Abtauchen in eine Welt voller Farben
28.11.2019 Bezirk Sissach, Gelterkinden, KulturKarl Meiller zieht Kerzen für einen guten Zweck
Kommt der Advent näher, verwandelt sich ein grosser Raum im Alten Zeughaus in Gelterkinden in ein Kerzenzieh-Eldorado. Ein weihnächtlicher Brauch als faszinierendes Kulturgut – seit 43 Jahren von Karl Meiller ...
Karl Meiller zieht Kerzen für einen guten Zweck
Kommt der Advent näher, verwandelt sich ein grosser Raum im Alten Zeughaus in Gelterkinden in ein Kerzenzieh-Eldorado. Ein weihnächtlicher Brauch als faszinierendes Kulturgut – seit 43 Jahren von Karl Meiller gepflegt.
Sander van Riemsdijk
«Wenn Kerzen brennen, offenbart sich die Stille unserer Seele». Das bekannte Zitat des deutschen Dichters Erhard Horst Bellermann symbolisiert das Anzünden einer Kerze als wichtigen Akt in der christlichen Kultur. Die Kerze setzt seit jeher dekorative Akzente und dies nicht nur in Kirchen. Vom alten Ägypten gelangte die Bienenzucht einst nach Griechenland. Die Griechen begannen den Handel mit Bienenwachs, der als Rohstoff für die Kerze dient.
Noch immer erfreut sich das Kerzenziehen als überliefertes altes Handwerk grosser Beliebtheit. Wer könnte dies besser bezeugen als Karl «Kari» Meiller, der seit 43 Jahren mit seinem Team das Kerzenziehen jeweils für zwei Wochen im November anbietet; seit sechs Jahren in einem 160 Quadratmeter grossen Raum im Alten Zeughaus in Gelterkinden. Bis 2013 war das Kerzenziehen in Lausen beheimatet, begonnen hat diese Tradition bereits 1977 in Pratteln.
Alle Jahre wieder fangen etwa zwei Monate vor der Adventszeit für Karl Meiller die erstenVorbereitungen an: Helferinnen und Helfer rekrutieren, der Einkauf von Wachs und sonstigen Materialien, das Werkzeug kontrollieren, den Raum mit der benötigten Infrastruktur herrichten, Plakate aufstellen und noch vieles mehr. Damit das Kerzenziehen jeden Tag reibungslos verlaufen kann, braucht er in dieser Periode die Hilfe von bis zu 30 Personen zu unterschiedlichen Tageszeiten. «Diese Leute zu finden ist sehr schwierig», sagt er mit einem leichten Seufzen. Grosse Anforderungen sind damit nicht verbunden. «Jeder kann das Kerzenziehen lernen», sagt Meiller und ergänzt, dass «Interessierte im Sinne von ‹learning by doing› in den unterschiedlichen Bereichen langsam und sorgfältig eingearbeitet werden».
Entspannend und heimelig
Der grosse Raum mit seinen 14 Arbeitsplätzen, der 100 bis 120 Personen Platz bietet, wird von einem Holzofen beheizt. Ofen, Kerzenwachs, Kaffee – die unterschiedlichen Düfte schaffen für die grosse Schar von Kindern, die beim Besuch der «Volksstimme» das Kerzenziehen auf dem Schulprogramm haben und für die kommende Stunde in eine Welt voller Farben abtauchen werden, eine entspannende, heimelige Atmosphäre.
Karl Meiller, der ehemalige Lehrer, darf immer wieder mit Freude feststellen, «dass das Kerzenziehen insbesondere auf sehr lebendige Kinder eine absolut beruhigende Wirkung hat». Er unterstreicht mit dieser Aussage den pädagogischen Wert, den das Ziehen für ihn immer noch hat. Beliebte Sujets auf den Kerzen bei den Kindern, die teilweise richtige Kunstwerke herstellen, sind seit eh und je Tiere wie Pinguine, Eulen oder Schmetterlinge. Sogar zu Düsenjets lassen sich die farbigen Kerzen gestalten.
Getaucht werden die Kerzen in eine Mischung von Stearin (20 Prozent) und Paraffin (80 Prozent), draussen unter einem Unterstand in Bienenwachs. Dieser braucht für den Prozess ständig frische Luft. Ein Phänomen stellt Meiller immer wieder bei den Erwachsenen fest: «Da ist in der Wahl der Farbe die momentane Stimmung klar erkennbar», sagt er. Auf die Frage, warum die Magie des Kerzenzeihens die Kinder in unserer schnelllebigen, technisch virtuellen Gegenwart immer noch verzaubert, antwortet er bestimmt: «Weil sie selber eigene Ideen umsetzen dürfen und neugierig sind, was sie mit der Kerze alles machen können.»
Die Kerze mit ihrer Flamme hat für Meiller auch nach vielen Jahren immer noch eine besondere Bedeutung: «Eine Kerzenflamme füllt den Raum mit einem warmen, sinnlichen Licht und strahlt Zufriedenheit und Gemütlichkeit aus. Zudem gibt es doch nichts Schöneres, als ein selber hergestelltes Licht.» Erinnerungen werden wach und oft kommt es ihm wie ein Kreislauf vor, der sich schliesst, wenn Erwachsene, die früher im Kindesalter bei ihm Kerzen gezogen haben, jetzt mit ihren eigenen Kindern kommen.
Gewinn vollumfänglich gespendet
Mit seinem langjährigen Engagement verwirklicht Karl Meiller seine Lebensphilosophie: Mindestens einen Monat im Jahr ist er so freiwillig gemeinnützig tätig. Den Aufwand, den er seit Jahren während des Kerzenziehens leistet, schätzt er auf durchschnittlich zwölf Stunden pro Tag. Er möchte klar festhalten, dass «es ohne meine Helferinnen und Helfer schlichtweg nicht möglich ist, das Kerzenziehen anzubieten».
Es freut ihn, dass das Interesse bei der Bevölkerung ungebrochen vorhanden ist.Tendenz sogar steigend. In einer Art kleinen Beiz mit dem illustren Namen «Kaffi zum brennenden Kerzendocht» kann man sich verpflegen lassen. Der Gesamterlös, der immer gemeinnützigen Projekten oder sozialen Organisationen zugutekommt und vergangenes Jahr 11 111 Franken betrug, geht dieses Mal erneut vollumfänglich an «Medécins sans Frontières» («Ärzte ohne Grenzen»), von denen Meiller tief beeindruckt ist.
Auch nach 43 Jahren sind bei Karl Meiller keine Abnützungserscheinungen erkennbar. Noch immer ist er mit Herzblut dabei. Aber wie lange noch, und was dann? Darüber hat er sich zwar schon Gedanken gemacht, aber bis 70 mache er bestimmt noch weiter. Dies habe er der Gemeinde versprochen. Auch wenn dies noch vier Jahre dauert, ist er bereits auf der Suche nach einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger. Sehr früh, würde man meinen. Karl Meiller aber weiss, dass es nicht einfach sein wird, jemanden zu finden. Wer möchte freiwillig einen solchen Aufwand auf sich nehmen? Zwar für einen guten Zweck. Aber dennoch. Es macht Meiller schon ein wenig Sorgen, dem grossen Organisator und Animator.
Noch bis zum 1. Dezember können im Alten Zeughaus täglich Kerzen gezogen worden. Öffnungszeiten unter www.kerzenziehen-gelterkinden.com