WASHINGTON POST
07.04.2021 GesellschaftEin Batzen von Joe Biden
Es ist ja selten eine heitere Sache, wenn man Post von der Steuerbehörde erhält. Schon gar nicht von der Steuerbehörde in den USA. Aber vor einigen Tagen kam tatsächlich ein Kuvert, das Freude machte. Darin steckte ein Scheck ...
Ein Batzen von Joe Biden
Es ist ja selten eine heitere Sache, wenn man Post von der Steuerbehörde erhält. Schon gar nicht von der Steuerbehörde in den USA. Aber vor einigen Tagen kam tatsächlich ein Kuvert, das Freude machte. Darin steckte ein Scheck über 1400 Dollar, ausgestellt von der US-Regierung. Es war eine Stimulus-Zahlung, eine winzige Tranche des 1,9 Billionen Dollar schweren Hilfspakets, das Joe Biden und seine Demokraten im Kongress beschlossen haben.
Als Ausländer mit befristetem Visum hat man eigentlich keinen Anspruch auf diese Zahlung, auch nicht, wenn man hier Steuern abliefert. Aber weil unsere Tochter hier geboren wurde, haben wir den Batzen trotzdem erhalten. Wir werden uns bedanken, indem wir ihn hier ausgeben. Versprochen.
Was mir widerfährt, erleben derzeit viele Amerikanerinnen und Amerikaner. Sie haben mehr Geld auf dem Konto, auch, weil die Wirtschaft wieder wächst. Sehr viele Menschen haben bereits ihre Corona-Impfung erhalten, viel rascher als erwartet. Die Aussicht auf Normalität rückt näher. Es geht aufwärts.
Man kann dieses Gefühl empirisch untermauern. In den Umfragen geben zwei Drittel Joe Biden gute Noten, was seinen Umgang mit der Pandemie und ihren Folgeschäden angeht. Dazu gehört selbst ein Drittel der republikanischen Wähler. In einem Land wie den USA, das sonst bei allem in zwei gleich grosse Lager zerfällt, ist das bemerkenswert. Natürlich ist den Leuten bewusst, dass die Entwicklung der Impfstoffe noch in die Zeit von Donald Trump fiel. Aber sie honorieren trotzdem die neue Ernsthaftigkeit, den Professionalismus und die Abwesenheit der Twitter-Tiraden, die den neuen Präsidenten vom alten unterscheiden.
Nicht, dass es jetzt keine Probleme mehr gäbe, wo Trump weg ist. Kürzlich flog ich nach Texas an die Südgrenze, wo derzeit jeden Tag Tausende von papierlosen Einwanderern ankommen. Alle erwachsenen Migranten schaffen die USA mit Verweis auf die Pandemie immer noch sofort wieder aus, wenn sie von der Grenzwache aufgegriffen werden. Doch unbegleitete Kinder und Jugendliche sowie einige Familien dürfen in den USA bleiben. Mit der Unterbringung dieser Menschen ist die Regierung allerdings völlig überfordert. Es ist Bidens erste richtige Krise, und sie könnte ihn noch lange verfolgen.
Und doch: Es ist eine Krise, die verblasst im Vergleich zu den Grossbränden, die unter Trump überall loderten. Zumindest in den ersten Monaten von Bidens Amtszeit hat eine klare Mehrheit der Amerikaner Vertrauen in den Präsidenten, was dessen Willen und Fähigkeiten angeht, Probleme zu lösen, mehr Vertrauen, als Trump je hatte.
Man merkt das auch im Polit- und Medienbetrieb von Washington. Es wird nach wie vor gestritten und gekämpft, es geht immer noch hart zu. Aber es steht nicht mehr immer gleich alles auf dem Spiel, so wie vorher. Die Apokalypse ist verschoben. Und wenn man hier lebt, dann merkt man: Das ist ganz okay so. Wie lange diese Ruhe anhält: Das ist eine andere Frage.
Der Sissacher Alan Cassidy ist USA-Korrespondent für den «Tages-Anzeiger» und die «Süddeutsche Zeitung». Von 2006 bis 2008 schrieb er für die «Volksstimme».