Gebaute Macht – die Burgen des Mittelalters
12.07.2019 Baselbiet, Gesellschaft, SerienSerie Baselland – Burgenland, Teil 1: Die Gründe für unseren Burgenreichtum
Was ist eine Burg? Warum gibt es in der Region so viele davon? Wer hat sie erbaut? Wozu dienten sie und warum wurden die meisten fast vollständig zerstört? Der Baselbieter Kantonsarchäologe ...
Serie Baselland – Burgenland, Teil 1: Die Gründe für unseren Burgenreichtum
Was ist eine Burg? Warum gibt es in der Region so viele davon? Wer hat sie erbaut? Wozu dienten sie und warum wurden die meisten fast vollständig zerstört? Der Baselbieter Kantonsarchäologe kennt die Antworten.
Reto Marti
Der Begriff «Burg» bezeichnet einen bewohnten Wehrbau oder einen bewehrten Wohnbau. Ob von einer Burg gesprochen wird, ist nicht von der Höhe des Wohnturms oder der Anzahl Zinnen abhängig, sondern allein vom Schutzfaktor. Grösse und Ausstattung zeugten vom Wohlstand des Burgherrn und dessen Geltungsdrang. Wehrmauern,Tore,Türme, Wohn- und Wirtschaftsbauten liessen sich je nach Platzangebot quasi beliebig baukastenartig zusammenstellen.
Die meisten mittelalterlichen Burgen wurden vom 10. bis ins 13. Jahrhundert gegründet. Mit 77 heute bekannten und vermuteten Standorten ist der Kanton Baselland ausserordentlich burgenreich. Zwei Faktoren begünstigen den Umstand massgebend: Die Topografie und die politische Lage.
Die vielfältige Juralandschaft lud Adlige geradezu ein, Höhenburgen anzulegen. Am beliebtesten waren exponierte Bergrücken, auf drei Seiten steil abfallend und nur über einen schmalen Zugang erreichbar, der sich leicht mit Wall und Graben schützen liess. Ein weiteres Plus der Region: Dank reichlich vorhandenen, soliden Kalksteins musste gutes Baumaterial nicht von weit her beschafft werden.
Hauptsache gesehen werden
Erbaut und bewohnt wurden Burgen von Königen, weltlichen und kirchlichen Würdenträgern, Stadtherren, Ritterorden, mit der Zeit auch von einfachen Dienstadligen, reichen Bürgern und Statthaltern (Vögten).
Anfangs, im 10./11. Jahrhundert, waren es die mächtigen Familien des Landadels, die Herrschaftssitze auf Anhöhen abseits der Siedlungen erbauten und sich so in Konkurrenz zum König setzten, der eigentlich als einziger das Recht besass, Burgen zu errichten. Mit wachsendem Wohlstand und dem Aufstreben der Städte und ihrer Bürger begann auch der Stadtadel, im Umland Burgen zu gründen, und schliesslich folgten reiche Bürger dem Beispiel.
Die militärische Funktion einer Höhenburg ist von untergeordneter Bedeutung. Wohl hätten je nach Lage der Burg Umland und Verkehrswege beobachtet werden können, doch waren die Burgen als Truppenunterkunft zu klein und zu schwer zugänglich. Wichtigste Funktion der Höhenburg war nicht das Sehen, sondern das Gesehenwerden.
Zwischen dem ausgehenden 11. und dem 14. Jahrhundert entstanden um Basel weit über hundert Burgen, die unsere Region zu einer der burgenreichsten Landschaften Europas machten. Sie sind der Ausdruck einer Machtzersplitterung mit zahlreichen grösseren und kleineren Herrschaften, die nach möglichst hoher Selbstständigkeit strebten. Bekannte Landadelsgeschlechter waren die Tiersteiner, Frohburger, Homberger oder Eptinger und aus der Stadt die Familien Münch, Schaler und Reich.
Das Leben auf der Burg war unbequem und zugig, der Unterhalt und Ausbau der Gemäuer kostspielig. Als ab dem 13. Jahrhundert die Stadt auch als gesellschaftlicher Mittelpunkt immer attraktiver wurde, errichteten Adlige dort neue Wohnsitze. Jene Blaublüter, die ab dem 14. Jahrhundert in finanzielle Nöte gerieten – das waren nicht wenige, darunter auch Basler Fürstbischöfe – verkauften ihre Burgen und die damit verbundenen Rechte und Herrschaften über Umland und Bewohner an die Stadt. Als schliesslich noch das Erdbeben von Basel im Jahr 1356 grosse Schäden anrichtete, gaben viele ihre Burgen auf.
Sitze der Vögte von Basel
Einige Anlagen blieben bestehen, besonders wichtige wurden ausgebaut: Um 1400 kaufte die Stadt Basel grosse Teile der Landschaft und machte einige Burgen zu Landvogteisitzen. Die Waldenburg, die Homburg und die Farnsburg, später auch Münchenstein und Ramstein wurden so zum Verwaltungsmittelpunkt ihrer Täler. Auch der Bischof von Basel baute seine Burgen in Pfeffingen und Birseck entsprechend aus.
Fast 400 Jahre hielt die Herrschaft der Basler an. Um 1750/60 gab der Bischof Pfeffingen und Birseck auf und in den Wirren der Französischen Revolution liess 1798 schliesslich auch die Stadt ihre Vogteien räumen. Kurz darauf wurden die leer geräumten und verlassenen Vogteisitze – die Waldenburg, Homburg und Farnsburg – von marodierenden Aufrührern gebrandschatzt. Die Burgen erlitten das klassische Ruinenschicksal: Sie dienten als Steinbrüche und zerfielen rasch. Im Gegensatz zu den Vogteiburgen verschonten die wütenden Bauern das Schloss Wildenstein, einen Privatsitz ohne Herrschaftsrechte. Es hat die weiteren Jahrhunderte unbeschadet überdauert und befindet sich heute im Eigentum des Kantons.
Es musste nicht immer ein Erdbeben oder ein Aufstand sein, der eine Burg beschädigte oder zerstörte. Durch ihre exponierte Lage waren Höhenburgen anfällig für Blitzeinschläge. Wenn sie zum Beispiel im Wohnturm mit seinem hölzernen Ausbau ein Feuer entfachten, war dieser nicht mehr zu retten.
Gut dokumentiert
Nicht nur die Menge der Burgen in unserer Region ist aussergewöhnlich, sondern auch, was wir über sie wissen. Zu verdanken ist dies massgeblich einigen unermüdlichen Burgenforschern, die in der Region wirkten: Walther Merz hat mit «Die Burgen des Sisgaus» 1909 ein Standardwerk verfasst. Eugen Probst, der Architekt und Burgenfan, hat in den 1930er- und 1940er-Jahren zahlreiche Anlagen freigelegt, restauriert oder rekonstruiert. Auf Probst geht auch der 1927 gegründete und heute noch aktive Schweizerische Burgenverein zurück, den er bis 1957 präsidierte.
Der Umgang mit Burgruinen veränderte sich ab den späten 1950er-Jahren: Die wissenschaftliche Analyse drängte das reine Ausgraben und Wiederaufbauen in den Hintergrund. Als damalige internationale Koryphäe galt Werner Meyer, damals Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Basel, auch «Burgenmeyer» genannt.
Heute liegt die Erforschung und Konservierung beziehungsweise Sanierung der Burgen in den Händen der Archäologie Baselland. Mit grösseren Grabungen hält sie sich aus finanziellen Gründen zurück. Burgreste werden wie andere historische Hinterlassenschaften auch nur dann ans Licht geholt, wenn eine Beschädigung droht. Die Grabung ist ein kleiner Teil der Arbeit. Was die Archäologen zutage fördern – seien es Gebäudebestandteile oder Einzelfunde aus der Ausstattung einer Burg – wird datiert und historisch rekonstruiert.
Die bislang letzten Reste einer Burg im Baselbiet wurden 2014 entdeckt – im Gebiet Mörliflue in Liedertswil. Es handelt sich aller Wahrscheinlichkeit nach um eine Burg zur Sicherung eines nahen Eisenerzvorkommens.
Reto Marti ist Baselbieter Kantonsarchäologe.
Das Volk liebt seine Burgen
ch. 3. März 2013. Das Baselbieter Stimmvolk sagt Ja zum Verbleib der Schlösser Wildenstein und Bottmingen in Kantonsbesitz – klar mit 46 000 gegen 30 000 Stimmen. Regierung und Landrat hatten zuvor aus Spargründen entschieden und die gesetzlichen Grundlagen geschaffen, um die Schlösser in eine neue Trägerschaft zu überführen. Die Basellandschaftliche Kantonalbank stand bereit, um 10 Millionen Franken in eine Stiftung für den Unterhalt des «Wildensteins» einzuschiessen. Die «Verscherbelung eines Stücks Heimat» war ein Stich ins Wespennest. Eine umgehend lancierte Volksinitiative forderte, die Schlösser dauerhaft im Besitz des Kantons zu behalten und ihre öffentliche Zugänglichkeit zu garantieren.
Das klare Ja ist Beleg für die hohe Identifikation der Baselbieter mit dem historischen Kulturgut – mit Ausrufezeichen. Schlösser und Burgen sind Orte der Sehnsucht und Erinnerung. Sie bieten sich als attraktive Ausflugsziele an; mit dem Blick von Burgmauer aufs Umland können sich Wanderer für den Aufstieg belohnen. Die jährliche Besucherzahl auf Baselbieter Burgen wird auf rund 200 000 geschätzt. Und längst hat auch Baselland Tourismus die Burgen für sich entdeckt: Auf ihrer Website zeigt die Organisation eine Leistungsschau des Baselbieter Burgenwesens und viele Ideen für Exkursionen.
Unter den Burgenwanderern befinden sich womöglich auch einige Landrätinnen und Landräte. Denn selten sind sich die Politiker quer durch die Parteienlandschaft so einig, wie wenn sie über Kredite für Burgensanierungen zu entscheiden haben.
Einstimmig hiess das Parlament 2008 ein Programm für die langfristige Sicherung von Burgen und Schlössern gut, darin enthalten der Sanierungskredit über 2,9 Millionen Franken für die Ruine Homburg bei Läufelfingen. Trotz Spardruck bewilligte das Parlament 2010 auch den Kredit für die Sanierung der Ruine Pfeffingen klar mit 52:12. Gegen Ende 2018 hat der Landrat – wiederum einstimmig – 5,1 Millionen für die Sanierung der Farnsburg beschlossen.
Dem grossen Interesse an den Burgen wird die Archäologie Baselland gerecht, indem sie diese nicht nur nach Möglichkeit erhalten, sondern sie auch begehund erlebbar machen. Sei dies mit Feuerstellen, Info-Tafeln, Audio-Guides oder QR-Codes, mit deren Hilfe Besucher ihr Smartphone mit der Website der Kantonsarchäologie verlinken und Informationen zu den Ruinen abgefragt werden können. Für die Ruine Pfeffingen ist ein Audio-Guide in Vorbereitung, mit dem via Smartphone Geschichten gehört werden können, die auf der Burg spielen.