«Man wechselt einfach nicht den Turnverein»
20.11.2020 Bezirk Sissach, Turnen, Vereine, SportSportpreis | Präsident Tomaso Bitterlin sagt, warum der TV Gelterkinden gewinnen soll
Als einer von drei Nominierten steht der Turnverein Gelterkinden zur Wahl für den Baselbieter Sportpreis. Für Präsident Tomaso Bitterlin kam die Nomination zwar überraschend, sie sei ...
Sportpreis | Präsident Tomaso Bitterlin sagt, warum der TV Gelterkinden gewinnen soll
Als einer von drei Nominierten steht der Turnverein Gelterkinden zur Wahl für den Baselbieter Sportpreis. Für Präsident Tomaso Bitterlin kam die Nomination zwar überraschend, sie sei aber gerechtfertigt.
Sebastian Wirz
Herr Bitterlin, warum hat der TV Gelterkinden den Baselbieter Sportpreis verdient?
Tomaso Bitterlin: Weil das, was wir bieten, nicht einfach normal ist für einen Turnverein. Wir haben rund 700 Mitglieder, 400 davon im Nachwuchs. Die Altersspanne reicht vom Mutter-Kind-Turnen bis zum Frauenturnverein und den Plauschturnern, die sich teilweise mit mehr als 70 Jahren noch wöchentlich in der Halle treffen. Unsere Breite zeigt sich aber nicht nur bei der Altersstruktur, sondern auch bei der Anzahl der Disziplinen: Neben den klassischen MuKi-, Kitu-, Jugend- und Mädchenriegen bieten wir im Nachwuchs Geräteturnen, Gymnastik und Leichtathletik an. Bei den Aktiven gibt es neben den klassischen Aktivturnern und der Damenriege auch spezifisches Geräteturnen und Gymnastik sowie ein Unihockeyteam. Unser Angebot ist sehr breit.
Der Leichtathletik Club Therwil hat Spitzen-Hürdensprinter Jason Joseph und zig weitere nationale sowie internationale Medaillenträger, Biathlet Mario Dolder war an den Olympischen Spielen. Die Nomination des TVG überrascht, einverstanden?
Überrascht war ich auch, als ich darüber informiert wurde. Aber gerechtfertigt ist die Nomination allemal. Einerseits ist der TV Gelterkinden mehrfacher Schweizer Meister in der Gymnastik und gehört in dieser Disziplin weiterhin zur nationalen Spitze. Andererseits haben wir starke aufstrebende Leichtathleten. Aber ja, unsere Nomination ist nicht auf rein sportliche Resultate zurückzuführen, sondern darauf, was wir für die Gemeinde und die Bevölkerung tun. Neben den Trainings versuchen wir immer wieder grössere Anlässe wie etwa Geräte- und Gymnastikwettkämpfe zu veranstalten, aktuell haben wir uns wieder als Ausrichter für ein kantonales Nachwuchsturnfest beworben. Auch abseits des Sports – ob an Gewerbeausstellung, Dorffest oder früher am Nationalfeiertag – der TVG und die anderen Vereine sind da, wenn es etwas zu organisieren und zu helfen gibt. Wir machen etwas für die Region. Wenn wir den Waldlauf organisieren, dann nicht nur für die Turnenden, sondern für alle. Und die Menschen kommen von überall her, wenn wir diese Möglichkeit bieten. Wir sind für alle da, nicht nur für die Turnenden und nicht nur für Gelterkinden.
Wer den Spitzensport wählen will, wählt also nicht den TV Gelterkinden.
Das kann man so sehen. Aber man muss aufpassen: Wir haben auf jeden Fall sportliche Ziele im Verein, sowohl in den Spezialriegen als auch bei einem Turnfest. Wir wollen dafür aber alle ins Boot holen und einen Zusammenhalt über den ganzen Verein haben. Wir wollen also am Turnfest erfolgreich sein, aber es sollen alle mitmachen können. Schliesslich sollen die, die ins Training kommen, auch am Wettkampf starten dürfen. Wir selektieren da also nicht nach Leistung, sondern wollen eine grosse Gruppe sein, die gemeinsam antritt. Für mich ist das eine der grössten Herausforderungen der kommenden Jahre: Wir müssen das Gleichgewicht zwischen den Leistungssportlern und denjenigen beibehalten, die sich einfach einmal pro Woche in der Gruppe bewegen wollen.
Nach Herausforderungen gefragt antworten viele andere Vereine, sie hätten Mühe, Nachwuchs und Funktionäre zu finden. Beschäftigt Sie das nicht?
Nein, das Interesse an den Nachwuchsriegen ist in etwa gleichbleibend. Schwankungen gibt es immer. Bei der «Jugi» kann man schnell 20 Neue aufs Mal haben oder auch 10 Abgänge, das hat mit Gruppendynamiken bei den Kindern zu tun. Aber wir haben kein Nachwuchsproblem: Die Leichtathletikriege wächst, die Mini-Gym hat jedes Jahr neue Teilnehmende und beim Geräteturnen müssen wir seit Jahren sogar eine Warteliste führen. Bei den Funktionären ist es ähnlich: Es gibt immer Abgänge, und man muss sich immer wieder bemühen, genügend Leitende zu finden. Aber das fällt uns leicht. Im Vorstand und den verschiedenen OKs haben wir sehr viele junge Leute – ich habe gar oft Anfragen von TVGlern, die gerne in einem kommenden OK mitwirken wollen. Unser Verein hat eine gute Altersstruktur. Es geht ihm gut.
Der klassische Turner als Generalist, der alles ein wenig kann, scheint in Zeiten von Spezialisierung allenthalben ein Auslaufmodell zu sein. Ein Kunstturner muss so früh wie möglich ins NKL, eine Leichtathletin nach Basel, ein Unihockeyaner zu Unihockey Basel Regio. Macht Ihnen diese Entwicklung Sorgen?
Überhaupt nicht. In Gelterkinden scheinen die Leute das zu mögen, was wir haben. Wir haben Leichtathleten, die bei uns und in der Leichtathletik-Gemeinschaft Oberbaselbiet fünfmal wöchentlich trainieren. Wollen sie den nächsten Schritt machen, ja, dann gehen sie irgendwann. Will einer Liga-Feeling im Unihockey, ja, dann geht er. Aber das hat unserem Verein noch nie Probleme bereitet. Wenn ich die Aktivriege anschaue, gibt es üppigere Jahrgänge und solche, die komplett fehlen. Aber mit der Spezialisierung hat das wenig zu tun.
Wegen Corona haben dieses Jahr keine Turnfeste stattgefunden, viele Trainings sind ausgefallen und auch für das kommende Jahr ist nichts in Stein gemeisselt. Was bedeutet diese möglicherweise lange Pause für den TV Gelterkinden?
Man könnte meinen, dass die Menschen ihren Verein vergessen, wenn die Trainings ausfallen. Als wir aber nach den Beschlüssen des Bundesrats Ende Oktober einen Trainingsstopp verhängt haben, erhielten wir sehr viele Reaktionen. Unsere Mitglieder wollen zusammenkommen, wollen gemeinsam in der Halle stehen. Sie sind im TV verwurzelt. Das ist wie bei einem Wegzug: Da bleiben die Turner auch ihrem Verein treu. Irgendwie scheint es da ein ungeschriebenes Gesetz zu geben: Den Turnverein wechselt man einfach nicht. Und so werden unsere Mitglieder auch nach Corona wieder zusammenfinden und den Zusammenhalt geniessen. Die Anmeldungen für die Turnfeste liegen zu diesem Zeitpunkt zumindest im Rahmen der Vorjahre. Der TV Gelterkinden will mit grossen Delegationen etwa zum Kationalturnfest ins Laufental oder zum Jugend-Regionalturnfest in Buus reisen.
Zur Person
wis. Tomaso Bitterlin hat heuer das Vereinspräsidium im TV Gelterkinden von Martin Thommen übernommen. Der 27-Jährige ist in Gelterkinden aufgewachsen und wohnt im Dorf. Zum Turnverein stiess er schon im Kitu-Alter. Der gelernte Bankkaufmann arbeitet in Olten und ist im TVG Teil der Aktiv-, der Schaukelring- sowie der Unihockeyriege.
Publikumsvoting bis zum 2. Dezember
wis. Für den Baselbieter Sportpreis 2020 sind der Leichtathletik Club Therwil, der Zeglinger Biathlet Mario Dolder und der Turnverein Gelterkinden nominiert. Vergeben wird der Preis am 4. Dezember aufgrund der behördlichen Auflagen rund um die Bekämpfung des Coronavirus nicht am geplanten Grossanlass in der Mehrzweckhalle Serafin in Lausen, sondern an einer Feier im kleinen Rahmen im Schloss Ebenrain in Sissach. Darum fällt auch das Saalvoting weg, das vergangenes Jahr zum ersten Mal durchgeführt worden ist und dafür gesorgt hat, dass erst an der Verleihung selber auskam, wer den Preis gewinnt.
Das Saalvoting hat damals eine vorgängige Umfrage unter den Mitgliedern der Vereinigung Basellanschaftlicher Sportjournalisten und im Vorstand der IG Baselbieter Sportverbände sowie eine öffentlich Abstimmung ergänzt. Diese öffentliche Abstimmung, die online durchgeführt wird, erhält nun grösseres Gewicht. Noch bis zum 2. Dezember können Stimmen für einen der zwei nominierten Vereine oder den Einzelsportler abgegeben werden. Der Preis ist mit 15 000 Franken dotiert, die weiteren Podestplätze mit 6000 und 4000 Franken.