MEINE WELT
20.11.2020 GesellschaftDer digitale Generationengraben
Die Pandemie hat uns physisch ent-mobilisiert. Digital sind wir dafür umso agiler. Fertig ist das lästige Pendeln über überfüllte Bahnhöfe. Auch das Werweissen, wohin man in die Ferien sollte – ob nun ...
Der digitale Generationengraben
Die Pandemie hat uns physisch ent-mobilisiert. Digital sind wir dafür umso agiler. Fertig ist das lästige Pendeln über überfüllte Bahnhöfe. Auch das Werweissen, wohin man in die Ferien sollte – ob nun endlich einmal nach Thailand, auf die Malediven oder nach Kreta, solange es noch zu Europa gehört – alles auf Stopp. Die Zerrissenheiten aus der Prä-Corona-Epoche entfallen. Zudem können wir so tun, als triebe uns nicht die Angst vor dem Virus, sondern das ökologische Gewissen an. Eine Win-win-Situation.
Keine Win-win-Situation ist die neuste Digitalisierung bei der Post. Ich war ehedem so stolz auf den gelben Riesen, als er diese gelben Steckkarten brachte. Frau konnte sie an ihren Postkasten klemmen, um zu signalisieren, dass die Postbotin die Versendepost gerade aus dem Kasten mitnehmen könne. Hatte man keine Briefmarken, wurde Geld deponiert, im Kasten landete eine Quittung oder ein Nachzahlungshinweis mit Säckchen fürs Geld. Unsere Postbotin, Frau B. – ein Musterbeispiel für betriebliches Mitdenken – nahm die Post sogar dann mit, wenn Frau Huth vergessen hatte, das Briefmarkengeld dazuzulegen. Unsympathischere Kollegen sorgten in solchen Fällen gerne dafür, dass die Steuerzahlende sich erinnerte, wohin sie eigentlich aus Sicht der Post gehörte: ans untere Ende der Wertschöpfungskette.
Aber: Eine sinnvolle, praxisnahe und vor allem für alle Kunden taugliche Lösung aus dem Handwerkskasten des Lean Management. Diese Ära ist nun zu Ende. Knapp wurden wir informiert, dass die Steckkarten per sofort aus den Postkästen abgezogen würden. Die fantasievolle Begründung: «Der Hausservice wird weiterentwickelt.» Dieselben Postleistungen müssen neu via Smartphone, PC oder Tablet angefordert werden.
Natürlich regnet es nur Vorteile: 1. Sicherheit: Mit der neuen «Lösung» ist nicht mehr länger ersichtlich, dass ich Post im Briefkasten habe. Aber, wo kein Problem ist, braucht es keine Lösung! Wer würde freiwillig meine Einzahlungsbriefe klauen, Trauerbekundungen oder Bestellformulare?
2. Entlastung für Frau B. Weil meine Info «direkt an ihr Handgerät erfolgt, entfallen in Zukunft unnötige Wege auf der Zustelltour». Ich wohne in einem dicht besiedelten Quartier; Frau B. muss ihr Auto eh immer an derselben Stelle stoppen.
3. Nachhaltigkeit: «Mit der neuen Lösung auf Abruf setzt die Post Ressourcen gezielter ein, vermeidet Leerfahrten und so CO2-Ausstoss.» Ähm… Elektroautos produzieren gar kein CO2!
Und macht sich der Betrieb, den die älteren Generationen ein ganzes Arbeitsleben lang finanziert haben, auch nur einen Gedanken über den anzahlmässig grössten und analog-schreibfreudigsten Teil seiner Kundschaft? Fängt er sie irgendwie auf? Nein, vielmehr reisst die Post ebenso wie die Privatwirtschaft den digitalen Graben weiter auf. Weil das Geschäft nicht mehr rentiert, muss der tendenziell ältere Offline-Kunde dran glauben. Wozu braucht man dann noch Staatsbetriebe?
Petra Huth ist Politikwissenschaftlerin und Ökonomin. Sie lebt in Anwil.