«Im Landrat diktieren die Parteien»
09.05.2019 Bezirk Liestal, Kilchberg, Politik, Bezirk SissachUeli Kräuchi fordert mehr Verständnis für die Gemeinden
Während 20 Jahren hat der Kilchberger Ueli Kräuchi als Geschäftsführer die Geschicke des Verbands Basellandschaftlicher Gemeinden (VBLG) geleitet. Nach seinem Rücktritt Ende März blickt er auf die Entwicklung der ...
Ueli Kräuchi fordert mehr Verständnis für die Gemeinden
Während 20 Jahren hat der Kilchberger Ueli Kräuchi als Geschäftsführer die Geschicke des Verbands Basellandschaftlicher Gemeinden (VBLG) geleitet. Nach seinem Rücktritt Ende März blickt er auf die Entwicklung der Verbandsarbeit zurück.
Tobias Gfeller
Herr Kräuchi, die grosse Mehrheit der Gemeinden setzte sich gegen das Verbot von Abgaben auf Planungsmehrwerten ein. Dem Landrat war dies aber egal, dem Volk am 10. Februar ebenso. Wo ist da die viel gepriesene neue Stärke der Gemeinden geblieben?
Ueli Kräuchi: Das ist in der Tat unglücklich gelaufen. Mir schien, dass vereinzelt im Landrat das Thema nicht verstanden wurde. Anders kann ich mir nicht erklären, weshalb behauptet wurde, dass auch Private bei Investitionen in ihr Eigenheim Abgaben zahlen müssen. Es wurde zunehmend kleinkariert argumentiert. Der Volksentscheid ist aber sehr knapp zuungunsten der Gemeinden ausgefallen.
Wie erklären Sie es sich, dass auch Gemeindevertreter im Landrat gegen die Vorlage des Regierungsrats mit einer Mehrwertabgabe von 30 Prozent stimmten?
Leider überwiegt im Landrat in solchen Situationen noch zu oft das Parteiendiktat. Dieses zählt dann auf einmal mehr als die Interessen der Gemeinden. Man muss auch bedenken, dass es in der Entwicklung dieses Gesetzes den neuen Paragrafen in der Kantonsverfassung, der besagt, dass bei Gesetzen oder Verordnungen, welche die Gemeinden betreffen, diese von Beginn weg angehört werden müssen, noch nicht gab. Dieser hätte dies mit Bestimmtheit verhindert.
Sie sprechen den Verfassungsauftrag Gemeindestärkung, kurz Vags, an. Ist das das neue Heilmittel für die Gemeinden?
Im Bereich der Mitwirkung der Gemeinden ist der Paragraf 47a tatsächlich ein bedeutsames Instrument, das es den Gemeinden von Beginn weg erlaubt, ihre Anliegen kundzutun. Wir haben damit bereits sehr gute Erfahrungen gemacht, zum Beispiel bei der regionalen Raumplanung. Den Paragrafen kann man nicht hoch genug einschätzen.
Das Verhältnis zwischen Gemeinden und Kanton litt in den vergangenen Jahren in den verschiedensten Bereichen. Stichwort Pflegekosten. Was braucht es neben dem Paragrafen 47a noch, damit dies besser wird?
Das Verhältnis zwischen Kanton und Gemeinden hat sich nicht verschlechtert, im Gegenteil. Es findet mittlerweile ein regelmässiger Austausch statt. Man muss bedenken, dass früher, das heisst vor der Gründung des VBLG 1999, jede Gemeinde einzeln ihre Interessen vortragen musste. Das hatte relativ selten Wirkung. Natürlich gibt es noch heute Themen, bei denen man unterschiedlicher Meinung ist. Das soll und darf weiterhin vorkommen. Wichtig ist, dass man diese Differenzen frühzeitig anspricht und nach einem Konsens sucht. Dafür gibt es ja den vertieften Austausch und den angesprochenen Paragrafen in der Kantonsverfassung. Man spürt allgemein, dass im Regierungsrat das Verständnis für die Anliegen der Gemeinden generell gewachsen ist.
Ist es aus Ihrer Sicht notwendig, dass vermehrt Gemeindevertreter im Landrat sitzen, um dort ihre Interessen zu vertreten?
Es ist sicherlich die nächste Stufe der Zusammenarbeit zwischen Kanton und Gemeinden, dass Letztere noch mehr Verständnis für ihre Anliegen im Landrat finden. Zur Regierung und zur Verwaltung ist das Verhältnis mittlerweile gut. Im Landrat spielen aber die Parteiinteressen mit. Während in den Gemeinden mehr Sachpolitik betrieben wird, politisiert man im Landrat vorwiegend mit dem Parteihut. Gegen diese Parteipositionen lassen sich dann oft auch in den Fraktionen die Gemeindeanliegen nicht durchsetzen. Aber klar: die Gemeinden brauchen mehr Einfluss im Landrat. Ob das von aussen oder von innen passiert, ist eigentlich sekundär. Auch der VBLG selber muss im Landrat an Gewicht gewinnen. Wir haben viel erreicht, aber noch nicht alles.
Dann begrüssen Sie die Wahl der Muttenzer Gemeinderätin Kathrin Schweizer in den Regierungsrat?
Sicher.
Sprechen wir über das Verhältnis unter den Gemeinden, im Speziellen über jenes zwischen den grossen und den kleinen. Gibt es da eine Kluft?
Die Kluft ist markant kleiner geworden. Schwierig war die Situation, als 2010 bei der Einführung des neuen horizontalen Finanzausgleichs die Divergenz der Steuerkraft zwischen finanzstarken und finanzschwachen Gemeinden stark zugenommen hatte und dadurch das System unerwartet überschoss. Da ging es darum, dass die grossen, finanzstarken Gemeinden verstehen, dass finanzschwache Gemeinden eine gewisse Unterstützung brauchen, um ihre elementaren Aufgaben erfüllen zu können. Und die finanzschwachen Gemeinden mussten auch erkennen, dass es dabei Grenzen gibt. Das war rückblickend gesehen ein wichtiger Prozess. Mit der 2011 vom VBLG ins Leben gerufenen Tagsatzung, der mindestens zweimal im Jahr stattfindenden Zusammenkunft der Gemeindepräsidien, wurde eine wichtige Diskussionsplattform geschaffen. Diese hat den Austausch und das gegenseitige Verständnis unter den Gemeinden wesentlich gefördert.
Haben die kleineren Gemeinden in diesen Diskussionen überhaupt etwas zu sagen?
Ich habe dabei nie irgendein Machtverhältnis zugunsten einzelner festgestellt. Die kleinen Gemeinden sind immerhin in der Mehrzahl und als Regionen sind sie sowieso genügend stark. Die kleineren Gemeinden müssen auch immer stärker zusammenarbeiten, was zu grösseren Kapazitäten und so zu einem Ausgleich mit den Grossen führt. Zudem haben wir den Verbandsvorstand so zusammengestellt, dass stets sämtliche Regionen und Wesen der Gemeinden vertreten sind. Bei Vernehmlassungen bilden wir Arbeitsgruppen, die sämtliche Interessen abdecken. Das hat jeweils gut geklappt. Mir war es immer wichtig, möglichst viel Spielraum in Regelungen zu haben, damit sie für möglichst viele Gemeinden möglichst gut funktionieren.
Sie sprechen die Regionen an. Der Landrat hat das Gemeinderegionengesetz versenkt. Die Gemeinden haben die regionale Zusammenarbeit trotzdem verstärkt. Doch nicht alle machen mit. Verstehen Sie den Widerstand?
Ehrlich gesagt nein. Es geht dabei ja nicht um Fusionen. Die Gemeinden behalten ihre Identität, erhalten dank der Zusammenarbeit und durch grössere Strukturen mehr Möglichkeiten und können von Synergien profitieren. In Zukunft wird dies noch mehr der Fall sein müssen, gerade auch in der Planung, Bildung und beim Wasser. Es wird künftig wohl noch mehr Kreisschulen geben. Ein Primarschüler in Allschwil kostet die Hälfte bis ein Drittel von dem, was er im Oberbaselbiet in einer kleinen Gemeinde kostet. Das Gemeinderegionengesetz kam aber womöglich zu früh.
Sie arbeiteten auf Mandatsbasis für den Gemeindeverband. Sie sind nun 73. Geniessen Sie jetzt Ihre «Rente»?
Klar geniesse ich jetzt die neue zeitliche Freiheit. Ich habe noch ein paar kleine Pendenzen erledigt und die Co-Leitung eines Vags-Projekts – zusammen mit Esther Roth – über die künftige Zusammenarbeit von Kanton und Gemeinden bei der regionalen Kulturförderung übernommen. Sonst mache ich den Sommer hindurch einfach mal nichts und überlege mir danach, wie es weitergehen soll. Ich kann mir vorstellen, allenfalls noch etwas beratend oder forschend und publizistisch tätig zu sein.