Rutschbahn fällt bei Experten durch
30.07.2019 Bezirk Sissach, ItingenGemeinde muss in Spielplätze investieren
Die Gemeinde Itingen muss ihre Kinderspielplätze aufrüsten. Mehrere Geräte werden durch modernere ersetzt, umplatziert oder mit einem Fallschutz ausgestattet, damit die Spielplätze den neusten Sicherheitsanforderungen gerecht ...
Gemeinde muss in Spielplätze investieren
Die Gemeinde Itingen muss ihre Kinderspielplätze aufrüsten. Mehrere Geräte werden durch modernere ersetzt, umplatziert oder mit einem Fallschutz ausgestattet, damit die Spielplätze den neusten Sicherheitsanforderungen gerecht werden.
Christian Horisberger
Tausende Hosenböden haben die Rampe der Rutschbahn im Lauf der Jahre blank poliert. Das Gerät auf dem Spielplatz unterhalb des Kindergartens liess die jüngsten Itinger Beschleunigung und Erdanziehungskraft spüren, bedeutete für die Kleinsten unter ihnen eine Mutprobe und machte vor allem Spass. Tempi passati. Die zwei Meter hohe Metallrutschbahn ist kürzlich vom öffentlichen Spielplatz verbannt worden. Ein Experte aus Zürich hat bei der Überprüfung des Spielplatzes festgestellt, dass die Rutsche die kürzlich verschärften Sicherheitsanforderungen nicht mehr erfüllt. Der Fachmann hat nicht nur die Rutschbahn durchfallen lassen, sondern auch die Korbschaukel.
Die Metallrutschbahn ist veraltet: «Bei Sonnenschein wird sie zu heiss, die Seitenabsicherung ist nicht hoch genug», sagt Gemeinderätin Céline Schmidt Bur. Die Korbschaukel habe die neuen Anforderungen für den Fallbereich nicht mehr erfüllt. Bloss die Kriechröhre sei nicht beanstandet worden. Unwesentlich bessere Noten erhielt der Sonnenberg-Spielplatz im neuen Dorfteil jenseits der Schnellstrasse. Wegen zu grosser Öffnungen am Karussell könnten tobende Kinder Finger verlieren, zudem ist der Sturzraum des Geräts als zu klein beurteilt worden. Das Karussell ist damit Geschichte. Der Metallgitterwürfel, ein bei Kindern beliebtes Klettergerät, ist aufgrund seiner Höhe und des zu geringen Fallraums ebenfalls kritisch. Der Boden am Rand der Rutschbahn ist zu hart; ein Kind könnte sich bei einem Sturz schwer verletzen. Der Holzturm hätte beinahe bestanden, bräuchte aber eine Auffrischung, zudem müsste das Erdreich um ihn herum aufgeschüttet werden, um die Fallhöhe zu reduzieren. Ein Neubau dürfte günstiger sein als die Sanierung mit Geländeanpassung. Immerhin: Der Sandkasten stellt keine Gefahr dar und die Korbschaukel vom «Dorf»- Spielplatz könnte hier in die Neugestaltung integriert werden.
Der Sonnenberg-Spielplatz ist 2006 eröffnet worden, eine Renovation sei ohnehin fällig, sagt Schmidt. Nun werde man bei der Erneuerung die verschärften Richtlinien einfliessen lassen. Die Gemeinderätin sieht in den geforderten Anpassungen eine Gelegenheit, den beiden Spielplätzen ein neues Gesicht zu verleihen. Andererseits sei es oft auch «mühsam», wenn die Gemeinden laufend neuen Richtlinien hinterherhecheln müssten.
Schmidt ist Mutter von zwei Kindern. Sie persönlich hält den Sicherheitswahn auf Kinderspielplätzen für fragwürdig. Diese seinen doch auch dazu da, damit Kinder sich Gefahren bewusst würden, sagt sie. Dass es dabei manchmal wehtue, gehöre zum Grosswerden.
«Ein Spielplatz muss Risiken beinhalten»
Der Zürcher Spielplatz-Sicherheitsexperte Andreas Hochstrasser ist mit Schmidt einig: Spielplätze haben eine wichtige pädagogische Funktion. «Ein Spielplatz muss Risiken beinhalten, damit er interessant ist und Kinder etwas lernen können.» Ziel der Sicherheitsvorgaben sei, Unfällen vorzubeugen, die zu bleibenden körperlichen Schäden führen können – durch Strangulation, Stürze aus grosser Höhe oder Fingerfangstellen. Die Norm lasse Prellungen, Quetschungen und auch mal einen Bein-, Arm- oder Fingerbruch zu. «Es dürfen, ja, es müssen Unfälle passieren können, sonst ist ein Spielplatz langweilig und pädagogisch wertlos.» Er erlebe in seiner Praxis oft, dass Eltern und Schulen Druck machen, um auf Spielplätzen möglichst jede Gefahr auszuschalten. Diese Dymamik versuche er zu bremsen.
Ob eine Gemeindebehörde die Sicherheitsempfehlungen für sinnvoll hält oder nicht – sie hat gar keine Wahl: «Wir bieten der Öffentlichkeit etwas an und tragen für die Sicherheit der Benützer die Verantwortung.» Würden die Experten-Empfehlungen in den Wind geschlagen und verunfallte dann ein Kind, hätte die Gemeinde den Schwarzen Peter, fürchtet Schmidt.
Der Gemeinderat will die beiden beanstandeten Spielplätze bis Ende nächsten Jahres erneuern. Der im alten Dorfteil soll auf Schulkinder ausgerichtet werden, Zielgruppe des Spielplatzes am Fuss des Sonnenbergs seien Kinder im Vorschulalter. Eine Arbeitsgruppe habe bereits Spielplatzbauer eingeladen, Offerten einzureichen.
Die Erneuerung des Spielplatzes im alten Dorfteil könnte gemäss Schmidt noch in diesem Jahr in Angriff genommen werden. Ein kleiner Betrag sei bereits im Budget 2019 eingestellt. Für den zweiten Spielplatz bräuchte es einen Budgetposten fürs kommende Jahr. Die Arbeiten daran würden voraussichtlich nach dem Regionalturnfest im Juni nächsten Jahres in Angriff genommen.
Zu den erwarteten Ausgaben will sich Schmidt nicht äussern, um das laufende Offerten-Verfahren nicht zu beeinflussen. Aufgrund der Kosten von Spielplätzen, die andere Gemeinden in jüngerer Vergangenheit angelegt haben, sollten sich die Itinger auf einen hohen fünfstelligen Betrag einstellen, wenn nicht gar auf einen sechsstelligen.
Die Beratungsstelle für Unfallverhütung hat eine 60-seitige Fachdokumentation für Spielplätze herausgegeben. Das Dokument ist auf www.bfu.ch gratis als Download verfügbar.
Norm «SN EM 1176»
ch. Die europäische Sicherheitsnorm für öffentliche Kinderspielplätze und -geräte «SN EM 1176» ist 2018 verschärft worden. Sie wird alle zehn Jahre überarbeitet, Risiken werden dabei laufend reduziert. Experte Andreas Hochstrasser vergleicht den Prozess mit der permanenten Weiterentwicklung der Sicherheitsstandards in Autos, die zu geringeren Personenschäden bei Unfällen führten. Dasselbe gelte für Spielplätze. Die Norm eile nicht voraus, sondern folge der Entwicklung der Gerätebauer und den Ansprüchen der Gesellschaft. «Sie ist vernünftig und zeitgemäss.»
Gesetzlich vorgeschrieben ist das Bauen nach Norm 1176 nicht. Eine Gemeinde könne durchaus einen Spielplatz betreiben, dessen Geräte oder Gestaltung den Richtlinien nicht entsprechen, erklärt Hochstrasser. Doch in einem Ereignisfall stützten sich die Untersuchungsbehörden und Gerichte bei ihrer Beurteilung auf die Norm 1176. «Wer sich danach richtet, ist auf der sicheren Seite.»
Alleine mit dem Einhalten der Richtlinien beim Bau eines Spielplatzes ist es nicht getan. Werkeigentümer sind angehalten, die Betriebssicherheit vor der Eröffnung von einer zertifizierten Fachperson bestätigen zu lassen. Anschliessend sind Jahresinspektionen, ebenfalls durch Experten, gefordert. Hochstrasser empfiehlt zudem vierteljährliche Verschleisskontrollen und wöchentliche Augenscheine auf Spuren von Vandalismus oder Partys.