AUSGEFRAGT | THOMAS RICKENBACHER, METZGER, OLTINGEN
31.07.2020 Oltingen«Der ‹Chlöpfer› ist keine Abfallverwertungswurst»
Er ist die Schweizer Nationalwurst: der «Chlöpfer». Thomas Rickenbacher, Metzger in Oltingen, produziert seine Cervelats seit gut 20 Jahren selbst. Die «Volksstimme» wollte ...
«Der ‹Chlöpfer› ist keine Abfallverwertungswurst»
Er ist die Schweizer Nationalwurst: der «Chlöpfer». Thomas Rickenbacher, Metzger in Oltingen, produziert seine Cervelats seit gut 20 Jahren selbst. Die «Volksstimme» wollte von ihm wissen, was hinter unserer Nationalwurst steckt, was es drin hat und wie sie produziert wird.
Peter Stauffer
Herr Rickenbacher: Wie macht man einen guten «Chlöpfer»?
Thomas Rickenbacher: Was die Zutaten angeht: Rindfleisch, Schweinefleisch, Eis, Gewürze, Speck, Rinderdarm und «Liebe zur Sache». Die ganze Produktion erfolgt maschinell. Das Rind- und Schweinefleisch wird mit einem grossen Fleischcutter – einer Art Stabmixer – mit hoher Geschwindigkeit fein geschnitten. Damit durch die Reibungswärme das Eiweiss nicht verbrennt, wird der Mixtur Eis beigegegeben. Ist das Brät fein genug, folgt die Zugabe von Gewürzen und Speck. Es soll eine homogene Masse entstehen. Je nachdem wird die Standard-Gewürzmischung noch durch ein besonderes «geheimes Etwas» ergänzt, was den «Chlöpfer» dann vielleicht produzentenspezifisch macht.
Was passiert dann mit der Masse?
Nach dem Abfüllen in den Rinderdarm werden die Würste auf Stangen aufgehängt und kommen in die Räucherkammer. Durch das Räuchern im Buchenholzrauch erhalten sie ihre Farbe, den besonderen Geschmack und ihr braunes Aussehen. Geräucherte Fleischwaren sind auch länger haltbar. Nach dem Räuchern im Buchenholzrauch werden sie geduscht und entweder im Kochschrank oder im Wasserbad gebrüht und dadurch pasteurisiert. Das Räuchern und Abkochen dauert ungefähr zwei Stunden.
Welche Fleischstücke werden für den «Chlöpfer» oder «Stumpen» – so genannt in der Ostschweiz – verwendet?
Es sind «unschöne» Fleischstücke, die man nicht als Plätzli oder Ragout verwenden kann. Sie fallen bei der Dressur der grösseren Fleischprodukte an. Man könnte sie wegen ihrer «Unförmigkeit» nicht verkaufen. «Wüst» ist vielleicht das falsche Wort, denn von der Qualität her sind die verwendeten Stücke absolut einwandfrei. Und noch etwas: Der «Chlöpfer» ist sicher keine Abfallverwertungswurst. Dass gar Augen verarbeitet würden, gehört ins Reich der Märchen.
Wie schneidet man einen «Chlöpfer» zum Grillieren richtig ein?
Es gibt hier kein Richtig oder Falsch. Die einen wollen «Füessli», andere eine gewürfelte oder mit Schnittmuster versehene Oberfläche. Je mehr man einschneidet, desto knuspriger wird die Wurst. Bei meinem Partyservice schneide ich die Würste – wenn nicht anders gewünscht – auf beiden Auflageflächen mit einfachen Schnitten ein.
Würden Sie «Ihre» Cervelat bei einer Blinddegustation unter zehn verschiedenen «Chlöpfern» erkennen?
(Denkt lange nach) Vermutlich schon. Nicht unbedingt vom Gewürz, sondern eher vom Biss her, das heisst vom Fleischgefühl, wenn ich hineinbeisse.
Wann und wie oft produzieren Sie Ihre «Chlöpfer»?
Wir wursten zweimal pro Woche. Je nach Bedarf verarbeiten wir an einem Wursttag zwischen 20 und manchmal sogar 60 Kilogramm Fleisch. Anders gesagt, die Nachfrage bestimmt unsere Produktionsmenge. Anfänglich bezog ich die Cervelats von meinem Lehrbetrieb, bedingt doch die Eigenproduktion eine relativ grosse Investition. Seit 22 Jahren produzieren wir nun die Würste selber.
Denken Sie, der «Chlöpfer» gehört zu den Fleisch- und Wurstwaren, die am 1. August besonders häufig auf dem Grill landen?
Das ist unterschiedlich, je nach Geschmack. Ich denke, dass Cervelats neben Kalbsbratwürsten und Steaks dazugehören. Der «Chlöpfer» ist schliesslich sozusagen unsere Nationalwurst. Ich glaube aber nicht unbedingt, dass das «Was» entscheidend ist, sondern dass überhaupt grilliert werden kann.
Bringt der Nationalfeiertag Ihrer Metzgerei eine Umsatzsteigerung?
Bei uns ist das eigentlich nie riesig. Dieses Jahr ist es, würde ich sagen, eher eine Umlagerungserscheinung. Bedingt durch die Absage der offiziellen Feiern wird das Grillgut viel mehr über den Ladentisch verkauft als am Fest genossen.
Sind Sie am 1. August beruflich unterwegs?
Nein, vermutlich nicht. Dieses Jahr ist überhaupt alles etwas anders. Nicht nur Augustfeiern sind ja mehrheitlich abgesagt oder werden es noch, auch andere Feste wurden gestrichen. Normalerweise sind wir mit unserem Partyservice an den Wochenenden zwei bis drei Mal im Einsatz. Dieses Jahr herrscht diesbezüglich Flaute.
Haben Sie einen Geheimtipp für ein Grillgericht?
Eigentlich nicht. Vorschläge und ultimative Tipps kann die geneigte Leserin oder der geneigte Leser ja in allen Medien zur Genüge finden. Ich rate nur: Lass dir Zeit und grilliere nicht zu heiss.
Spricht etwas gegen das Rohessen von Würsten?
Ich wüsste nicht, was gegen ein «Waldfest» oder einen Wurstsalat sprechen würde. Keimfrei müssen die «Chlöpfer» nach der Produktion sowieso sein. Ob er mit Haut oder ohne gegessen wird, spielt dabei keine Rolle, das entscheidet lediglich der persönliche Geschmack. In der Regel wird das Brät in Natur-Rinderdärme abgefüllt. Auch die künstlich hergestellte Wursthaut kann gefahrlos verspeist werden, wird diese doch aus natürlichem Eiweiss produziert.
Was spricht für einen «Chlöpfer»-Bezug bei Ihnen oder einer anderen Metzgerei und gegen den Einkauf im Grosshandel?
Sicher die Zusammensetzung des Inhalts, das heisst des Fleischs, das drin ist. Eine unserer Besonderheiten ist, dass wir nur Natura-Beef verarbeiten. Dazu kommt, dass beim Grossverteiler der Anteil von Schwarten und Speck sicher relativ gross ist.Wir nehmen keine Schwarten ins Brät. Wie überall im Handel herrscht auch beim «Chlöpfer» ein grosser Preiskampf. Für das Rohmaterial als Ausgangspunkt sind vermutlich die Kosten ähnlich, aber leistungsfähigere Maschinen mit höherer Geschwindigkeit ermöglichen schon eine kostengünstigere Produktion.
Was halten Sie von fleischlosen Würsten?
Ich habe gar nichts gegen vegetarische Ernährung oder Vegetarier. Aber es dünkt mich etwas einfallslos, dass vegetarische Würste hergestellt werden. Wenn man inhaltlich etwas Neues kreiert, muss ja nicht unbedingt das nachgeahmt werden, was man eigentlich nicht will. Das neue Produkt könnte ja auch eine neue Form, ein neues Aussehen haben. Der Anreiz wäre meiner Meinung nach grösser.