Eine junge Frau schreibt Geschichte
28.01.2021 Bezirk Sissach, WintersingenAnna Spiess ist die erste Landmaschinenmechanikerin ihrer Firma
In mehr als hundert Jahren Firmengeschichte ist Anna Spiess die erste angehende Landmaschinenmechanikerin der Regiocenter AG in Wintersingen. Mit dieser Berufswahl musste die junge Sissacherin viele Vorurteile ...
Anna Spiess ist die erste Landmaschinenmechanikerin ihrer Firma
In mehr als hundert Jahren Firmengeschichte ist Anna Spiess die erste angehende Landmaschinenmechanikerin der Regiocenter AG in Wintersingen. Mit dieser Berufswahl musste die junge Sissacherin viele Vorurteile überwinden.
Nathalie Schaffner
Anna Spiess absolviert das zweite Lehrjahr in der Ausbildung zur Landmaschinenmechanikerin. Dass dieser Berufsweg für eine junge Frau nicht üblich ist, zeigt ein Blick auf die bisherigen Lernenden im Wintersinger Unternehmen Regiocenter AG, vormals Flückiger Agritech AG: Spiess ist nicht nur die erste Frau, die diese Lehrstelle angetreten hat, sie gilt als erste Bewerberin überhaupt. Auch in der Schule ist es eine Ausnahme, dass gleich zwei Frauen in der neunköpfigen Klasse anzutreffen sind.
Die bald 18-jährige Anna Spiess ist auf dem Gasthof Alpbad aufgewachsen. Ihre Freizeit verbringt die junge Sissacherin mit Reiten, jahrelang war sie aktive Geräteturnerin und später kam die grosse Passion Motocross-Fahren dazu. Dieses Hobby hat Spiess’ Faszination für Motoren geweckt und sie schliesslich zu ihrer Berufswahl geführt.
Körperliche Arbeit würde fehlen
Doch Spiess hat auch eine andere Seite: Sie zeichnet gerne, hat viel genäht und gestrickt, sodass für sie auch gestalterische Berufe infrage kamen. So hat sie neben Schnupperlehren in diversen Mechanikerberufen auch einen Blick in die Welt der Floristinnen und der Schneiderinnen geworfen. Die kreativen Berufe waren ihr jedoch zu wenig vielfältig und die körperliche Arbeit fehlte ihr.
Die Entscheidung für den Bereich Landmaschinen ist aufgrund des breiten Spektrums gefallen: Von kleinen Geräten wie elektrischen Akkubaumscheren bis zu grossen Traktoren ist in der Regiocenter AG alles anzutreffen. Zum vielseitigen Berufsalltag gehören die komplexe Problemfindung eines Defekts, Reparaturen, Services sowie Umbauarbeiten. Im Gegensatz zu anderen Mechanikerberufen werden defekte Teile nicht einfach ersetzt, sondern repariert, was Spiess von dieser Branche überzeugte.
Mit dem Entscheid zur Lehre als Landmaschinenmechanikerin stand auch sofort fest, dass sie die Ausbildung im kleinen Betrieb in Wintersingen antreten will: «Hier wird noch zu jedem Lehrling geschaut, unser Wohlbefinden liegt den Chefs am Herzen, jeder einzelne wird ermutigt und wertgeschätzt.»
Kampf gegen Vorurteile
Diese Wertschätzung und der Zuspruch der Arbeitgeber ist für Spiess nicht selbstverständlich. Zu Beginn hatte sie aufgrund ihres Geschlechts mit Vorurteilen zu kämpfen. In vielen Köpfen sei noch die Vorstellung verankert, dass der Mann im Haus handwerkliche Arbeiten verrichtet. Der jungen Lernenden war zwar bewusst, dass sie sich für einen männerdominierten Beruf entschieden hatte: «Ich bin auch in meinem Freundeskreis mehr mit Männern unterwegs, daher war das für mich nicht abschreckend.»
Und dennoch ist es nicht immer einfach. Misstrauen, Sprüche, die Art und Weise, wie mit ihr umgegangen wurde, machten ihr lange zu schaffen. Der Umgang zwischen Männern ist forscher, was sie zu spüren bekam. Doch mittlerweile konnte sie die Männer von ihrem Können überzeugen: «Ich konnte zwischenmenschlich viel erreichen», so Spiess.
Besondere Herausforderungen sind Arbeiten, die viel Kraft benötigen wie das Wechseln von Pneus. Zudem braucht sie für einige Tätigkeiten etwas mehr Zeit. Im Gegensatz zu vielen Männern fällt ihr mit ihrer offenen Art hingegen der Kundenkontakt leichter. Einen weiteren Vorteil sieht sie in ihrem Ehrgeiz. Sie investiert viel Zeit für die Schule, während viele junge Männer in ihrer Freizeit lieber an Maschinen herumschrauben.
Nach der vierjährigen Lehrzeit möchte Spiess die Berufsmatur anhängen und einen Auslandaufenthalt machen. Was sich für die berufliche Zukunft danach ergibt, ist noch offen. Bereut hat Anna Spiess den Entscheid für ihren Berufsweg nie und sie ist froh, dass sich langsam mehr Frauen in diese Branche wagen.