Alte Dame an neuem Ort
11.07.2019 Bezirk Sissach, Landwirtschaft, SissachDie Langenbodenhütte hat einen neuen Platz
Mit über 100 Jahren muss die Sissacher Langenbodenhütte den Platz räumen. Nach einem technisch herausfordernden Umzug steht sie in alter Frische am Ambrosius-Oberer-Weg. Umgetauft werden soll die Hütte jedoch nicht.
Heiner ...
Die Langenbodenhütte hat einen neuen Platz
Mit über 100 Jahren muss die Sissacher Langenbodenhütte den Platz räumen. Nach einem technisch herausfordernden Umzug steht sie in alter Frische am Ambrosius-Oberer-Weg. Umgetauft werden soll die Hütte jedoch nicht.
Heiner Oberer
Über hundert Jahre lang hat sie Wind und Wetter getrotzt. Auch die zahlreichen, teils ausufernden und feuchtfröhlichen Festivitäten konnten ihr nichts anhaben. Sie ist mit den Jahren immer dunkler und rissiger geworden. Jetzt musste die alte Dame zügeln. Die Rede ist nicht von einer betagten Person, die ins Altersheim umzieht. Nein. Die Rede ist von der laut der Baselbieter Gebäudeversicherungskarte im Jahr 1915 erbauten Sissacher Langenbodenhütte. Sie musste der Erweiterung der Deponie Strickrain weichen.
Bis es aber soweit war, galt es für die Sissacher Bürgergemeinde, der Eigentümerin der Waldhütte, einige bürokratische Hürden zu überwinden. Die kantonalen Behörden stellten sich nämlich auf den Standpunkt, dass eine Verlegung der Langenbodenhütte nicht infrage käme, weil es in Sissach schon genügend Waldhütten gäbe. Neben der Hütte im Gebiet Langenboden, das nach dem Sissacher Geschlecht Lang benannt ist, besitzt die Bürgergemeinde noch die Isleten-, die Tännligarten- und die Bierkellerhütte.
So schnell liessen sich die Sissacher Bürgerräte aber nicht abspeisen. Bürgerrat und Bauchef Daniel Wiedmer erinnert sich: «Wir teilten dem Kanton mit: Keine Langenbodenhütte – keine Deponieerweiterung.» Nach einigem Hin und Her bewilligte der Kanton schliesslich die Verlegung. Dies unter der Auflage, dass nichts, aber auch gar nichts an der Hütte verändert werden dürfe und sie eins zu eins gezügelt werden müsse. So wurde die altehrwürdige Hütte zu einem Fall Ballenberg.
In vier Stunden gezügelt
Bevor die Langenbodenhütte an den neuen Standort am Ambrosius-Oberer-Weg verfrachtet werden konnte, musste eine hiesige Holzbaufirma die Ecken der Hütte verstärken, damit sie beim Anheben nicht in ihre Einzelteile zerfällt. Apropos Ambrosius-Oberer-Weg: Auf die Frage, ob die Waldütte nicht in Ambrosius-Oberer-Hütte umgetauft werden müsste, reagiert Wiedmer zuerst erstaunt und anschliessend amüsiert: «Im Moment ist keine Namensänderung geplant», sagt er.
Am Zügeltag fuhr dann grosses Geschütz auf. Ein Pneukran einer spezialisierten Schwergut-Logistik-Firma hievte die Hütte, befestigt an Gurten, vorsichtig auf einen bereitstehenden Tieflader. In einer zweistündigen Fahrt im Schritttempo wurde sie anschliessend an den neuen Standort transportiert und dort auf den vorbereiteten Betonsockel abgesetzt. Das ganze Prozedere dauerte vier Stunden und ging ohne Zwischenfälle über die Bühne. Einzig beim Tarnsport mussten ein paar sperrige Bäumchen gefällt werden. Was jetzt noch fehlt, ist der Grillplatz mit Tisch und Bänken. «Der wird in den nächsten Wochen fertiggestellt, damit der hungrige Wanderer seine Wurst auf einem ordentlichen Grill braten kann», erklärt Bauchef Wiedmer. Für den Umzug und die Wiederinstandstellung der Umgebung am neuen Standort hat die Bürgergemeinde 60 000 Franken budgetiert.
Langenbodenhütte als Fonduebeiz
Mit dem Umzug der Langenbodenhütte verabschiedet sich auch der Sissacher Ernst Abt, der 25 Jahre lang Hüttenchef war. Er erinnert sich, dass er schon als Kind in der Langenbodenhütte den Sankt Nikolaus empfangen habe. «Die Hütte ist nicht gross. Sie bietet Platz für acht bis zehn Personen. Für einen gemütlichen Fondueabend oder eine veritable Moralpredigt des ‹Santichlaus› reicht es aber allemal.» Über weitere legendäre Festivitäten und Auswüchse in der Langenbodenhütte schweigt Abt, um den Persönlichkeitsschutz der Beteiligten zu gewährleisten. Auch hartnäckiges Nachhaken kann dem verschwiegenen Hüttenwart keine Einzelheiten entlocken. Ausser: «In meiner 25-jährigen Tätigkeit bin ich beim Aufräumen nie auf eine Alkoholleiche gestossen.» Schön. Das ist doch schon mal was.
Der Bürgerrat vermiete die Langenbodenhütte nicht mehr, sagt Bauchef Daniel Wiedmer. «Dafür steht die Bierkellerhütte zur Verfügung.» Ursprünglich sei die Langenboden- wie auch die Tännligartenhütte für die Waldarbeiter gebaut worden – und das soll auch so bleiben. Beim Besuch der Hütte am vergangenen Sonntag präsentierte sich die Hütte im alten Glanz. Einziger Wermutstropfen: Die Hütte ist nach wie vor übersät von Abertausenden von Spinnweben. «Hätten wir nach der Verlegung der Hütte die Spinnweben entfernt, wäre der Ballenberg-Effekt dahin gewesen», sagt Wiedmer. So einfach ist das.
Sissach, Facebook und ein Eskimo
hob. Die «Volksstimme» wäre beim Umzug der Waldhütte gerne vor Ort gewesen. Schliesslich wird nicht jeden Tag eine solche gezügelt. Kurz vor dem Umzug wurde aber von der verantwortlichen Firma entschieden, das Projekt aus Sicherheitsgründen unter Ausschluss der Presse über die Bühne zu bringen. Die Verantwortlichen haben aber nicht mit einem zufällig anwesenden Wanderer gerechnet, der den Umzug fotografiert und anschliessend flugs auf Facebook gepostet hat. Das zeigt, dass in unserer überdigitalisierten Welt immer und überall einer oder eine steht und das Smartphone zückt, damit auch noch der letzte Eskimo auf einer verlassenen Eisscholle weiss, was in Sissach los ist.