«Hallo ID, erzähl mir einen Witz»
04.12.2020 AutoFahrbericht | Was im ID.3, dem ersten vollwertigen Elektroauto von VW, steckt
VW steht für Wertigkeit, Zuverlässigkeit und Sicherheit. Die Erwartungen an das Auto, mit dem der Konzern den Eintritt ins Elektrozeitalter vollziehen will, waren entsprechend hoch. Wir ...
Fahrbericht | Was im ID.3, dem ersten vollwertigen Elektroauto von VW, steckt
VW steht für Wertigkeit, Zuverlässigkeit und Sicherheit. Die Erwartungen an das Auto, mit dem der Konzern den Eintritt ins Elektrozeitalter vollziehen will, waren entsprechend hoch. Wir fuhren den VW ID.3 zur Probe.
Christian Horisberger
Danke, VW! Endlich ein Elektroauto, das nicht so erzwungen anders aussieht, dass man es auf den ersten Blick als Ökoauto erkennen muss: Der VW ID.3 ist ein sportlich-elegantes, leicht kantig geschnittenes und insgesamt ansprechendes Mittelklasse-Auto, das an den Golf erinnert. Die technische Herkunft ist dem ID.3 mit Ausnahme seiner aerodynamischen Felgen äusserlich nicht auf Anhieb anzusehen.
Die inneren Werte sind von der alten und der neuen Automobilära geprägt: Die mit Stoff bezogenen Sitze – Leder gibt es auch in der Top-Ausstattungsvariante 1st Max nicht – sind straff gepolstert und elektrisch verstellbar. Zwischen Fahrer und Beifahrer sind reichlich Ablagen vorhanden – auch dort, wo sich üblicherweise der Schalthebel befindet: Willkommen im Elektro-Zeitalter! Wie oft habe ich während des Wochenendes mit dem ID.3 vor dem Losfahren rechts von mir mit der Hand ins Leere gegriffen. Der Schalthebel – Hebelchen trifft es eher – sitzt vorne rechts am digitalen Cockpit und links vom wuchtigen Bordcomputer auf dem Armaturenbrett.
Drückt man aufs Bremspedal, gehen die Lichter vor dem Fahrer an und der ID.3 ist fahrbereit. Zieht man den Hebel zurück, geht die Fahrt rückwärts, schiebt man ihn einmal vor, legt man im Normalmodus los, ein zweites Mal nach vorne, und der Computer weiss: Sparen und mit der Schiebeenergie die Batterie aufladen, sobald der Fuss vom Gas geht.
Sprachsteuerung und mehr
Wer als ID.3-Neuling den Impuls hat, möglichst rasch loszufahren, sollte sich zügeln. Intuitiv mit einem Knopfdreh oder -druck die Temperatur verstellen war gestern. Man tut gut daran, sich mit dem üppig befrachteten System im Stehen vertraut zu machen, denn beim Fummeln im rollenden Verkehr bestünde akutes Auffahrunfall-Risiko. Allerdings: Der ID.3 ist mit einem Notbremsassistenten ausgerüstet. Und da ist ja auch noch die Sprachsteuerung. Auf den Befehl «Hallo ID, mir ist kalt» beispielsweise erhöht der Bordcomputer die Temperatur. Die weibliche Stimme kann übrigens auch einen Witz erzählen («Hallo ID, erzähl mir einen Witz»).
Unterhaltsamer als dem Auto zuzuhören ist allerdings, es zu bewegen. Das 1,8 Tonnen schwere Fahrzeug hat eine Leistung von 150 kW oder 204 PS. Das maximale Drehmoment von 310 Nm steht ab der ersten Umdrehung zur Verfügung. Das reicht für beeindruckende Beschleunigungswerte: Das Gaspedal aus dem Stand voll durchgedrückt, spurtet der ID.3 in 7,3 Sekunden auf 100 (Werksangabe). Bei Tempo 160 ist Schluss (elektronische Abregelung). Die Beschleunigung wirkt surreal, weil null Motor-, Wind- und Abrollgeräusche in den Innenraum dringen. Daher sollte man den Tacho stets gut im Auge behalten und sich vom Tempomaten unterstützen lassen, will man keine Geschwindigkeitsbussen riskieren.
Unterwegs ist das Rollen mit dem Elektro-VW ein Genuss: Auf kurvigen Strecken fühlt man sich im ID.3 jederzeit als Herr der Lage. Das Auto tut exakt, was der Fahrer wünscht, und liegt auch in rasch folgenden Kurven sehr stabil auf der Strasse. Auf solchen Strecken wird einem schnell klar, weshalb VW Sportsitze in den heckgetriebenen Stromer eingebaut hat.
Das Bewegen dieses Autos ist beeindruckend, aber Emotionen wollen dabei nicht so richtig aufkommen. Dafür fehlt der Motorenlärm. Als Kompensation kann das Lautsprechersystem betrachtet werden, das glasklaren Sound produziert, auch wenn «AC/DC» mit Wucht aus den Boxen dröhnen.
Motor im Kofferraum
In Sachen Alltagstauglichkeit gibt es am ID.3 nichts auszusetzen. Die Batterie ist flach im Fahrzeugboden verbaut, der Elektromotor befindet sich unter dem Kofferraum. Vom so gewonnenen Raum profitieren die Passagiere auf der Rückbank. Sie können die Beine fast so weit strecken wie in einem Passat. Das Kofferraumvolumen ist mit 385 Litern etwas grösser als beim aktuellen Golf. Bei heruntergeklappter Rückbank ist mit 1267 Litern ausreichend Platz sowohl für die Fahrt zu zweit in die Berge zum Biken (mit Velos und Gepäck im Kofferraum) als auch für den grossen Wochenendeinkauf.
Der Verbrauch beträgt 16,2 kWh/100 km. Das gefahrene Modell «1st Max», zur Verfügung gestellt von der Garage Wicki in Sissach, hat im Alltagsbetrieb eine Reichweite von mehr als 400 Kilometern (Angaben Garage Wicki). Getankt werden kann an einer 220-Volt- oder einer speziellen 380-Volt-Steckdose, die separat zum Auto gekauft werden kann, oder an einer Super-Charger-Tankstelle, welche die Batterie innert 25 Minuten auf 80 Prozent auflädt.
Was ist noch erwähnenswert? Software-Mängel, die bei der ersten Serie erkannt worden sind, werden per automatisches Update behoben. Durch die fehlenden Antriebswellen können die Vorderräder extrem eingeschlagen werden. Der Wendekreis beträgt daher trotz langem Radstand enge zehn Meter. Und: Wer es lieber etwas bulliger mag, kann bereits den SUV ID.4 ordern.