«Was darf ich überhaupt noch sagen?»
25.06.2020 RegionIch habe mir lange überlegt, was ich nun zum Thema Rassismus schreiben soll. Es gibt so einige Erfahrungen, die ich gemacht und über die ich bisher geschwiegen habe. Und nun ist dieser hitzige Diskurs entflammt und alle packen ihre Geschichten aus. Doch wo soll begonnen werden? Wie ...
Ich habe mir lange überlegt, was ich nun zum Thema Rassismus schreiben soll. Es gibt so einige Erfahrungen, die ich gemacht und über die ich bisher geschwiegen habe. Und nun ist dieser hitzige Diskurs entflammt und alle packen ihre Geschichten aus. Doch wo soll begonnen werden? Wie sind die emotionsgeleiteten Wiedergaben rassistischer Erfahrungen in einen rationalen und sachlichen politischen Kontext einzubringen? Wahrscheinlich ist es gerade das, was momentan in den Medien geschieht und teilweise zu einer eher chaotischen Diskussion führt. Zahlreiche Menschen mit dunkler Hautfarbe teilen ihre Geschichten mit, in denen auch ich, die als Kleinkind aus Äthiopien adoptiert wurde, viele Parallelen zu meinem Erlebten sehe. Die besagte Personengruppe erzählt von ihr widerfahrenen Handlungen und Äusserungen, die – wenn auch im ersten Moment nicht sofort ersichtlich – auf rassistisches Denken zurückzuführen sind.
Zum aktuellen Zeitpunkt sollte es unterdessen jedem – so denke ich zumindest – klar sein, dass es keinen mit Gewalt beziehungsweise aktiv ausgeübten Rassismus braucht, um die Kriterien dazu zu erfüllen. Einfach «nicht rassistisch» zu sein, was ohnehin gesellschaftlich als viel zu eng ausgelegt wird, reicht für die Gleichberechtigung nicht mehr aus. Vielmehr ist die Sensibilisierung auf dieses Thema von enorm grosser Bedeutung. Genau deshalb sind die Geschichten von Betroffenen so wichtig. Sie zeigen auf, wo in der Ge- sellschaft versteckter Rassismus nach wie vor besteht. Es ist meines Erachtens der richtige Weg, das Bewusstsein und das daraus resultierende Verständnis vonseiten der Mehrheit gegenüber der Minderheit zu stärken.
Ich spreche bewusst von Minderheiten und Mehrheiten, da ich generell der Überzeugung bin, dass «Rassismus» nicht nur eine Frage der Hautfarbe oder Herkunft ist, sondern generell das Resultat der Andersbehandlung von sozial schwächeren Gesellschaftsangehörigen. Aktuell ist es die Stimme von dunkelhäutigen Personen, die laut geworden ist, um sich Gehör zu verschaffen. Wir dürfen aber nun nicht alle anderen vergessen, die bisher vielleicht noch nicht die Kraft hatten, den Kampf für Gleichberechtigung anzugehen. So erlebe ich als Schwarze und Sehbehinderte «Ausgrenzung» aus zwei Perspektiven. Allerdings möchte ich an dieser Stelle betonen, dass ich mich aus diesem «rassistischen Konstrukt» – wenn man denn so will – nicht ausnehme. Denn auch ich als Betroffene trage die Verantwortung, andere Minderheiten nicht auszugrenzen, und habe somit meinen Beitrag dazu zu leisten.
Wer mich also heute fragt: «Was darf ich überhaupt noch sagen oder tun?», der hat in meinen Augen Rassismus immer noch nicht verstanden. Niemand kann einen entsprechend abschliessenden Katalog verfassen. Dies würde auch keinen Sinn machen. All die bekannt gegebenen Geschichten von Betroffenen dienen als sogenannte Leitlinie. Letztlich liegt es aber am Einzelnen, darüber zu reflektieren, ob und welche Auswirkungen seine Handlungen oder Äusserungen für sein Gegenüber haben könnten. Dabei spielen Mimik, Gestik, Körpersprache sowie der Ton, wie etwas gesagt wird, eine sehr grosse Rolle. Nicht rassistisch zu sein, bedeutet für mich, seinem Gegenüber Empathie entgegenzubringen. Nur tolerant sein reicht hierfür nicht aus.
Abschliessend möchte ich noch diejenigen, denen der aktuelle Diskurs zu weit geht, auf Folgendes hinweisen. Jegliche Art von Diskriminierung löst in einem Menschen etwas aus. Mit jedem Mal steigt die Frustration und zugleich nimmt die Toleranzgrenze ab. So kommt man als betroffene Person früher oder später an den Punkt, wo man den Fokus nur noch oder vorwiegend darauf richtet, was von aussen betrachtet als übertrieben wahrgenommen werden kann. Die Verarbeitung erfordert Zeit und vor allem Verständnis vonseiten des Umfelds. Also lasst uns allen gegenüber mehr Verständnis aufbringen!
Banchu Madörin (23), Itingen