«Wir schaffen das ohne Kanton»
10.09.2019 Bezirk Waldenburg, Titterten, GemeindenAlt Nationalrat Christian Miesch zur Behörden-Misere
Titterten ist in der Krise. Drei Gemeinderatssitze sind verwaist, die Chancen stehen schlecht, dass eine Nachwahl am 20. Oktober Linderung bringt. Selbst das Titterter Polit-Urgestein Christian Miesch hat für die ausserordentliche ...
Alt Nationalrat Christian Miesch zur Behörden-Misere
Titterten ist in der Krise. Drei Gemeinderatssitze sind verwaist, die Chancen stehen schlecht, dass eine Nachwahl am 20. Oktober Linderung bringt. Selbst das Titterter Polit-Urgestein Christian Miesch hat für die ausserordentliche Situation kein Rezept parat.
Christian Horisberger
Herr Miesch, was läuft schief in Ihrem Dorf?
Christian Miesch: Wir haben immer mehr Aufgaben, Gremien und zum Teil auch unnütze Verbünde. Engagements wie im Verein Region Liestal Frenkentäler plus durch den Präsidenten oder in der Führung der Sozialhilfebehörde Hinteres Frenkental durch die Vizepräsidentin bringen unserer Gemeinde nichts. Es ist daher alles komplexer geworden. Ich bin schon ewig in Titterten zu Hause und habe mich auch im Gemeinderat engagiert, von 1979 bis 1983. Damals war alles einfacher: Wir waren zu dritt, hatten einen nebenamtlichen Gemeindeverwalter. Das hat sich geändert.
Das Ansehen des Gemeinderats auch? Braucht man heute eine dickere Haut als früher?
Als Gemeinderat und ganz besonders als Gemeindepräsident steht man immer im Kreuzfeuer. Man kann es nie allen recht machen, konnte es nie. Jetzt haben wir aber eine besondere Situation, wie ich sie noch nie erlebt habe: Drei Vakanzen im Gemeinderat und eine Gemeindeverwalterin, die krankheitsbedingt ausgefallen ist.
Zwei der drei Vakanzen ergaben sich nach einer Auseinandersetzung im Gemeinderat um die Gemeindeverwalterin. Worum genau ging es Ihres Wissens?
Es ging darum, wie mit den häufigen Absenzen umzugehen ist. Aktuell ist die Verwalterin wieder krankgeschrieben. Der Präsident und die Vizepräsidentin sprachen sich dafür aus, dass befristet ein neuer Verwalter eingestellt wird.
Warum befristet?
Bis man weiss, wie es mit der Verwalterin weitergeht. Der Gemeinderat hat erkannt, dass der Betrieb weiterlaufen muss und hat jemanden eingestellt. Er konnte bei dieser Situation nicht mehr zuschauen.
Wie beurteilen Sie den Entscheid?
Ich habe dafür Verständnis. Doch die beiden anderen Gemeinderäte, Simon Suter und Urs Buser, waren damit offenbar nicht einverstanden und haben den Bettel hingeworfen.
Rücktritte mit sofortiger Wirkung sind aussergewöhnlich. Hing der Haussegen im Gemeinderat bereits länger schief und die Differenzen um die Gemeindeverwalterin brachten das Fass zum Überlaufen?
Meines Wissens ging es ausschliesslich um diesen Entscheid, um die Verwalterin.
Gegenüber der «Volksstimme» hatten Suter und Buser erklärt, dass es nicht primär um den Sachentscheid gegangen sei, sondern darum, dass Präsident und Vizepräsidentin sozusagen schon vor der Beratung im Gemeinderat entschieden hatten und die Diskussion unterbunden wurde.
Bei vier Exekutivmitgliedern entscheidet bei einem Patt nun mal der Präsident. Die Reaktion, mit sofortiger Wirkung zu gehen, finde ich zu heftig. Man hat im Gemeinderat oft Entscheide, mit denen man nicht einverstanden ist. Das weiss man, das gehört dazu. Im Detail kann ich nichts Näheres sagen, weil ich mit den beiden Zurücktretenden noch nicht gesprochen habe, sondern erst mit Gemeindepräsident Heinrich Schweizer und Vizepräsidentin Simone Coigny.
Mit den weiteren Rücktritten spitzt sich die Situation in der Exekutive zu.
Ja, es brauchte eine Sonderbewilligung des Regierungsrats, dass die beiden verbliebenen Gemeinderäte weiterregieren können – bis zur Nachwahl am 20. Oktober. Dann wird nur ein Sitz ausgeschrieben – mit einfachem Mehr. Der Wahlgang für die beiden anderen Sitze – mit absolutem Mehr – finden erst am 24. November statt.
Wie stufen Sie die Chance ein, dass man die Sitze rasch wieder besetzen kann? Seit Dezember hat sich ja nicht einmal für den einen freien jemand gefunden.
Aufgrund der Vorkommnisse und offenen Fragen ist das schwierig. Da denkt doch jeder: «Was ist hier los?» Es wird spekuliert, die Informationen liegen nicht alle auf dem Tisch.
Aber es gibt jede Menge Symptome: Titterten hatte neben den drei Rücktritten der Gemeinderäte eine Rechnungs- und Geschäftsprüfungskommission (RGPK), die geschlossen zurückgetreten ist, weil sie mit dem Gemeinderat nicht zurechtgekommen ist. Der Gemeindepräsident scheint an Gemeindeversammlungen überfordert zu sein. Dort kann man auch grosses Misstrauen der Bevölkerung gegenüber dem Gemeinderat wahrnehmen.
Die RGPK hatte eine Auseinandersetzung mit dem Präsidenten und der Verwalterin. Es ging um die Asylbewerberbetreuung, die auswärts gegeben wurde – an eine Organisation, für welche die Ehefrau des Präsidenten arbeitet. Das gab böses Blut. Der Präsident hätte in dem Geschäft in den Ausstand treten müssen. Erstaunlicher- und erfreulicherweise konnte die Kommission wieder besetzt werden.
Den Ausschlag für die Rücktritte in der RGPK gab also auch eine Auseinandersetzung mit dem Präsidenten.
Ja, aber das gibt es in anderen Gemeinden auch. Ich kenne Heini Schweizer persönlich gut. Er ist ein «lieber Chäib». Aber im Umgang reagiert er manchmal komisch.
Sind nicht die falschen Leute zurückgetreten?
Es mag sein, dass der Rücktritt des Präsidenten ein Beitrag für einen Neuanfang wäre. Aber ich zweifle stark daran, dass man dann auf einen Schlag den Gemeinderat wieder voll besetzen könnte. Man darf nicht vergessen: Heinrich Schweizer ist bereit, seine Freizeit zu opfern für das Dorf. Und ich meine, dass er intelligent genug ist, dass er selber merken würde, wenn es für ihn an der Zeit wäre zu gehen.
Was denken Sie, was braucht es, um den Gemeinderat wieder zu besetzen?
Wir hatten bereits bei der RGPK eine schwierige Situation, und das Gremium konnte wieder besetzt werden. Aber ich schätze, dass es beim Gemeinderat schwieriger wird. Die RGPK hat eine andere Funktion und sie bringt einen weit geringeren Arbeitsaufwand mit sich. Wir müssen den 20. Oktober abwarten. Wenn sich für die Nachwahl niemand zur Verfügung stellt, wird es umso schwieriger für die Wahl im November. Und dann ist fraglich, wie lange der Regierungsrat noch zuschaut. Die Ausnahmebewilligung gilt nun einmal bis zum Nachwahltermin.
Herr Miesch, Sie als alter Politik-Hase wären doch ein Mann für den Job.
Wie bitte?
Sie haben mich schon richtig verstanden: Stellen Sie sich allenfalls zur Verfügung?
Ich dachte es auch schon: Endlich habe ich eine Chance, wieder in die Politik einzusteigen (lacht). Ernsthaft: Ich durfte lange in der Politik mitwirken, kommunal, kantonal und national. Ich habe viel erlebt. Aber für mich ist die politische Tätigkeit abgeschlossen. Jetzt sind andere an der Reihe. Ich sehe mich nicht in der Rolle des Krisenmanagers.
Sie liefern das richtige Stichwort. Erich Straumann hat sich in Hersberg, als nur noch einer von drei Gemeinderäten übrig war, als Krisenmanager bewährt. Und die Kirchgemeinde Rothenfluh hat er auch wieder in ruhigere Gewässer geführt. Wäre allenfalls Straumann auch in Titterten der Mann für alle Fälle?
Ich bin davon überzeugt, dass wir die Situation aus eigener Kraft meistern und wir die Dienste von Erich Straumann oder einem anderen vom Kanton eingesetzten Verweser nicht in Anspruch nehmen müssen.
Was tragen Sie dazu bei? Wirken Sie bei der Kandidatensuche mit?
Ich bin bereit, mich zu engagieren, wenn das seitens der Bevölkerung gewünscht ist. Ich habe mich in meiner aktiven Zeit im Gemeinderat stets engagiert vor den Wahlen. Ich habe jeweils einen Abend organisiert, an dem sich die Kandidierenden der Bevölkerung präsentieren konnten. Wir hatten damals allerdings keine Probleme, Kandidierende zu finden. Hier werde ich mich einbringen: Ich werde im Hintergrund mögliche Bewerberinnen und Bewerber ansprechen und versuchen, sie für eine Kandidatur zu gewinnen.
Kandidatinnen und Kandidaten gibt es noch keine. So weit ist man noch nicht. Wie gross schätzen Sie die Chancen ein, dass der Gemeinderat aus eigener Kraft wieder voll besetzt werden kann?
Die Lage ist nicht aussichtslos. Allerdings ist die Bereitschaft heute geringer als früher, sich für die Allgemeinheit zu engagieren. Ich hoffe, das kommt wieder.
Wie?
Für mich führt der Weg klar über die Entlastung von Gemeinderat und Verwaltung von überflüssigen Aufgaben.
Ist das Milizsystem noch tauglich?
Davon bin ich voll und ganz überzeugt. Jeder im Gemeinderat bringt viel ein, was er in der Privatwirtschaft erlebt. Daher hatte mich auch der Austritt von Thomas Moor, einem aktiven Unternehmer, enttäuscht. Es ist wichtig, dass Leute mitwirken, die aus einem eigenen Betrieb wissen, dass man den Franken erst dann ausgeben kann, wenn man ihn hereingeholt hat. Das Milizsystem ist Gold wert und wir müssen dazu Sorge tragen. Ich habe es auf nationaler Ebene oft erlebt. Als ich bei Wahlbeobachtungen mit Deutschen, Italienern oder Franzosen gesprochen hatte, zeigte sich der grosse Unterschied zu unserem Land. Die sind von Montag bis Freitag in Berlin, Rom oder Paris und am Wochenende kurz zu Hause bei ihren Familien. Die sind ständig unter sich und spüren das Volk nicht mehr.