Der Mann der unkonventionellen Ideen
31.10.2019 Bennwil, Porträt, Politik, Bezirk WaldenburgZum Tod von alt Regierungsrat Werner Spitteler (1940 –2019)
Am 15. Oktober ist Werner Spitteler im Alters- und Pflegeheim Gritt in Oberdorf im 80. Lebensjahr für immer eingeschlafen. Wer war dieser Mann, wofür stand er? Eine Würdigung.
Robert ...
Zum Tod von alt Regierungsrat Werner Spitteler (1940 –2019)
Am 15. Oktober ist Werner Spitteler im Alters- und Pflegeheim Gritt in Oberdorf im 80. Lebensjahr für immer eingeschlafen. Wer war dieser Mann, wofür stand er? Eine Würdigung.
Robert Bösiger
23. Juni 1994, Landratssaal in Liestal. «Es ist bei solchen Verabschiedungen ein wenig wie bei Beerdigungen.» Sagt Landratspräsident Daniel Müller (Grüne, Münchenstein), der den aus dem Amt scheidenden Regierungsrat Werner Spitteler würdigen darf. «Man weiss manchmal nicht so recht, wie man mit der Wahrheit umgehen soll.»
Interessant ist, wie Müller seine Aufgabe wahrnimmt. Er tut dies in Anlehnung an C. G. Jung mit 100 Stichwörtern und fordert den Rat auf, sich im Zusammenhang mit Werner Spitteler selber Bilder und Gedanken zu machen oder Gefühle zuzulassen. Dann nennt er 100 Begriffe von A bis Z, die seiner Meinung nach alle mit dem abtretenden Magistraten zu tun haben.
Auf mehrere dieser Begriffe, Namen und Stichwörter werden wir zu sprechen kommen. So unter anderem auf:Amtsgeheimnis, Chinaschilf, Fischzucht, Kinderspital, Laufental, Nierensteinzertrümmerer, Zivilschutz. Dann fügt Müller versöhnlich an: «Vom anfänglich distanzierten, dankbar willkommenen Feindbild» habe sich das Verhältnis zu Spitteler «zu einer unausgesprochenen Nähe entwickelt.»
Der zu seiner Meinung steht
Dass der Angesprochene dann im Namen des Regierungsrats gleich den scheidenden Landratspräsidenten würdigen darf, ist Zufall. Er erfüllt diese Aufgabe so, wie er es immer tut: Ehrlich und offen, und sagt: «Wenn wir an Daniel Müller denken, hatten wir vor einem Jahr noch einige Zweifel, wie er den Rat führen werde. Er hat dies konziliant, aber auch zielstrebig getan.»
Sonntag, 25. April 1982. Der Bennwiler Landwirt und SVP-Exponent Werner Spitteler setzt sich in der Regierungsrats-Ersatzwahl um die Nachfolge von Paul Manz (SVP) gegen den Sozialdemokraten Rainer Schaub durch. Spitteler übernimmt die Volkswirtschafts- und Sanitätsdirektion. Zwar ist er zuvor nie im Landrat gesessen, aber er hat seinen Rucksack an politischen Erfahrungen: 1964– 1969 ist er Mitglied des Verfassungsrats beider Basel und 1979–1982 Mitglied des Verfassungsrats zur Ausarbeitung der neuen, 1984 in Kraft getretenen Kantonsverfassung. Zudem gehört er von 1967 bis 1972 dem Bennwiler Gemeinderat an.
Schon als Bauer ist Werner Spitteler innovativ, wagt – trotz Risiken – immer wieder Neues: So stellt er seinen Betrieb zunächst von Kuhhaltung auf Schweinezucht um und darauf von dieser auf Forellenmast. In seinen Kreisen verursacht dies einiges Stirnrunzeln. Diese Flexibilität und seine Neugier auf Neues trägt er mit in seine Arbeit als Regierungsrat. Schlagzeilen macht er zum Beispiel mit der Anschaffung eines Nierensteinzertrümmerers für das Kantonsspital. Er ist begeistert von den biologischen Rohstoffen und fördert den Anbau von Chinaschilf. In Ormalingen entsteht ein mit Holzschnitzeln und Chinaschilf gefüttertes Biokraftwerk für 100 Liegenschaften. Allerdings kommt das Projekt nie richtig zum Fliegen und scheitert letztlich.
Der seiner Zeit voraus ist
Aus heutiger Sicht ist Spitteler mit seinen unkonventionellen Ideen seiner Zeit oft voraus. Dabei nimmt er bewusst in Kauf, dass vermeintlich verheissungsvolle Projekte auch scheitern könnten (was teilweise auch passiert). Aber es gibt auch Ideen, die später funktionieren. Der ehemalige bz-Chefredaktor Walo Foster nennt im «Baselbieter Heimatbuch» ein paar solcher Vorschläge: So sei Spitteler für Direktzahlungen in der Landwirtschaft ebenso eingestanden wie für die Schaffung einer Sucht- und Aidsberatungsstelle. Foster lässt auch das Projekt der sich selber mit Energie versorgenden Fensterfabrik Aerni in Arisdorf oder den geheimnisumwitterten Tachionenkonverter nicht unerwähnt.
Zuweilen ist Werner Spitteler aber auch derjenige, der den legalen Rahmen ritzt. Unvergessen ist die sogenannte «Schmassmann-Affäre» im Zusammenhang mit der Betreuung von Asylbewerbern. Weil er 1988 einen von einem Sonderausschuss der landrätlichen Geschäftsprüfungskommission verfassten Bericht der «Basellandschaftlichen Zeitung» zuspielt (und diesen Sachverhalt zunächst leugnet) und gleichzeitig einen Chefbeamten in Schutz nimmt, wird er der Amtsgeheimnisverletzung bezichtigt und gebüsst.
Im Landrat und in den Medien muss er zu dieser Zeit heftig einstecken. Journalist Peter Basler kommentierte im «Doppelstab»: «Werner Spitteler tritt mit seiner hemdsärmligen Selbstherrlichkeit nicht das erste Mal ins Fettnäpfchen. Und mit der zwar unkonventionellen, aber oft auch allzu selbstsicheren Art stösst er auf viel Widerspruch.»
Sein Sohn Benjamin Spitteler (45), der mittlerweile in der Ostschweiz lebt, räumt ein, dass der Vater in dieser schwierigen Zeit mit den gehäuften Negativschlagzeilen einen Rücktritt ernsthaft überlegt habe. Doch Spitteler steht die Affäre durch, auch weil er sich nicht herauszureden versucht und zu dem steht, was er getan und gesagt hat.
So erinnere ich mich daran, wie er im Landrat einmal heftig kritisiert wird für etwas, was er mir, dem Journalisten, zuvor zu Protokoll gegeben hatte. Die politischen Gegner im Landrat bieten ihm quasi auf dem Silbertablett an, zu sagen, der Journalist habe da sicher etwas falsch verstanden und wiedergegeben. Doch was macht Spitteler? Er steht auf, verzichtet auf diesen offerierten Befreiungsschlag und sagt, der Journalist habe ganz genau das geschrieben, was er gesagt habe. Dieses Hinstehen habe ich ihm sehr hoch angerechnet.
Weitere Baustellen in Spittelers Amtszeit von 1982 bis 1994 sind der Zivilschutz (er hat sich – letztlich erfolglos – für ein Zivilschutz-Ausbildungszentrum in Ziefen eingesetzt) und das Gesundheitswesen. Immerhin fährt er Erfolge ein bei der Schaffung eines Lufthygieneamts beider Basel und trägt dazu bei, dass es heute eine Kinderklinik beider Basel gibt, eine zeitgemässe Drogenpolitik und ein Rheinhafengesetz.
Krisenmanager und Verhandler
Und dann gibt es noch zwei besondere Themen, die wir mit dem Namen Werner Spitteler verknüpfen sollten. Da ist zunächst der 1. November 1986, als es in Schweizerhalle brennt. Spitteler erweist sich als besonnener und entscheidungsfreudiger Krisenmanager, hebt als Folge dieser Katastrophe das Sicherheitsinspektorat aus der Taufe.
Ebenfalls denkwürdig ist Spittelers gutes Händchen im Zusammenhang mit dem Laufental. Hier erweist er sich als fairer und gewiefter Verhandler. Letztlich kann er (damals als Regierungspräsident) mitfeiern, als am 25. Oktober 1993 im Beisein von Bundesrat Arnold Koller der Laufental-Vertrag unterzeichnet wird und der Bezirk auf 1. Januar 1994 vom Kanton Bern zum Baselbiet wechselt.
Mann des Volkes und Visionär
Werner Spitteler war auch ein Mann der Widersprüche: So stand er an offiziellen Anlässen lieber alleine mit einer Zigarette am Rande des Geschehens als mittendrin. Gleichzeitig aber konnte er, falls nötig, unvorbereitet hinstehen und druckreif sprechen. Zudem ging er gerne unter die Leute. Fast wöchentlich ist er Gast am «Sonne»- Stammtisch in Sissach oder im «Ochsen» Bennwil. Er suchte den Kontakt mit den gewöhnlichen Leuten.
Ein ganzes Kapitel (mindestens) liesse sich füllen mit Werner Spittelers Afrika-Abenteuer: So befasst er sich gegen Ende seiner Regierungszeit intensiv mit einer speziellen Pflanze – der Artemisia annua (einjähriger Beifuss). Er ist überzeugt, dass der Wirkstoff dieser Pflanze gegen alle Übel nützt – auch gegen Malaria. So reist er eines Tages nach Tansania, um dort die Pflanze anzubauen. Tansania deshalb, weil der Kanton seinerzeit ein Spital in Daressalam unterstützte. Kurz darauf verlässt er seine Familie und zieht nach Afrika, um sich fortan diesem Projekt zu widmen. Dort heiratet er eine Einheimische.
Er entwickelte zusammen mit einer Schweizer Firma Pastillen und gründete die Firma N.U.S. AG, um das Mittel zu kommerzialisieren. Spitteler war überzeugt, dass sein «Uwemba» als Malariaprophylaxe dienen konnte, holte sogar das Tropeninstitut ins Boot. Die Politik und vor allem die Pharmafirmen legten Spitteler aber Steine in den Weg, wo immer sie nur konnten. Die Pastillen wurden zunächst als immunstärkendes Heilmittel registriert, dann wieder verboten. Mittlerweile ist es wieder zugelassen als Nahrungsergänzungsmittel. Die Firma N.U.S. AG wird heute von Sohn Benjamin geführt – allerdings «auf kleiner Flamme», wie er sagt.
In den letzten Jahren kam Werner Spitteler phasenweise wieder häufiger zurück in die Schweiz, auch weil sich seine gesundheitlichen Probleme akzentuierten. Am 15. Oktober dieses Jahres verstarb er im Alter von 79 Jahren.
Der Bauer, der Kavalleriehauptmann und Hobbyflieger, der Verfassungs- und Regierungsrat: Er kann überraschen. Vielleicht gerade deshalb ist er nicht unumstritten – was sich auch in seinen Wahlergebnissen zeigt. Als überzeugtem Baselbieter ist ihm die Unabhängigkeit von der Stadt Basel sehr wichtig; er steht mit den Städtern hie und da auf Kriegsfuss, setzt sich aber trotzdem dafür ein, gewisse Aufgaben gemeinsam anzupacken. Und: Werner Spitteler steht immer zu seiner Meinung. Egal, wie heftig der Gegenwind bläst, sein Fähnchen richtet er nie nach dem Wind.
Wir werden Werner Spitteler als überaus spannende, kreative, markante und neugierige Persönlichkeit in dankbarer Erinnerung behalten.