Ein Sklave der Verhältnisse
26.11.2020 Sissach, BaselNicolas Ryhiner erzählt in «Im Surinam» die bewegte Geschichte seines Vorfahren
In seinem historischen Roman «Im Surinam» erzählt Nicolas Ryhiner die Lebensgeschichte des Basler Handelsherrn Johann Rudolf Ryhiner-Streckeisen. Dieser wurde in Surinam reich ...
Nicolas Ryhiner erzählt in «Im Surinam» die bewegte Geschichte seines Vorfahren
In seinem historischen Roman «Im Surinam» erzählt Nicolas Ryhiner die Lebensgeschichte des Basler Handelsherrn Johann Rudolf Ryhiner-Streckeisen. Dieser wurde in Surinam reich und beging 1824 in seinem Sissacher Sommersitz Ebenrain Selbstmord.
Martin Stohler
Es war ein Ende mit Schrecken: Am 29. Juli 1824 jagte sich Johann Rudolf Ryhiner im Schloss Ebenrain eine Kugel in den Kopf. Mehrere Wochen zuvor war er in eine finstere Schwermut verfallen. Ryhiner, im Jahr 1784 geboren, war der Spross einer wohlhabenden Basler Familie. Im Alter von 23 Jahren zog es ihn nach Surinam in Südamerika, wo seine Mutter Margaretha Ryhiner-Faesch ausgedehnte Plantagen besass, auf denen Sklaven arbeiteten. In Surinam zeugte Ryhiner mit einer Sklavin einen Sohn, den er adoptierte. Etwas später heiratete er dort eine Mestizin namens Groenberg, die ihm einen Sohn und eine Tochter gebar.
Einige Jahre später liess Johann Rudolf Ryhiner Frau und Kinder in Surinam zurück und kehrte mit einem beachtlichen Vermögen nach Basel zurück. Hier heiratete er 1815 Anna Pauline Streckeisen, ohne von seiner ersten Frau, von deren Existenz in Basel niemand etwas wusste, geschieden zu sein.
Als Ryhiners erste Ehefrau 1824 nach Europa reiste und sich aus Paris bei ihm meldete, nahm das Verhängnis seinen Lauf. Johann Rudolf Ryhiner weiss, dass das Bekanntwerden seiner ungeschiedenen Ehe mit der Mestizin und ein Prozess wegen Bigamie zu einem Skandal führen wird und ihn in Basel der gesellschaftliche Tod erwartet. Verzweifelt nimmt er sich das Leben. Dem Selbstmörder ist ein christliches Begräbnis verwehrt. Am frühen Morgen des 31. Juli 1824 wurde seine Leiche auf dem Sissacher Friedhof im Beisein weniger Menschen bestattet.
Zwischen zwei Welten
Der Basler Autor und Regisseur Nicolas Ryhiner hat sich von der Biografie seines Vorfahren zu einem historischen Roman anregen lassen. Dabei bilden, wie er bemerkt, «gewisse überlieferte Eckdaten lediglich die Ausgangslage, die vorliegende Geschichte zu erdichten. Die Charakterzüge und Handlungsweisen der Figuren des Romans sind frei erfunden, insbesondere auch ihre Wortwahl.» Zu diesen «Eckdaten» zählen Ryhiners Bigamie, sein Selbstmord und der Kauf des Schlosses Ebenrain im Jahr 1817 als Sommerresidenz.
Mit den beiden Schauplätzen Surinam und Basel spielt der Roman in zwei verschiedenen Welten. In Basel bewegt sich Ryhiner in der engen Welt der betuchten Bürger und ihrer Geschäfte während der Französischen Revolution und nach Napoleons Sturz. In Surinam sind die gesellschaftlichen Konventionen weniger strikt und der Urwald lockt zu Streifzügen durch eine urtümliche, exotische Welt.
Diese unterschiedlichen Welten spiegeln sich auch in den beiden Ehefrauen wider. Die Mestizin ist eine starke, herrische Natur. Mit der Zeit nimmt in ihr der Hochmut überhand, und sie nimmt sich im Haushalt und auf der Plantage Dinge heraus, die Ryhiner nicht tolerieren kann, will er nicht sein Gesicht verlieren. Seine 13 Jahre jüngere Basler Ehefrau anderseits ist eine empfindsame Natur, sie entwickelt schwärmerische Züge und interessiert sich für zeitgenössische Schriftstellerinnen, worin man ein Zeichen der Emanzipation sehen kann.
Johann Rudolf Ryhiner erscheint als Unternehmer, der die Sklavenarbeit auf den Plantagen durch Lohnarbeit ersetzen möchte und für vieles aufgeschlossen ist, aber doch ein Sklave der damaligen Verhältnisse bleibt. Der Handelsherr bemüht sich auch, die Gefühlswelt seiner Basler Gemahlin zu verstehen. Doch dabei blockiert ihn sein überseeisches Geheimnis. Auch zeigt er zunehmend Mühe, die an ihn gerichteten gesellschaftlichen Erwartungen zu erfüllen, was die Entfremdung der Ehegatten zusätzlich verstärkt.
Nicolas Ryhiner erzählt spannend und wortgewaltig. Dabei schildert er die Ereignisse nicht einfach in chronologischer Reihenfolge. Auf diese Weise gibt er uns verschiedene Puzzleteile in die Hand. Diese ergeben ein Bild, das einige Lücken aufweist und Fragen offen lässt – was als Einladung an die Leserinnen und Leser verstanden werden kann, den Faden selbst weiterzuspinnen.
Nicolas Ryhiner, «Im Surinam», Zytglogge-Verlag, Basel 2019. 264 Seiten.