«Alles vibriert, knarrt und klappert»
09.08.2019 Auto, Gelterkinden, Porträt, Bezirk SissachUS-Car-Autodoktor Marcel Saam repariert und restauriert Oldtimer
«Geht nicht» gibt es für Marcel Saam nicht. Dem auf US-Oldtimer der 60er- und 70er-Jahre spezialisierten Automechaniker scheint keine Herausforderung zu gross. Eine Mechanikerlehre hat der Gelterkinder nie absolviert, ...
US-Car-Autodoktor Marcel Saam repariert und restauriert Oldtimer
«Geht nicht» gibt es für Marcel Saam nicht. Dem auf US-Oldtimer der 60er- und 70er-Jahre spezialisierten Automechaniker scheint keine Herausforderung zu gross. Eine Mechanikerlehre hat der Gelterkinder nie absolviert, sondern sich all sein Können selber erarbeitet.
Christian Horisberger
Wenn Marcel Saam am Morgen seine Werkstatt aufschliesst, in die schwarzrote Latzhose steigt und bei seinen «Patienten» auf Morgenvisite geht, dann ist das für ihn schon einmal ein ziemlich guter Start in den Tag. Sollte der Automechaniker es noch dazu mit einer Rarität zu tun bekommen, die eine Sonderbehandlung verlangt, dann ist das für den Schrauber, als würden Super-Bowl, der 4. Juli und Thanksgiving zusammenfallen. Der 58-Jährige restauriert und repariert alte «Amerikaner». Die Halle der ehemaligen Schreinerei Hemmig an der Rünenbergerstrasse in Gelterkinden teilt er sich mit fünf Gleichgesinnten, die hobbymässig an Oldtimern schrauben.
Saams Spezialgebiet sind Fahrzeuge der Marken Chrysler, Dodge, Plymouth und Jeep aus den 1960er-und den frühen 1970er-Jahren. Vier der sieben Kundenautos, die sich aktuell bei ihm in Behandlung befinden, sind solche Fabrikate: Auf einem Autolift, zwei Meter über dem Boden, thront ein Langzeitpatient: ein Chrysler Valiant, Jahrgang 64. «Bremsen, Blattfedern, Tank, Benzin- und Bremsleitungen, Fahrwerk … es ist beinahe eine Vollrestauration», sagt der Autodoktor. Er habe den Valiant schon einige Monate auf dem Lift. Das Organisieren von Ersatzteilen koste Zeit, aber das sei mit dem Kunden abgesprochen. Er hoffe, dass er dem Eigentümer dessen «Schatz» im September fahrbereit übergeben könne. Dann ist Platz für ein neues «Projekt», wie der Mechaniker Aufträge für komplexe Umbauten oder ganze Restaurationen nennt.
Motor vom Segelflugplatz
Auf einem zweiten Lift befindet sich ein goldbrauner Dodge Cornet, Baujahr 1967. Hier ist ein Service fällig. Der Hingucker in der Halle ist ebenfalls ein Dodge Cornet, aber im Stil eines Rennwagens lackiert. Der Muscle Car rollte 1968 vom Band. Die grau-blau-rote Lackierung ist eine Hommage an den Viertelmeilen-Rennfahrer Dick Landy. Der Auto-Fan schwärmt. Er kenne dieses Prunkstück schon lange, habe es immer wieder an US-Car-Treffen angetroffen, als es noch im Besitz eines Holländers gewesen sei. Nun habe ein Pärchen aus dem Badischen das Auto gekauft und ihm anvertraut, um den Motor zu ersetzen. Saam kann sein Glück kaum fassen, dass er an diesem Wagen Hand anlegen darf.
Den – nahezu ungebrauchten – Ersatzmotor hat er bei einer Segelflugschule aufgetrieben. Das Aggregat sei seinerzeit angeschafft worden, um Segelflugzeuge hochzuziehen, habe aber seine Leistung nicht gebracht, erzählt Saam. Der Motorblock mit 7,2 Litern Hubraum und weit über 400 PS sei daraufhin ausgetauscht worden und beinahe in Vergessenheit geraten. Glück für Saam und dessen Kunden. Der Mechaniker hat bei der Revision des Motors einen Riss im Zylinderkopf entdeckt. Das schadhafte Teil hat er ersetzt und den Block «Hemi»-orange lackiert. Wenn Saam alleine schon daran denkt, wie der Dodge mit dem neuen Herzen abgehen wird, wandern seine Mundwinkel nach oben.
Die Beschleunigung, die Leistung durch das «unglaubliche» Drehmoment der grosshubigen Motoren, das sei eine Sache. Seine Faszination für die Autos jener Epoche geht aber weit darüber hinaus. «Jedes Mal, wenn ich den Zündschlüssel drehe und einem V8 Leben einhauche, dann ist das Faszination hoch drei.» Das Fahren sei unbeschreiblich, mit dem in einem modernen Auto nicht zu vergleichen: «Man spürt die Mechanik, wie sie arbeitet. Alles vibriert; es knistert, knarrt und klappert.» Mal löse sich ein Gummi, mal schlage der Auspuff gegen die Hinterachse und man müsse mit dem Schraubenschlüssel ran. «Das gehört dazu, denn so ein Auto lebt.» Hinzu kommen die Reaktionen von Passanten: «Sie schauen hin, halten den Daumen hoch, filmen, fotografieren … das ist der Hammer.»
27 Jahre ohne Tageslicht
Das Leben solcher Autos zu verlängern und zu verbessern, begleitet den Mechaniker seit 40 Jahren. Als 17-Jähriger – damals befand er sich noch in der Lehre zum Autolackierer – habe er begonnen, an Autos zu schrauben. An etwas anderem als Amerikanern war er nie wirklich interessiert. Seit fast drei Jahrzehnten wühlen Saam und eine Handvoll seiner Freunde unter einem Dach in Motoren, an Getrieben und verleihen geschundenen Karosserien neuen Glanz. Nach 27 Jahren in einem Raum in Kaiseraugst ohne Tageslicht sind die Freunde voriges Jahr nach Gelterkinden umgezogen. Etwas weniger als die Hälfte der Fläche beansprucht Saam, den Rest teilen sich die fünf Mitschrauber.
Das Hobby zum Beruf gemacht hat der 58-Jährige erst vor sechs Jahren. Er hängte seinen späteren Beruf in der Pharma an den Nagel und machte einen Neuanfang. Eine Automechanikerausbildung hat Saam nicht absolviert. Seine Lehre sei «Learning by doing» gewesen, sagt er. Er habe einfach ausprobiert – und sei vor keiner Herausforderung zurückgeschreckt. Sein eigenes Auto, einen Plymouth Roadrunner von 1972, baute er eigenhändig von Automatik auf Handschaltung um. «Ich hatte damals keine Ahnung davon, aber es hat funktioniert.» «Geht nicht» existiert in Saams Wortschatz nicht.
Teile-Nachschub aus den USA
Nach und nach wurde der Hobby-Autoschrauber zum Alleskönner und Fachmann. Heute gilt «Sämmi» in der US-Car-Szene als Experte. Seine Werkstatt verfügt über drei Autolifte, einen Bremsprüfstand und alle anderen Geräte, die es braucht, um Oldtimern wieder Leben einzuhauchen, sie zu verbessern oder in Schuss zu halten. Was er an Ersatzteilen nicht an Lager hat, kann er ohne grössere Mühe beschaffen. Die meisten Komponenten dieser Klassiker würden bis heute nachgebaut – «oft besser als die Original-Teile». Alle zehn bis 14 Tage erhält der US-Car-Garagist ein Paket aus den Vereinigten Staaten.
Das Auftragsbuch des Einzelunternehmers für den kommenden Winter ist bereits gut gefüllt – ganz ohne Werbung, sagt er. Er lebe von zufriedenen Kunden, die ihn weiterempfehlen. Eine Website (www.mgf-customshop.ch) hat er trotzdem. Dort verspricht er, Kundenfahrzeuge so zu behandeln, als wären es seine eigenen. Man muss es dem Autofan einfach glauben. Denn er schwärmt von jedem Oldtimer, der ihm anvertraut wird. Er saugt die Geschichte und Technik auf und verinnerlicht sie.
Einen Teil der Geschichte des 1967er Ford Galaxy, einem Cabriolet, hat er selber mitgeschrieben: Ein Bekannter von ihm, ein Autosammler aus Binningen, habe das Auto 20 Kilometer von Venedig entfernt entdeckt. Der Kunde vermittelte ein Telefongespräch zwischen einem Garagisten vor Ort und Saam, dem Mechaniker seines Vertrauens. Wenig später sass der Schweizer samt Ersatzteilen für die schadhafte Bremsanlage im Flieger nach Italien. In der Werkstatt vor Ort brachte er den Oldtimer in Schuss und fuhr zusammen mit dem neuen Besitzer nach Hause. «Im Cabrio über den Ofenpass – es war der perfekte Tag.»
«Ein bisschen Sound»
Der Galaxy sei nun nicht etwa wegen eines Problems mit den Bremsen wieder bei ihm in Behandlung, sagt Saam, sondern weil der Besitzer eine Doppelauspuffanlage wolle. «Schöne, fette Rohre, damit er auch ein bisschen Sound hat.»
Am Ende des Gesprächs wollen wir wissen, was dem Autoschrauber sonst noch am Herzen liegt, und wir rechnen mit einer Antwort wie «Liebe», «Lebensgefühl» oder «der beste Job der Welt». Zur Antwort erhalten wir: «Ich repariere auch moderne Autos.»