«Ich habe die frische Luft vermisst»
07.01.2021 Eishockey, SportIn der Nacht auf gestern ist die WM der U20-Eishockeyaner zu Ende gegangen. Elvis Schläpfer bleiben statt Bildern von vollen Stadien Erinnerungen an Wochen ohne frische Luft, an Netflix statt Weihnachtsbaum – und ans Hymnensingen zum Frühstück.
Sebastian ...
In der Nacht auf gestern ist die WM der U20-Eishockeyaner zu Ende gegangen. Elvis Schläpfer bleiben statt Bildern von vollen Stadien Erinnerungen an Wochen ohne frische Luft, an Netflix statt Weihnachtsbaum – und ans Hymnensingen zum Frühstück.
Sebastian Wirz
Herr Schläpfer, kurz nach der Baselbieter Sportpreisverleihung, an der Sie einen Förderpreis entgegennehmen durften, sind Sie ins Vorbereitungscamp und damit in die WM-Blase eingezogen. Wie war es, nun nach vier Wochen wieder mal andere Menschen zu treffen als Ihre U20-Nati-Kollegen?
Elvis Schläpfer: Ich habe mich schon sehr gefreut, auch wenn ich mit der Familie immer wieder per Videotelefonie Kontakt hatte. Mehr noch habe ich aber die frische Luft vermisst. Im Hotel in Edmonton konnten wir weder raus noch das Fenster öffnen. Ich hatte eine trockene Nase, etwas Mühe mit dem Atmen. Zu Hause wieder draussen joggen zu gehen war sehr schön.
Sie sind in Biel sofort wieder ins Training eingestiegen. Hätten Sie sich nicht eine Pause erhofft?
Der Trainingsalltag hilft mir am besten, wieder in den Rhythmus zu kommen. Wegen des Jetlags bin ich im Moment um 5 Uhr hellwach. Und wir haben zwar eine WM gespielt, aber nach der Einreise nach Kanada mussten alle Spieler vier Tage in Einzel-Quarantäne – seit August hatte ich nicht mehr so lange am Stück kein Eis unter den Füssen. Das war die Pause.
Schon im Vorbereitungscamp in Zug war die Nati unter sich. Rund 30 knapp 20-Jährige – da werden sich doch nicht alle schön brav an Abstandsregeln und Maskenpflicht gehalten haben …
Sogar sehr brav. Alle wussten, was auf dem Spiel steht. Ein positiver Test und der Traum von einer U20-WM in Kanada ist ausgeträumt. Es gab ja den positiven Fall eines Spielers, der das Virus bereits einmal gehabt hatte – er durfte dennoch nicht mitreisen. Der internationale Eishockeyverband war da sehr streng. Er hat auch die Flüge organisiert. Wir sind mit den Deutschen geflogen, immer ein freier Platz zwischen den Spielern. Die zwei Zwischenlandungen mit jeweils zwei Stunden Warten waren etwas mühsam, aber das nimmt man für so ein Turnier in Kauf.
Und dann ab ins Hotelzimmer – Einzelquarantäne de luxe sozusagen.
Ja, wir sind aus dem Flugzeug ausund direkt in einen Bus eingestiegen, der uns zum Hotel gefahren hat. Das war das letzte Mal frische Luft für lange Zeit …
Wie muss ich mir vier Tage Einzelquarantäne bei 19-jährigen Sportlern mit Bewegungsdrang im Hotel vorstellen?
Das hatte ich mir ehrlich gesagt schlimmer vorgestellt. Es half, fixe Termine zu haben. Um 7.30 Uhr gab es jeweils ein «Good Morning, Switzerland» mit Frühstück, dem kurzen Update eines Spielers darüber, was in der Heimat läuft, – und mit gemeinsamem Hymnensingen per Videotoelefonie. Das Mittag- und Abendessen wurde ebenfalls aufs Zimmer gebracht und wir haben am Computer gemeinsam gegessen. Dazwischen gab es täglich drei Trainings, vor allem ging es um Kraft. So hat man einerseits immerhin etwas geschwitzt und andererseits gingen die Tage schneller vorbei, als ich erwartet hatte. Ich wusste ja immer, dass zum Beispiel in einer Stunde der nächste Programmpunkt ansteht.
Hat der Verband allen ein Netflix-Abo bezahlt?
Nein, das hat sowieso fast jeder. Und ich hatte zusätzlich «Disney+». Also zu wenig Fernsehen geschaut habe ich in diesen Tagen nicht. Schliesslich konnten wir später zwar 1,5 Stunden am Tag aufs Eis und durften von nun an als Team in einem Raum essen, reden, jassen, und Tischtennis spielen, aber wir sassen danach immer noch alleine im Zimmer.
Die Weltmeisterschaft lief für die Schweiz nicht nach Wunsch. Kein Sieg, kein Viertelfinal.
Das ist so. Das Startspiel gegen die Slowakei war prägend. Wir sind angerannt und angerannt, haben einfach nicht getroffen. Die Slowaken erzielten das eine Tor zum Sieg. Gegen die Medaillengewinner Finnland und Kanada hat uns nicht zuletzt geschadet, dass wir zu viele Strafen nahmen. Im Powerplay merkt man noch einmal deutlicher, wie gut diese Teams sind.
0:1, 1:4, 0:10, 4:5 – Sie als Stürmer muss es schmerzen, dass Ihr Team zuerst in 230 Spielminuten nur ein einziges Tor erzielt hat, ehe der Knopf gegen Deutschland 10 Minuten vor Schluss aufging – beim Stand von 0:4 und mit dem Rücken zur Wand.
Es wäre bestimmt besser gewesen, freier und lockerer aufzuspielen, aber wir waren nun mal mit jedem Drittel stärker unter Druck, endlich zu treffen. Wir spielten wohl zu verbissen. In den letzten 10 Minuten gegen die Deutschen sagten wir uns dann: «Wir werfen alles nach vorne. Entweder wir erhalten halt noch drei Tore oder wir kreieren noch was.» Ein Gegentor gab es noch und wir verloren 4:5, aber wir haben in nur 10 Minuten viermal getroffen.
Gegen Kanada setzte es mit 0:10 eine deutliche Niederlage. Was können Sie sich persönlich von den Kanadiern abschauen?
Sie waren in allem besser. Schneller, grösser, stärker und im Gegensatz zu uns gewöhnt an das in Nordamerika schmalere Eisfeld. Was mich beeindruckt hat, war die Schusstechnik. Sie brauchen so viel weniger Chancen als ich, um ein Tor zu erzielen. Dazu kommt eine unglaubliche Entschlossenheit. Die kommen mit der Gewissheit an, dass sie die Besten seien, und haben riesiges Selbstvertrauen – dann gehen die Pucks vielleicht einfacher rein.
Sie haben mit 75 Minuten am drittmeisten Eiszeit im Schweizer Team erhalten, haben aber nur zweimal auf das gegnerische Tor geschossen.
Auch nachdem ich nun die Kanadier gesehen habe, muss ich sagen: Das ist wohl meine Schwäche. Ich schiesse meist nur, wenn ich die Wahrscheinlichkeit eines Tors als hoch einschätze. Sonst suche ich den besser postierten Spieler. Ich sollte öfter einfach abziehen. Sonst war meine eigene Leistung in Ordnung. Ich habe vom Coach viel Vertrauen erhalten, habe Powerplay und bei unseren Strafen vor allem viel Boxplay gespielt. Meine erste und einzige U20-WM hat mich sicher weitergebracht.
Sie spielen und trainieren in Biel und Langenthal, wissen aber oft erst einen Tag im Voraus, in welchem Trikot Sie auflaufen werden. Belastet Sie das?
Nein, es ist wichtig für meine Entwicklung, dass ich spielen und Einsatzminuten sammeln kann. Darum nehme ich gerne in Kauf, dass ich kurzfristig planen muss.
Wie haben Sie Weihnachten gefeiert?
Es war schon seltsam. Weihnachten war einfach wie jeder andere Tag – ausser dass wir im Ess-Raum Weihnachtspullis getragen haben. Aber das hat nichts mit Corona zu tun. Das übliche Fest zu Hause mit Fondue chinoise hätte ich auch bei einer «normalen» WM verpasst.
Eine Weltmeisterschaft in der Blase
wis. In der Nacht auf gestern haben die amerikanischen U20-Eishockeyaner die Weltmeisterschaft in Edmonton mit einem 2:0-Finalsieg gegen die gastgebenden Kanadier gewonnen. Bronze geht nach einem 4:1 gegen Russland im kleinen Final an Finnland. Die Schweiz hat nach Niederlagen gegen die Slowakei (0:1), Finnland (1:4), Kanada (0:10) und Deutschland (4:5) den Einzug in die Viertelfinals verpasst. Wegen eines Abstiegs aus der Gruppe der besten Nachwuchs-Eishockey-Länder muss sich die Schweiz aber keine Sorgen machen: Die Turniere der anderen Niveaus wurden wegen Corona abgesagt.
Während die Weltmeisterschaft der Aktiven in Übersee, wo zeitgleich jeweils die nordamerikanische Profi-Hockey-Liga NHL weiterläuft, wenig Interesse geniesst, ist das jährliche Aufeinandertreffen der Junioren ein wichtiges Ereignis – nicht zuletzt mit grossen Auswirkungen auf die Karrieren der Spieler, die sich präsentieren konnten.
Die Organisatoren haben entsprechend keinen Aufwand gescheut, um die U20-Weltmeisterschaft trotz fast weltweiter Pandemie durchzuführen. Die Schweizer mussten etwa schon am 6. Dezember in Zug zum Vorbereitungscamp antreten. Nach zwei Wochen im Mannschaftsverbund und mit mindestens drei negativen Coronavirus-Tests pro Person flogen die Teams in von den WM-Organisatoren organisierten Flugzeugen nach Edmonton. In Kanada verbrachten alle Spieler und Staff-Mitglieder vier Tage im Einzelzimmer in Hotel-Quarantäne, ehe sie nach erneuten negativen Tests im Team trainieren konnten.
Auch während der Weltmeisterschaft galt abgesehen von den Matches Maskenpflicht und es wurden täglich Tests absolviert. Niemand durfte sich ausserhalb von Hotel, Trainingseisfeld sowie Stadion bewegen. Die Spiele fanden ohne Zuschauer statt. Die Regeln waren unmissverständlich: Wer einen positiven Testbefund erhält oder die Quarantäne-Auflagen verletzt, fliegt nach Hause. Spieler, die bis in den gestrigen Final vorgestossen sind, haben insgesamt einen ganzen Monat in der WM-Blase verbracht.
Zur Person
wis. Elvis Schläpfer ist in Sissach aufgewachsen und eishockeytechnisch beim EHC Zunzgen-Sissach, beim EHC Basel und in Biel gross geworden. Im vergangenen Herbst absolvierte er seine ersten Matchs für den EHC Biel auf höchster Stufe in der National League. Der 19-Jährige spielt zugleich für den SC Langenthal, bei dem Vater Kevin Schläpfer Sportchef ist, in der Swiss League, der ehemaligen Nationalliga B.
2019 überstand Elivs Schläpfer den letzten Kaderschnitt vor der U20-WM nicht, am nun beendeten Turnier hat er von allen Schweizer Feldspielern am drittmeisten Eiszeit erhalten. Er wohnt in Biel und absolviert dort eine Sportler-KV-Lehre.