Plädoyer für 11 000 Quadratmeter Wiese
20.02.2020 Bauprojekte, Tenniken, Bezirk Sissach«Chilchacher»-Komitee warb mit Studie und Herzblut gegen «Profitdenken» und «Bauwahn»
Nein. Zu diesem Ergebnis kam eine Studie der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz, die prüfte, ob eine Überbauung des «Chilchacher», wie sie die Stiftung Kirchengut plant, als hochwertige ...
«Chilchacher»-Komitee warb mit Studie und Herzblut gegen «Profitdenken» und «Bauwahn»
Nein. Zu diesem Ergebnis kam eine Studie der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz, die prüfte, ob eine Überbauung des «Chilchacher», wie sie die Stiftung Kirchengut plant, als hochwertige Siedlungsentwicklung nach innen gewertet werden kann.
Christian Horisberger
Wer bei einer Organisation, die den Schutz der Landschaft im Namen trägt, ein Gutachten zu einer Überbauung auf der grünen Wiese bestellt, weiss von vornherein, was er für sein Geld erwarten darf: Wasser auf die eigene Mühle. Davon lässt der Bericht der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SLS), den Autorin Franziska Grossenbacher am Dienstag auf Einladung des «Chilchacher»-Komitees an einer öffentlichen Veranstaltung vorstellte, reichlich fliessen.
Er kommt zum klaren Ergebnis, dass eine Überbauung des Gebiets ausschliesslich negative Auswirkungen hätte. In planungsrechtlicher Hinsicht werden die Beeinträchtigungen in 4 von 17 Punkten als «schwer» taxiert, ansonsten als «leicht». Aus landschaftlicher Warte stuft die SLS die Nachteile einer Überbauung in drei Aspekten als «schwer» und in fünf als «leicht» ein. Keine Beeinträchtigung liegt gemäss Urteil der SLS in keinem Punkt vor (siehe Kasten).
Die SLS rät der Gemeinde von der Überbauung des heute grössten zusammenhängenden Grünraums innerhalb des Siedlungsgebiets ab. Stattdessen sei der «Chilchacher» der Denkmalschutzzone zuzuweisen und damit langfristig vor einer Überbauung zu schützen. Dieses Vorgehen werde vom Baselbieter Heimatschutz unterstützt und sei mit dem Kirchenhügel von Oltingen bereits erprobt.
Freiräume trotz Verdichtung
An den Beispielen der Stadt Baden, die dieses Jahr mit dem Wakker-Preis ausgezeichnet wird, und dem Bündner Dorf Fläsch, dem diese Ehre ebenfalls schon zuteil wurde, zeigte Heimatschutz-Vorstandsmitglied Hansjörg Stalder den Wert von öffentlichen Freiräumen auf. Eine Verdichtung nach innen sei nur von Qualität, wenn auch Freiräume geschaffen würden oder erhalten blieben. Beide ausgezeichneten Orte hätten dies vorbildlich umgesetzt.
Mit der Stiftung Kirchengut, die auf der grünen Wiese eine Wohnüberbauung realisieren will, ging Stalder scharf ins Gericht. Kirchenbauten und deren Umgebung seien nicht einfach Immobilien als Renditeobjekte, sondern Baukulturgut mit Tradition, die in die Ortsbilder integriert seien. Deren Wert zu bestimmen, sei nicht eine buchalterische, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe; die Gemeinde trage hier eine hohe Verantwortung. Den buchhalterischen Aspekt hatte die Regierung Anfang Monat in ihrer Antwort auf eine Interpellation von Florence Brenzikofer (Grüne) ausgeleuchtet. Demnach sei es Auftrag der Stiftung Kirchengut, Kirchenimmobilien zu erhalten und den Kirchgemeinden zur Miete zur Verfügung zu stellen. Die Mittel dafür erwirtschafte die Stiftung aus dem Verkauf oder der Vermietung ihrer Grundstücke und Liegenschaften. Flüssige Mittel, die nicht für den Liegenschaftsunterhalt erforderlich sind, würden durch die Kantonalbank in einem Verwaltungsmandat nach kaufmännischen Grundsätzen bewirtschaftet. Grünen-Landrätin Laura Grazioli fasste am Dienstag die Antwort zusammen und merkte an, dass sie bedauere, dass der Regierungsrat nicht aufgezeigt hat, welcher Handlungsspielraum auch für unkonventionelle Lösungen besteht. Sie habe sich erhofft, dass die Regierung auf die Stiftung Kirchengut als öffentlichrechtliche Organisation stärkeren Einfluss nehmen könne.
Der an der gut besuchten Veranstaltung anwesende Finanz- und Kirchendirektor Anton Lauber (CVP) stellte klar: «Es ist nicht der Kanton, der bauen will.» Der Kanton habe wohl die Aufsicht über die Stiftung, schreibe dieser aber nicht vor, was sie zu tun hat. Die Stiftung Kirchengut, so Lauber, befinde sich in einem Zielkonflikt zwischen Auftragserfüllung und Landschaftsschutz. Diesen zu lösen, sei jedoch nicht Sache des Kantons, sondern der Gemeinde.
Gelände verlöre an Wert
Das letzte Wort haben die Einwohner: Sie müssten einem Quartierplan als rechtlicher Basis für eine Überbauung zustimmen. Aufgrund der grossen Unterschriftenzahl der Petition pro «Chilchacher» (290) eigentlich eine klare Sache. Mit welchen Konsequenzen? Der SLS-Bericht verliert im Bericht über allfällige rechtliche und finanzielle Auswirkungen kein Wort. Aber eine Zuweisung des Areals an die Denkmalschutzzone, wie die SLS vorschlägt, wäre mit einer massiven Wertminderung des Areals verbunden.
Als eine mögliche Ersatzzahlungspflicht der Gemeinde aufgeworfen wurde, versuchte Komitee-Mitglied Kaspar Geiger diese Diskussion im Keim zu ersticken. Es sei «unsinnig», darüber zu reden, ohne zuvor entsprechende Abklärungen getroffen zu haben. Ohne diese werde die Diskussion «schnell emotional». Welche Auswirkungen ein Nein zur Überbauung auf die Gemeinde habe, sei in einem späteren Schritt zu erörtern. Jetzt gehe es um die Frage des Wertes des «Chilchacher» und nicht um dessen Preis.
Für Vera Weber ist der Wert der 11 000 Quadratmeter grossen Wiese, «eine wunderbare Oase mitten im Dorf», unschätzbar. Die Präsidentin und Geschäftsführerin der Fondation Franz Weber hielt ein flammendes Plädoyer gegen den «Bauwahn» und für den Erhalt des «paradiesischen Grünraums», der keinesfalls wirtschaftlichen Interessen geopfert werden dürfe. Weber rief den Tennikerinnen und Tennikern zu: «Sagen Sie stopp, gehen Sie auf die Barrikaden. Wir werden Sie dabei unterstützen.»
Vom Gemeinderat enttäuscht
Aus den Voten im Saal ging vor allem hervor, wie stark die Fronten zwischen Gemeinderat und Komitee verhärtet sind. Ein Versammlungsteilnehmer merkte an, dass es eigentlich Sache des Gemeinderats sei, in diesem Geschäft die Führerschaft zu übernehmen. Dieser sei aber untätig, auf die Petition habe er nicht reagiert. Er sei überdies enttäuscht, dass der Gemeinderat nicht vollzählig erschienen sei.
Das liess Beat Heller, einer von zwei anwesenden Mitgliedern des Gemeinderats, nicht auf sich sitzen. Der Gemeinderat sitze in der paritätischen Kommission mit den «Chilchacher»-Leuten an einem Tisch. Dennoch «hören wir immer nur hintenherum, dass das Komitee wieder etwas unternimmt».
Heller hielt fest, dass der Gemeinderat für die Bevölkerung da sei und ausführe, was diese wolle. «Was passiert, entscheidet ihr.» Eine Information der Gemeinde sei im März vorgesehen.
SLS-Bericht: Überbauung widerspricht Richtplan der Gemeinde
Die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz hat in ihrem Gutachten über den «Chilchacher» 17 Bewertungen aus planerischer Sicht und 8 aus landschaftlicher Optik abgegeben. In folgenden Punkten ortet sie im Fall einer Bebauung schwere Beeinträchtigungen:
• Das Überbauen einer Freifläche anstelle einer inneren Verdichtung bereits bebauten Gebiets widerspreche dem kommunalen Richtplan. Dieser sehe zudem keine Ausdehnung des Siedlungsgebiets bis 2025 vor. Als solche beurteilt der Bericht den Quartierplan, der es erlauben würde, in der Zone für öffentliche Werke Wohnbauten zu erstellen.
• Der Heimatschutz Baselland hat 2019 ein Positionspapier verabschiedet, wonach die Umgebung geschützter Kulturdenkmäler nicht beeinträchtigt werden darf. Die Überbauung des «Chilchacher» würde für das denkmalgeschützte Ensemble aus Kirche, Pfarrhaus und Pfarrscheune ebendies bedeuten. Das gesamte Gefüge
• mit Umgebung – sei integral zu erhalten.
• Jede Versiegelung des Bodens erhöht die Wärmebelastung. Dies widerspräche einem Planungshinweis des Kantons (Klimafunktionskarte).
• Die Umsetzung des Wohnbauprojekts ginge auf Kosten des grössten zusammenhängenden Freiraums im Dorf und würde eine interessante Topographie zerstören, da Geländeverschiebungen und die Ausdolung und Verlegung eines Bachs erforderlich wären.
• Kirche und Friedhof verlören den grünen «Puffer», was mehr Lärm und grössere visuelle Störungen für den sakralen Ort brächte. Auch das Ortsbild um die Kirche würde entgegen der Vorgabe im kommunalen Richtplan Schaden nehmen. Auf der Strecke blieben ferner Spaziergänger, im Winter Schlittler sowie die Natur. Fazit: «Die vielen landschaftlichen Qualitäten und die besondere Atmosphäre des ‹Chilchacher› würden stark beeinträchtigt.»