«Sich in den USA frei zu entfalten, ist einfacher»
09.01.2020 Anwil, BaselbietJoshua Moser
Bianca und Bernhard Saladin, weshalb sind Sie vor knapp fünf Jahren ins US-amerikanische Florida ausgewandert?
Bernhard Saladin: Ein Bekannter zeigte uns vor mehr als 20 Jahren ein Haus in Florida. Uns ist damals aufgefallen, dass die ...
Joshua Moser
Bianca und Bernhard Saladin, weshalb sind Sie vor knapp fünf Jahren ins US-amerikanische Florida ausgewandert?
Bernhard Saladin: Ein Bekannter zeigte uns vor mehr als 20 Jahren ein Haus in Florida. Uns ist damals aufgefallen, dass die Preise für die Häuser im Vergleich zur Schweiz ziemlich günstig waren. Unser Interesse an Florida hat dann zugenommen. 1998 haben wir zum ersten Mal Ferien in Florida gemacht und im selben Jahr ein Ferienhaus gekauft. Von da an hat das Ganze seinen Lauf genommen.
Bianca Saladin: Bernhard ist damals geschäftlich viel gereist. So habe auch ich etwas von der Welt sehen können und neue Kulturen kennengelernt. Das hat mir gewissermassen den Geist geöffnet, deshalb war ich dem Auswandern gegenüber schon immer positiv gestimmt.
Wie sind Sie in die Vereinigten Staaten gelangt?
Bianca Saladin: Wir haben 14 Jahre lang an einer US-Greencard-Lotterie teilgenommen. Bei dieser Lotterie wird jährlich ein zeitlich unbeschränkter Aufenthalt für die USA – die Greencard – verlost. Im 14. Jahr nach unserer ersten Teilnahme hatten wir uns entschieden, ein letztes Mal mitzumachen. Wir glaubten nicht mehr daran, zu gewinnen. Ausgerechnet in diesem Jahr wurde unser Los gezogen.
Was war sonst noch nötig, damit Sie auswandern konnten?
Bernhard Saladin: Die Behörden prüften unsere komplette Vergangenheit: Ausbildung, Sprachkenntnisse und finanzielle Lage mussten stimmen. Dann folgte viel Papierkram. Zum Schluss mussten wir uns noch auf der Botschaft vorstellen.
War es also eine Vorgabe, bereits Englisch sprechen zu können, um mit der Greencard auswandern zu dürfen? Bianca Saladin: Ja, man muss gewisse Anforderungen in Bezug auf die Sprachkenntnis erfüllen. Bernhard spricht fliessend fünf Sprachen, darunter Englisch. Für ihn war es kein Problem. Ich hatte in der Schule aber keinen Englischunterricht und musste einen Anfängerkurs besuchen. Zum Glück hatte ich eine tolle Lehrerin. Wirklich gelernt habe ich die Sprache aber erst in Florida, vor allem dank unserer tollen Freunde, die wir hier kennengelernt haben.
Was hat der erste Besuch in Florida 1998 bei Ihnen beiden ausgelöst?
Bianca Saladin: Als Italienerin und Schweizerin habe ich mich weder in der Schweiz noch in Italien je heimisch gefühlt. In Florida aber dachte ich sofort: «Hier bin ich zu Hause.» Es war schlimm, nach den Ferien zurück in die Schweiz zu kommen. Nicht, weil ich das Land nicht mag, aber in den USA hat man so viel mehr Platz und mehr Möglichkeiten.
Bernhard Saladin: Allerdings hatten wir auch Glück, dass wir nach Florida gezogen sind. Einige Freunde haben gesagt, Florida sei nicht gleich wie die anderen Staaten von Amerika. Die Leute seien viel offener und aufgeschlossener. Die Mentalität der Leute ist eine ganz andere als in den restlichen USA.
Wie war die Eingewöhnungszeit? Sie kannten Florida ja vor allem aus den Ferien.
Bernhard Saladin: Da ich die USA von meinen Geschäftsreisen her und nicht nur von den Ferien kannte, musste ich mich nicht gross umgewöhnen und wusste, was auf mich zukommen würde. Ich kannte die Offenheit und Herzlichkeit der Leute bereits. Dieser Eindruck hat sich bestätigt. Es kam, wie ich es mir erträumt und gewünscht hatte. Ich werde mit Sicherheit nicht in die Schweiz zurückkehren.
Frau Saladin, wo mussten Sie sich umgewöhnen?
Bianca Saladin: Es waren kleine Dinge. Die Leute hier gehen auf Fremde zu und erwarten diese Offenheit auch von anderen. Ich finde das toll. Ein wenig Smalltalk zu führen, ist schön und man erfährt so spannende Dinge. Allgemein würde ich sagen, dass der Alltag in den USA einfach viel ruhiger ist als in der Schweiz. Es gibt weniger stressige, dafür umso mehr besonders schöne und herzerwärmende Momente.
Wo sehen Sie die grössten Unterschiede?
Bianca Saladin: Beim Wetter: In Florida strahlt fast nur die Sonne – seit ich da bin zu etwa 95 Prozent, schätze ich. Die anderen 5 Prozent sind leider Hurricanes. Wir wohnten bereits in Florida, als «Irma» über unser Wohngebiet zog. Glücklicherweise haben wir ihn sehr gut überstanden.
Bernhard Saladin: Wir konnten bei Bekannten übernachten, die ausserhalb des betroffenen Gebiets wohnen. Das dachten wir jedenfalls. Allerdings änderte der Hurrican Irma seine Richtung und so waren auch wir und unsere Bekannten im Pfad des Hurricanes, der zum Glück aber keine Flutwelle nach sich zog.
Waren die Hurricanes etwas, das Sie vor dem Auswandern bedacht haben, oder waren Sie völlig überrascht, als es so weit war?
Bianca Saladin: Dass wir auf solche Arten von Unwetter treffen würden, war uns schon bewusst. Angst hat es uns nicht gemacht, immerhin wohnen hier Menschen und ihre Häuser stehen noch.
Es gibt sicher Dinge in der Schweiz, die Sie vermissen.
Bianca Saladin: Natürlich. Kinder und Enkelkinder, Freunde und Verwandte, meine beste Freundin, ihre Familie, Zweifel-Chips und Spaziergänge im Wald. Auch die Berge: Wenn ich Berge sehe, fühle ich mich sofort mit der Schweiz verbunden. Was ich auch vermisse, ist Anwil. Die elf Jahre dort waren eine wunderschöne Zeit.
Was vermissen Sie überhaupt nicht?
Bernhard Saladin: Den Verkehr. In der Schweiz sind die Strassen extrem überlastet. Ich fühlte mich eingeengt. In Florida haben wir unglaublich viel Platz, was angenehmer ist. Wir finden, dass es in der Schweiz schwieriger ist, sich zu entfalten.
Wie macht sich das im Alltag bemerkbar?
Bernhard Saladin: Man sieht es alleine an den vier- bis sechsspurigen Strassen. Die Zitrusplantagen ziehen sich über viele Kilometer hinweg. Alles ist viel grösser als in der Schweiz.
Interessieren Sie sich noch für das Geschehen in der Schweiz?
Bianca Saladin: Hie und da schaue ich noch Schweizer Nachrichten. Durch Facetime habe ich Kontakt mit Freunden und Familie.
Wie nehmen Sie die Schweiz aus den USA wahr?
Bernhard Saladin: Verändert hat sich mein Eindruck nicht, er hat sich eher verfestigt. Das politische System der Schweiz mit den vielen verschiedenen Parteien und der damit einhergehenden Konsensfindung scheint als in der Schweiz lebender Bürger eher langweilig.Wenn man es aber von aussen betrachtet, ist es eines der stabilsten politischen Systeme der Welt. Vor allem aus US-amerikanischer Sicht. Hier gibt es nur zwei Parteien: Die eine hebt auf, was die andere zuvor gemacht hat. Es gleicht ein wenig einem politischen Stillstand. Die freie Entfaltung – wie ich mein Leben gestalten möchte – empfinde ich in der Schweiz aber als schwierig. In Amerika ist die Gesellschaft auf Individualismus und Selbstverantwortung ausgerichtet. Jeder kann machen, was er will, solange er sich an das Gesetz hält.
Wie sind Sie nun beruflich tätig?
Bernhard Saladin: Ich habe die sogenannte Real-Estate-Broker-Lizenz gemacht und verkaufe Liegenschaften. Ich bin selbstständig, was mir sehr wichtig ist.
Bianca Saladin: Ich arbeite im Moment nicht und vermisse es auch kein bisschen. Ich habe immer noch das Gefühl, in den Ferien zu sein: Es ist wie im Paradies. Wir haben wirklich das grosse Los gezogen.
Herr Saladin, wie fasst man im US-amerikanischen Arbeitsmarkt Fuss? Braucht es weniger Ausbildungen und Diplome als in der Schweiz?
Bernhard Saladin: Nein, auf diese Dinge wird auch hier Wert gelegt. Der Unterschied zur Schweiz ist, dass man immer wieder Kurse und Schulen besuchen muss, selbst nachdem man eine Lizenz erworben hat. Um meine Broker-Lizenz zu behalten, habe ich bereits zwei Mal die Schulbank drücken und eine Prüfung ablegen müssen. Die Leute sind hier aber viel gewillter, jemandem eine Chance zu geben, als in Europa. Man erhält eher die Möglichkeit, zu zeigen, was man kann. Die Arbeitgeber sind vor allem gegenüber 50-Jährigen und älteren Personen viel toleranter.
Wie sehen Sie und Ihr Freundeskreis den Präsidenten Donald Trump?
Bianca Saladin: Es gibt zwei Dinge, über die ein Amerikaner nicht spricht: Die Politik und die Religion. Wieso, weiss ich nicht genau. Fest steht, dass die Gesellschaft, bezogen auf die Politik, noch nie so gespalten war. Unser Eindruck ist, dass genauso viele an den Präsidenten glauben, wie andere gegen ihn sind. Da Bernhard einige Jahre bei einer US-Firma gearbeitet hatte, wussten wir bereits im Voraus, dass dies heikle Themen sind und konnten uns darauf einstellen.
Zu den Personen
jm. Bianca und Bernhard Saladin sind vor fünf Jahren von Anwil nach Florida gezogen. Bei der jährlichen Verlosung einer Greencard, die es erlaubt, in einen beliebigen Staat in den USA auszuwandern, haben der heute 59-Jährige und die 54-Jährige bei der 14. Teilnahme gewonnen. Sie wohnen nun in der Ortschaft Fort Myers im Staat Florida. Bianca Saladin hat in der Schweiz ein eigenes Reinigungsunternehmen geführt, Bernhard Saladin war Supply Manager. Nun arbeitet er als Imobilienmakler.