Lebend aufgespiesst
24.03.2020 BaselbietDer Neuntöter ist der Vogel des Jahres
Bird-Life Schweiz hat den Neuntöter zum Vogel des Jahres 2020 erklärt. Sein Name ist Programm, lagert er doch seine Beute auf äusserst makabre Art und Weise.
Brigitt Buser
Wem in einer Hecke im Gebiet ...
Der Neuntöter ist der Vogel des Jahres
Bird-Life Schweiz hat den Neuntöter zum Vogel des Jahres 2020 erklärt. Sein Name ist Programm, lagert er doch seine Beute auf äusserst makabre Art und Weise.
Brigitt Buser
Wem in einer Hecke im Gebiet Farnsberg schon einmal ein säuberlich auf einen Dorn aufgespiesstes Insekt oder sogar eine kleine Maus in derselben Lage aufgefallen ist, dem sei verraten: Der Täter ist der Neuntöter. Es handelt sich um eine zu den Würgern zählende Vogelart, die sich derzeit noch in Süd- und Ostafrika aufhält und sich mit dem reichhaltigen Insektenangebot der Trockensavannen für die baldige Reise Richtung Brutplätze stärkt.
Im Mai bei uns angekommen, baut er sein Nest in dichten Dornbüschen wie die von Wildrose, Schwarz- und Weissdorn oder Berberitze in Hecken oder kleineren Gruppen. Hier schützt er seine Brut vor Mardern, Wild- und streunenden Hauskatzen oder Greifvögeln. Angrenzende, insektenreiche Magerwiesen dienen ihm als Nahrungsquelle. Vom Dornbusch aus geniesst er eine ausgezeichnete Aussicht. Kommt ihm ein passendes Nahrungsangebot vor die Augen, schiesst er wie ein Pfeil auf dieses zu. Abgesehen hat es der Neuntöter auf Grosskäferarten wie beispielsweise den Maikäfer, aber auch Libellen, Heuschrecken, Tagfalter, Eidechsen, Grillen, Wespen und Jungmäuse und sogar andere Jungvögel. Von der Beute entfernt er vor dem Verzehr oder der Verfütterung Insektenflügel, Beine und Panzer oder Giftstacheln und zerlegt das Fleisch.
Da aber bei Regenwetter die Insekten kaum aktiv sind, hat der Neuntöter, wie übrigens andere Würgerarten auch, ein interessantes Verhalten entwickelt: Er legt Vorräte an, indem er erbeutete Insekten und Kleintiere auf Dornen oder Stacheln – gelegentlich auch Stacheldraht – aufspiesst. Und zwar lebend, bleiben sie doch so bis zum Verzehr schön frisch. Aus diesem Verhalten rührt auch der Name Neuntöter. Die Zahl neun wurde früher auch für «viel» gebraucht.
Was den Brutplatz anbelangt, ist das Weibchen sehr wählerisch und so muss ihr das Männchen mehrere geeignete Plätze zeigen, bis es sich für einen passenden entscheidet. Ist das Nest gebaut, legt es 3 bis 7 Eier und nach 13 bis 16 Tagen schlüpfen die Jungen. Diese bleiben noch circa 15 Tage im Nest und werden nach dessen Verlassen noch ungefähr drei Wochen von den Altvögeln betreut. Dann ist es wieder so weit und die Neuntöter machen sich im August/ September auf Richtung Afrika.
Stark dezimierte Bestände
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war der Neuntöter in der Schweiz noch häufig anzutreffen. Das Brutgebiet umfasst Niederhecken, extensiv genutzte Weiden oder Obstgärten, Rebberge und Waldlichtungen mit sie umgebenden Magerwiesen, Buntbrachen oder solche mit ähnlichem Angebot an Pflanzen und somit Insekten. Fehlen jedoch die benötigten Kleinstrukturen oder ist das Ausmass und die Qualität dieser auch schon nur ungenügend, ist der Fortbestand der Neuntöter- Populationen gefährdet. Die Präsenz des Neuntöters hingegen weist auf ökologisch wertvolle Infrastrukturen und eine Landwirtschaft im Gleichgewicht der Natur hin.
Infolge immer intensiverer Nutzung des Kulturlands in den vergangenen 30 Jahren haben sich die Bestände des Neuntöters in der Schweiz halbiert. Grund dafür ist, dass seit den 1960er-Jahren bei der Landschaftspflege die damals zahlreichen Hecken und Buschgruppen mehrheitlich aus dem Kulturland entfernt wurden. Zusätzlich kam es zu einem massiven Einsatz von Gülle und Kunstdünger, Herbiziden und Pestiziden und einem vermehrten Schnitt der Wiesen: Die Insektenbestände im Kulturland nahmen massiv ab. Die Statistik der Vogelwarte Sempach verzeichnet für unsere Region eine Population von 0 bis 0,5 Paaren pro Quadratkilometer.
Projekt Obstgarten Farnsberg
Damit auch in unserer Region der Bestand an Brutpaaren wieder zunimmt, ist ein systematischer Aufbau der Lebensraumnetze als ökologische Infrastruktur nötig. Dies zeigt das Projekt Obstgarten Farnsberg von Bird-Life Schweiz, das 2004 in enger Zusammenarbeit mit Landwirten, Naturschutzvereinen, Stiftungen und dem Kanton realisiert werden konnte.
Durch das Pflanzen von Hecken und Buschgruppen sowie die Aufwertung von Waldrändern und das Anlegen von Magerwiesen hat sich die Population auf 21 Neuntöterreviere verdoppelt. Davon profitieren auch andere Vogelarten wie Dorngrasmücke, Gartenrotschwanz oder Goldammer sowie viele Insektenarten und Kleintiere wie Wiesel, Haselmaus oder sogar die Wildkatze.
Auch in Zeglingen waren bis vorvergangenes Jahr seit fast 40 Jahren Neuntöter ansässig. Ob sie nur für vergangenes Jahr einen Brutplatz in einer der Nachbargemeinden wählten, wird sich Mitte Mai zeigen.