein Model mitbringen, zum Beispiel für die Taufe eines Kindes oder als Beitrag zu einer Hochzeitsmahl-Dekoration. Sie habe jeweils gestaunt, wie geschickt und in welch relativ kurzer Zeit ihr Mann die gewünschten Formen geschnitzt habe. Ein besonderes Model ist das circa 15 Zentimeter grosse Herz, das sie aber nur für Einzelprodukte, etwa als Geschenk, verwendet.
Trotz Wegfall des «Oltiger Määrts» und anderer Verkaufsgelegenheiten habe Schaffner in diesem Corona-Jahr – sie produziert und verkauft mit Ausnahme der Sommermonate ganzjährig – erstaunlicherweise eher mehr Änisbrötli hergestellt als üblich. Ihr grösster Kunde, ein Marktfahrer aus Brugg, habe allerdings mangels Weihnachtsmärkten heuer nur 5 statt der üblichen 15 bis 20 Kilogramm Gutzi geholt, dafür seien viele andere Bestellungen eingegangen.
An den strengsten Backtagen sei sie von morgens um 6 bis abends gegen 20 Uhr an der Arbeit. «Dann bin ich fix und fertig», sagt die in Hemmiken aufgewachsene zweifache Mutter, Grossmutter und bald auch Urgossmutter. Sie ist im Übrigen nicht nur auf Änisbrötli fixiert, nein, auch Brunsli, Spitzbuebe, Mailänderli, Läckerli (nach eigenem Rezept) und Orangen- oder Zitronenherzli gehören zu ihrem Gebäck-Repertoire. Trotz des frühen Todes ihres Sohnes Marcel und ihres Ehemannes Peter hat Erika Schaffner ihren Lebensmut nicht verloren – und auch nicht die Kraft, das Oberbaselbiet mit kiloweise Änisbrötli zu versorgen.