Wie der Tod die Vernunft bestimmt
06.09.2019 Bezirk Sissach, Kultur, SissachDas «Young Actor’s Lab» spielt «Die Befristeten»
Ab dem 10. September verwandelt sich die Obere Fabrik in eine dystopische Welt: Mit der Inszenierung von Elias Canettis «Die Befristeten» beschäftigt sich das Theaterensemble unter der Leitung von Urs Blindenbacher mit Fragen über ...
Das «Young Actor’s Lab» spielt «Die Befristeten»
Ab dem 10. September verwandelt sich die Obere Fabrik in eine dystopische Welt: Mit der Inszenierung von Elias Canettis «Die Befristeten» beschäftigt sich das Theaterensemble unter der Leitung von Urs Blindenbacher mit Fragen über Leben und Tod.
Sara Keller
Es ist ein düsteres Szenario, das Urs Blindenbacher und das Theaterensemble «Young Actor’s Lab» schildern: In Elias Canettis szenischem Gedankenspiel «Die Befristeten» weiss jede der Figuren, in welchem Alter sie sterben wird. Seit dem Tag ihrer Geburt tragen sie alle eine Kapsel um den Hals, in der das Geburts- und Todesdatum verborgen sind. Das Ensemble stellt mit der Inszenierung, die es ab dem 10. September in der Oberen Fabrik zeigt, die Frage in den Raum, was geschieht, wenn das Leben zeitlich bestimmt ist.
Canetti beantwortet diese Frage in «Die Befristeten» mit einer absolut durchgeplanten Gesellschaft. Die Figuren handeln ihren Jahren entsprechend vernünftig. Nur wer alt wird, plant in die Zukunft, «niedrigere» Figuren leben unbedacht im Moment. Die vorbestimmten Lebensjahre regulieren die soziale Hierarchie, Beziehungen und Gefühle der Bewohner. Ein diktatorisches System entsteht und funktioniert – bis eine Figur beginnt, dieses zu hinterfragen.
Brüchige Grenzen zum Publikum
«Es gibt keine negativen und positiven Emotionen mehr, da die Trauer verschwindet», so Blindenbacher über Canettis Gesellschaft. Trauer und Freude seien miteinander verbunden, fügt der 66-Jährige an. Falle das eine weg, könne es auch das andere nicht mehr geben. «Wie viel das Leben wert ist, wird in kaum einem anderen Augenblick so deutlich, wie nach einem überraschenden Verlust.»
Es sind diese moralischen und philosophischen Themen, die das Stück in seiner Zeitlosigkeit behandelt, die das Ensemble auch dazu motivierte, es zu inszenieren. Das Ziel des «Young Actor’s Labs» ist es, literarische Werke, die zum Denken anregen, an interessanten Schauplätzen in Szene zu setzen. Urs Blindenbacher, der zuvor den Theaterkurs des Gymnasiums Liestal geleitet hatte, will mit seinem neuen Projekt die Grenze zwischen der Bühne und dem Publikum aufbrechen: Die elf Studierenden, Schüler und Schülerinnen, aus denen sich das Ensemble zusammensetzt, spielen in der Oberen Fabrik nicht auf einer Bühne, sondern auf Augenhöhe mit dem Publikum.
Technologie als Kapseln
Trotz der Aktualität des Stücks haben sich die Akteure dafür entschieden, es nah am Originaltext zu inszenieren. Die Frage, ob es in der heutigen Gesellschaft ein Pendant zu Canettis Kapseln gebe, solle nicht auf plakative Weise gestellt werden, sagt Blindenbacher. «Es gab aber durchaus die Diskussion, dass die Figuren Mobiltelefone anstelle von Kapseln um den Hals tragen», fügt er an.
Neben Smartphones sieht er auch in der Medizinaltechnologie einen aktuellen Bezug zu dem Werk. Die Rolle des Kapselans, die zentrale Machtinstanz in Canettis Gesellschaft, der nach dem Tod der Figuren das Todesdatum mit dem Datum in den Kapseln abgleicht, falle dabei den Ärzten zu: «Ärzte, Krankenkassen und die Medizinalkosten bestimmen, wie lange Patienten noch zu leben haben, da diese die Medikamente und Spitalkosten nur für eine bestimmte Zeit bezahlen können», so Blindenbacher. «Computerprogramme und Künstliche Intelligenz bestimmen eventuell in Zukunft, wie alt man werden darf.»
Theater, «Die Befristeten», Dienstag, 10., bis Donnerstag, 12. September, jeweils 20.15 Uhr, Obere Fabrik, Sissach. Vorverkauf: Rapunzel Liestal, 061 921 56 70.