Der Krisenkommunikator
26.03.2020 Baselbiet, Bezirk LiestalChristian Horisberger
Für Medienschaffende ist eine rasch und zuverlässig erreichbare Anlaufstelle bei den Behörden eine wichtige Arbeitsgrundlage – insbesondere, wenn der Informationshunger so gross ist wie heute. Der frühere Chefredaktor der «Volksstimme», Rolf ...
Christian Horisberger
Für Medienschaffende ist eine rasch und zuverlässig erreichbare Anlaufstelle bei den Behörden eine wichtige Arbeitsgrundlage – insbesondere, wenn der Informationshunger so gross ist wie heute. Der frühere Chefredaktor der «Volksstimme», Rolf Wirz, ist dafür da, diesen Hunger zu stillen. Während sechs Jahren war er Sprecher der Baselbieter Polizei, seit acht Jahren ist er Leiter Kommunikation der Volkswirtschafts- und Gesundheitsdirektion (VGD). In seiner heutigen Funktion gehört der 56-jährige Nusshöfer dem Informationsdienst des Kantonalen Krisenstabs (KKS) an. Hier ist er zurzeit mehr gefordert denn je: Die Coronakrise sorgt laufend für neue Entscheide, Informationen und Empfehlungen, die ausformuliert und an die Bevölkerung weitergegeben werden müssen.
Als Mitglied des KKS hat der Medienprofi bereits einige Krisensituationen oder besondere Lagen an vorderster Front miterlebt: Explosionen in einer Chemiefirma, Schweinegrippe, Trockenheit, im vergangenen Sommer die Trinkwasserverschmutzung im Raum Liestal. Aber die aktuelle Situation stelle alles Bisherige in den Schatten, sagt er, nicht nur, was die Schwere der Krise angehe. Ausserordentlich seien aus Sicht der Krisenkommunikation die lange Dauer, die Intensität, die laufend ändernden Verordnungen und Empfehlungen und damit verbunden der Informationsbedarf für die Bevölkerung.
Mehr noch: «Die Menschen suchen auf allen Kanälen Antworten auf ihre Fragen.» So läute sein Telefon nicht nur dann, wenn Journalisten vom Krisenstab Auskünfte zu Corona einfordern, sondern auch, wenn besorgte Bürgerinnen und Bürger bei anderen Anlaufstellen wie den Telefonzentralen der Direktionen, der Krisenstab-Hotline oder beim kantonsärztlichen Dienst nicht durchkommen. Dann sei er ein bisschen «Mädchen für alles».
Bitte weniger Egoismus
Ist dies der Fall, wimmelt er die Anrufer nicht ab, sondern versucht, den richtigen Ansprechpartner zu vermitteln. Im besten Fall kann er die Fragen gleich selber beantworten. Oder aus dem Gespräch erübrigt sich die Frage. Wirz nennt ein Beispiel: Eine Lehrerin hatte in einer früheren Phase der Krise eine Begründung dafür verlangt, weshalb die Skilager gestrichen wurden, obwohl der Schulunterricht weiterlief. Statt sie bloss an die Bildungsdirektion zu verweisen, erzählte Wirz der Lehrerin von einer Frau, mit der er Mailkontakt hatte: arbeitslos, kleiner Zusatzverdienst als Organistin, wegen geschlossener Kirchen nun ganz ohne Einkommen. Diese Frau habe echte Probleme. «Daraufhin sagte die Lehrerin, dass sich ihre Anfrage bei der Bildungsdirektion erübrigt habe», so Wirz. Diese Reaktion habe ihn gefreut.
Bei manchen Anfragen ist er mit seinem Latein am Ende. Etwa bei Reklamationen darüber, dass die Abklärungsstation in Lausen nicht gut genug an den öV angebunden sei, oder dass es im Laufental keine gebe. Hier wünschte sich Wirz weniger Egoismus und «dass die Leute nicht immer das Haar in der Suppe suchen». Das Baselbiet sei mit seinen beiden Abklärungsstationen und den mobilen Testteams Vorreiter in der ganzen Schweiz, betont er. Deswegen könne er sich manchmal einen gewissen Zynismus nicht verkneifen.
Gut und schnell informieren
Wirz’ reguläres Geschäft, die Kommunikation der VGD, ruht weitgehend. Statt wie üblich in seinem Büro in der VGD, hat er Quartier im Amt für Militär und Bevölkerungsschutz (AMB), dem Stützpunkt des KKS, im Liestaler Oristal bezogen. Der Infodienst des KKS verbreitet von hier aus öffentlichkeitsrelevante Entscheide und Massnahmen von Regierung und Krisenstab schnellstmöglich über die eigenen Kanäle und die Medien. Wobei Wirz seine eigene Vorstellung von «so schnell wie möglich» seit der Coronakrise neu definieren musste: Die Regierung hatte am Fasnachtssonntag beschlossen, in Sissach und Liestal die Beizen zu schliessen. Bereits am Montagmorgen stand sie den Medien Rede und Antwort. Da fand Wirz, das sei «brutal schnell» gewesen. Aber es sollte noch schneller gehen. «Als der erste Baselbieter am Coronavirus starb, hatten wir gerade einmal zwei Stunden Zeit, um eine Medienkonferenz zu organisieren: Einladung, Raum, Referenten, Sicherheitsvorkehrungen.»
«Wir» steht für den Informationsdienst des Kantonalen Krisenstabs. Dem aus mehreren Kommunikationsspezialisten der kantonalen Verwaltung bestehenden Stabsdienst stehen als Instrumente Medienmitteilungen, Medienkonferenzen, die Website des Kantons beziehungsweise der eigens geschaffene Bereich zu Covid-19 sowie die App Alertswiss, Facebook und Twitter zur Verfügung. Die Informationen auf der Website werden laufend den aktuellen Gegebenheiten und Entscheidungen der Behörden angepasst. Auch häufige Fragestellungen aus der Bevölkerung und der Wirtschaft lasse man so rasch wie möglich einfliessen.
Stressresistent
Doch das ist für die Betroffenen oft nicht schnell genug. Er habe Verständnis für die Coiffeuse, die sofort wissen will, was ein neuer Regierungsbeschluss für ihren Salon genau bedeutet, sagt Wirz. Dennoch bittet er um Geduld: «Wenn der Bundesrat etwas beschliesst, erfahren wir das zum Teil zeitgleich mit der Bevölkerung. Da haben wir nicht sofort auf jede Frage eine Antwort parat.»
Seit fünf Wochen steht Wirz nun für den KKS im Einsatz – fast jeden Tag, Wochenenden inklusive. Die Dauerbelastung ist ihm im Gespräch nicht anzumerken. Der Krisenkommunikator wirkt kein bisschen angespannt oder müde, auch seinen Humor hat er nicht verloren. Ist er immun gegen Stress? «Ich habe Einsatzerfahrung», meint Wirz dazu. Er habe als Sprecher bei der Polizei viele Stresssituationen erlebt und davon profitiert. Auch sei er ohnehin kein Typ, der «hypert». «Das würde sich mit der Arbeit im Krisenstab nicht vertragen.» Und wie reizvoll ist für ihn die Aufgabe? «Sie ist spannend, könnte von mir aus aber gerne vorbei sein.»
Hotline des Kantonalen Krisenstabs für die Bevölkerung: 0800 800 112
(täglich inklusive Wochenende von 9 bis 16 Uhr).