HERZBLUT
14.01.2020 GesellschaftSonntagmorgen – Muskeln pumpen
An den Wochenenden wechseln sich meine Freundin und ich meist ab mit Aufstehen: Einer kümmert sich um den Kleinen, der andere schläft aus oder macht irgendetwas, worauf er gerade Lust hat. Am Sonntag war ich an der Reihe mit ...
Sonntagmorgen – Muskeln pumpen
An den Wochenenden wechseln sich meine Freundin und ich meist ab mit Aufstehen: Einer kümmert sich um den Kleinen, der andere schläft aus oder macht irgendetwas, worauf er gerade Lust hat. Am Sonntag war ich an der Reihe mit Kinderhüten. Mein Plan: Aufstehen, husch anziehen und in die Bäckerei «Schoggiweggli» essen. Man gönnt sich ja sonst nichts (das ist in meinem Fall zwar glatt gelogen, aber egal).
Es gibt im Quartier, in dem ich in Basel wohne, meines Wissens nur eine Bäckerei, die sonntags offen hat. Meist ist diese entsprechend gut besucht. Ich bin insbesondere mit Kind aber gerne unter Leuten und es gibt in dieser Bäckerei guten Kaffee. Der Kleine hält meinen Plan für grossartig, schnappt sich das Velo und los geht’s.
Dort angekommen, sind wir erst einmal erstaunt: Keine Schlange vor der Kasse, leere Tische, entspanntes Personal. Wo sind denn die ganzen Leute? Die Mamis und Papis mit ihren Thronfolgern, die Studierenden oder Projektierenden mit den Notebooks, die einsamen Beobachter. Sie alle waren woanders. Nur der Kaffee und das «Schoggiweggli» entsprachen an diesem Sonntagmorgen unseren Erwartungen.
Item – der zweite Punkt in unserem Programm war der Besuch im Fitness-Studio. Ich habe nämlich vor Kurzem ein Abo gelöst und seit Tagen liegt mir der Kleine in den Ohren, er wolle auch einmal Sport machen.
Entsprechend hält er auch diesen Plan für grossartig, schnappt sich das Velo und los geht’s. Dort angekommen, sind wir erst einmal erstaunt: grosses Geläuf, besetzte Geräte, beschlagene Scheiben. Ach, hier sind die ganzen Leute! Klar, Neujahrs-Vorsätze und so. Ist bei mir ja nicht anders.
Ich muss gestehen, ich hatte ziemlich Spass mit meinem Kind im Fitnessstudio. Wir sind auf dem Laufband gelaufen, haben gerudert, sind Velo gefahren, Treppen gestiegen und haben den Leuten beim Gewichteheben zugeschaut. Wer braucht da noch kindgerechte Spielplätze?
Aber ganz ehrlich: Dass mein Kleiner, wie offenbar die Mehrheit der Leute, jetzt schon lieber Muckis trainiert, als «Schoggiweggli» zu essen, darf natürlich nicht passieren. Und wenn er brav alles seinem Papi nachmacht, wird es das auch nicht. Ich habe mich aber ein bisschen gewundert, dass ich keinerlei kritische Blicke von Trainierenden oder Personal geerntet habe, als ich dem begeisterten 3-jährigen Knirps das Beinstrecker-Modul, die Butterfly-Zugbänder, das Bankdrück-Gerät oder den Bizeps-Curl vorführte und ihm den Sinn von Muskeltraining zu erklären versuchte.
Mein mulmiges Gefühl dabei, ihn auf den Weg der körperlichen Selbstoptimierung zu schicken, ist bei dem Kleinen jedenfalls angekommen, ohne dass ich mein Problem genauer erklären musste. Beim Nachhausegehen sagte er mir:«Aber gell, Papi, richtigen Sport kann man nur draussen machen.» Das liess ich einfach mal so stehen. Dann gingen wir Fussball spielen.
Sebastian Schanzer, Redaktor «Volksstimme»