WASHINGTON POST
23.10.2020 BaselbietUnter Trumpisten
Neulich war ich wieder an einer «Trump-Rally», an einer der grossen Wahlkampfanlässe des US-Präsidenten. Das war insofern speziell, als dass hier eigentlich keine Grossveranstaltungen stattfinden. Bei bald einer Viertelmillion ...
Unter Trumpisten
Neulich war ich wieder an einer «Trump-Rally», an einer der grossen Wahlkampfanlässe des US-Präsidenten. Das war insofern speziell, als dass hier eigentlich keine Grossveranstaltungen stattfinden. Bei bald einer Viertelmillion Corona-Toten ist das auch ganz sinnvoll. Donald Trump allerdings interessiert sich nicht für die Empfehlungen von Gesundheitsbehörden. Er ist im Endspurt seines Wahlkampfs, und das heisst: Er hält jeden Tag mindestens eine «Rally» ab.
Die «Rally», die ich besuchte, war die erste, seit Trump nach seiner eigenen Corona-Erkrankung aus dem Spital entlassen worden war. Sie fand auf einem Flughafen bei Orlando statt. In Florida knallt die Sonne auch im Oktober noch vom Himmel, und der Anlass fand deshalb draussen statt – wenigstens das. Damit hatte es sich dann aber auch schon mit der Corona-Vorsicht. Kaum jemand hielt Abstand, kaum jemand trug eine Maske (was die Menschen in Washington sonst auch an der frischen Luft tun).
Wir Journalisten sind an einer «Trump-Rally» sehr exponiert, man könnte auch sagen: Wir sind wie Tiere im Zolli. Trumps Wahlkampforganisation weist uns jeweils einen mit Gittern abgesperrten Bereich hinter der Tribüne zu, auf der die TV-Kameras aufgebaut sind. Rundherum: Hunderte von Trump-Anhängern. Viele starren uns an, manchmal ruft jemand «Fake News». Und während Trumps Reden wird es immer dann am lautesten, wenn der Präsident vorne auf der Bühne über die Medien herzieht. Dann gehen lange Buh-Rufe durchs Publikum. Journalisten als Requisiten für Trumps Show.
Bei meiner ersten «Rally» hat mich das erschreckt. Und nach wie vor finde ich: Es ist beschämend für die Vereinigten Staaten, dass ihr Präsident über die freien Medien redet wie der Herrscher einer Bananenrepublik – und es ist unheimlich.
Doch was Trumps Anhänger angeht, sehe ich es inzwischen lockerer. Wenn man den Gitterkäfig für die Journalisten verlässt und sich ins Publikum begibt, kann man mit den meisten Besuchern ganz normal reden. Mir gegenüber wurde auch kaum jemand je aggressiv.Wobei: Viele Leute reden nur dann mit einem, wenn man die Maske abnimmt. Insgesamt ist die Stimmung an einer «Trump-Rally» aber durchaus fröhlich bis ausgelassen. Es dröhnen die immer gleichen Popschlager aus den Lautsprechern (besonders beliebt: Elton John), fast jeder trägt Trump-Merchandise, viele scheinen Trumps Reden auswendig zu kennen. Sie wissen immer schon, was kommt, sie jubeln an der richtigen Stelle, sie feiern ihr Idol. Oder eben: Sie buhen.
Die Menschen, mit denen ich in Florida sprach, waren felsenfest davon überzeugt, dass der Präsident die Wahl gewinnen wird – erdrutschartig. Dass die Umfragen etwas ganz anderes sagen, halten sie für «Fake News». Und vielleicht haben sie ja recht. Aber was tun diese Leute, wenn Trump doch verliert? Fast alle sagten mir: Das sei nur möglich, wenn die Wahl manipuliert werde. Ein Besucher erzählte mir von all den Waffen, die er zu Hause habe, «falls es ernst wird», wie er etwas kryptisch sagte. Und das war dann tatsächlich eher eines: unheimlich.
Der Sissacher Alan Cassidy ist USA-Korrespondent für den «Tages-Anzeiger» und die «Süddeutsche Zeitung». Von 2006 bis 2008 schrieb er für die «Volksstimme».