Verhängnisvolle «Gletscherspalte»
15.09.2020 AnwilTurnerinnen und Turner nach Klubbesuch auf der Turnfahrt in Quarantäne
26 Mitglieder der Aktivriege und der Damenriege Anwil sitzen in Quarantäne. Sie hatten auf ihrer Turnfahrt einen Klub besucht, in dem sich eine Person aufhielt, die später positiv auf Corona getestet ...
Turnerinnen und Turner nach Klubbesuch auf der Turnfahrt in Quarantäne
26 Mitglieder der Aktivriege und der Damenriege Anwil sitzen in Quarantäne. Sie hatten auf ihrer Turnfahrt einen Klub besucht, in dem sich eine Person aufhielt, die später positiv auf Corona getestet wurde. Die Turnerinnen und Turner weisen keine Krankheitssymptome auf.
Christian Horisberger
Einmal hat Corona beim Turn- und Sportverein Anwil dieses Jahr bereits zugeschlagen: Mit der Absage der Fasnacht fiel der grosse Maskenball, bedeutende Einnahmequelle des Vereins, ins Wasser. Statt eines fünfstelligen Gewinns resultierte aus dem fixfertig organisierte Anlass ein 7000-Franken-Defizit.
Auf der Turnfahrt nach Engelberg hat Corona die Turnerinnen und Turner nun erneut «erwischt». Wegen ihres Besuchs eines Engelberger Musikklubs in der Nacht vom 5. auf den 6. September wurde von den Obwaldner Behörden für alle 26 Anwiler Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Ausflugs Quarantäne angeordnet.
Wie aus der Verfügung des Obwaldner Kantonsarztes hervorgeht, sei eine Person, die sich in jener Nacht in der «Gletscherspalte» aufgehalten hatte, einige Tage später positiv auf das Coronavirus getestet worden. Für alle 300 Klubgäste dieses Abends sowie für das Personal wurde der Quarantänebefehl ausgegeben. Die Anordnung datiert vom 10. September.
Von Montag bis Donnerstag waren alle Teilnehmenden der Anwiler Turnfahrt ihren gewohnten Tätigkeiten nachgegangen. Erst vier Tage nach dem Ausflug, am Donnerstagabend, wurden die Anwiler von den Obwaldner Behörden per SMS über die Massnahme und die Dauer der Quarantäne – bis zum heutigen 15. September – informiert. Ihre Kontaktdaten hatten die Turner im Klub angegeben müssen, sagt Vereinspräsident Oliver Dürrenberger.
Wir erreichten den Präsidenten am späten Freitagvormittag telefonisch bei sich zu Hause. Am früheren Morgen hatten er und einige weitere Teilnehmer der Reise sich auf Verlangen seines Arbeitgebers einem Corona-Test unterzogen. Bei allen war das Ergebnis negativ. Was nicht heisst, dass alle sofort wieder arbeiten gehen dürfen. Die Quarantäneandordnung gilt unverändert bis heute; sie ist verbindlich.
Soweit Dürrenberger im Bild ist, sind alle Mitreisenden im Alter von 18 bis 35 Jahren wohlauf und haben keinerlei Krankheitssymptome wie Atemnot oder Fieber. Seines Wissens gehöre auch niemand, der mit auf der Turnfahrt war, einer Risikogruppe an.
Trotz Bedenken
Am zweitägigen Ausflug hatten gemäss Dürrenberger 26 Mitglieder der Aktiv- und der Damenriege teilgenommen. Es habe zuvor Bedenken gegeben, die Reise tatsächlich durchzuführen, sagt der Präsident. «Schliesslich wollten wir uns nach all den abgesagten Anlässen und Wettkämpfen diese Reise nicht auch noch nehmen lassen und ein wenig das Vereinsleben geniessen. Ich denke, wenn man sieht, wie viele Leute in Sissach oder gar in Basel im Ausgang sind, hatten wir einfach Pech und waren zur falschen Zeit am falschen Ort.»
Der Baselbieter Kantonsarzt ad interim, Claude Scheidegger, gibt für derartige Reisen keine Ja- oder Nein-Empfehlung ab. Auf Anfrage hält er fest, dass sich jede einzelne Person und der Verein als Gruppe über mehrere Dinge im Klaren sein müsse: Wie weit sind sie bereit, das Risiko einer Übertragung einzugehen? Welche Schutzmassnahmen müssen eingehalten werden, um dieses Risiko zu minimieren? Auf welche Aktivitäten verzichtet man gemäss einer Risikoabwägung besser? Welche Konsequenzen ergeben sich individuell sowie für den Verein, wenn es nach einer unerwarteten Exposition zur Anordnung einer Quarantäne kommt?
Der TSV Anwil reiste mit dem öffentlichen Verkehr in die Innerschweiz, wobei alle Teilnehmer eine eigens produzierte Schutzmaske – gelbes Vereinslogo auf schwarzem Grund – trugen. Nach dem Tagesprogramm kehrte die ganze Schar im Klub «Gletscherspalte» ein und genoss dort für einige Stunden das Nachtleben. Die letzten Anwiler «Höckeler» dürften den Klub um drei Uhr morgens verlassen haben, schätzt der Präsident.
Nur für Arztbesuche aus dem Haus
Auf derlei Vergnügungen mussten die Anwiler Turnerinnen und Turner danach für eine Weile – bis heute – verzichten. Quarantäne bedeutet: Minimal-Kontakt auch zu den Angehörigen im gleichen Haushalt (zum Beispiel in unterschiedlichen Räumen essen, gemeinsam genutzte Einrichtungen wie Dusche oder Wasserhähne nach Gebrauch reinigen und desinfizieren), nur für Arztbesuche das Haus verlassen – und wenn, dann nicht den öV benutzen –, Gesundheitszustand überwachen.
Derweil stand der Kanton Baselland über seine «Contact-Tracer» wie mit allen Personen in Quarantäne auch mit den Anwilern in persönlichem telefonischem Kontakt. «Auch müssen wir über einen Fragebogen in einer App oder telefonisch den täglichen Gesundheitszustand melden: Fieber messen, eventuelle Symptome angeben.» Sollten Symptome auftreten, müsse zwingend der Hausarzt kontaktiert werden. Und heute, dem letzten Quarantänetag, werde die Kantonsarztstelle noch einmal mit allen Kontakt aufnehmen, um die weitere Vorgehensweise zu besprechen.
Dürrenberger beschreibt seine Situation als «seltsam». Er habe sich zuvor nicht mit einer Quarantäne auseinandergesetzt. Seit Donnerstag spüre er sie nun mit allen Konsequenzen unmittelbar und er befasse sich nun auch intensiv mit den Informationen und Empfehlungen von Bund und Kanton. Er und seine Freundin hätten glücklicherweise eine grosse Wohnung, in der die Vorgaben gut eingehalten werden könnten.
Noch ein weiteres Mal hatte Corona den Turnverein Anwil kurz vor dem verhängnisvollen Besuch der «Gletscherspalte» erwischt. Der Vorstand blies Anfang September den auf den 13. und 14. November angesetzten Turnerabend ab – im Interesse der Sicherheit aller Beteiligten.